Erstellt am: 25. 3. 2011 - 06:00 Uhr
Export von Überwachungstechnik an Diktaturen legal
Abseits von Libyen, das wegen der Bombardements durch die "Allianz der Willigen" in diesen Tagen naturgemäß die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich zieht, geht die Repression im Nahen Osten ungebrochen weiter - mit Unterstützung durch Überwachungstechnikhersteller aus der EU.
Im Jemen wird die protestierende Bevölkerung weiterhin niedergeknüppelt und -geschossen. In Bahrain sind mittlerweile Truppen aus Saudi-Arabien und mehreren Golfstaaten im Einsatz, um "Ruhe und Ordnung" wiederherzustellen. In Syrien eskaliert die Lage gerade, auch hier wird bereits scharf geschossen.
Aktuell dazu
Beim gewaltsamen Vorgehen gegen regierungskritische Demonstranten in Syrien wurden nach Angaben der Opposition am Mittwoch mindestens hundert Menschen getötet. Kristin Helberg ist vor kurzem aus Damaskus zurückgekehrt. Sie hat acht Jahre lang in Syrien gelebt und von dort lange Zeit als einzige westliche Journalistin berichtet. Helberg sprach über die derzeitige Lage im FM4-Interview.
Technologie aus Westeuropa
Dass Regimes, die auf die eigene Bevölkerung schießen lassen, sich auch anderer Möglichkeiten der Repression bedienen, steht außer Frage. Dazu gehört die Kontrolle über die Kommunikation in Telefonienetzen und dem Internet. Die von den Regimes in Nahost und Nordafrika eingesetzte Technologie zur Überwachung von Netzen der GSM-Familie kommt überwiegend aus Westeuropa, wobei Firmen aus Deutschland, Frankreich und Italien führend sind.
Wenigstens deutsche Firmen können auch weiterhin in Staaten wie Syrien, den Jemen, Bahrain und Saudi-Arabien "Monitoring Centers" für Telefonienetze sowie "Deep Packet Inspection"-Lösungen zur Kontrolle des Internetverkehrs liefern. Vorausgesetzt ist nur, dass die gelieferten Technologien der Verfolgung von kriminellen Straftätern ("Lawful Interception") dienen, das ergab eine Anfrage von ORF.at beim deutschen Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA).
"Grundsätzlich keine Genehmigungspflicht"
"Die Ausfuhr der von Ihnen genannten Technik unterliegt grundsätzlich keiner Genehmigungspflicht. Sie ist nur dann ausfuhrgenehmigungspflichtig, wenn sie von Anhang I der EG Dual-use-Verordnung (EG) Nr. 428/2009 oder (als besonders entwickelt für militärische Zwecke) von Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste (Anlage zur Außenwirtschaftsverordnung) erfasst ist. Dies gilt auch für Ausfuhren in die von Ihnen aufgeführten Länder."
Die Despoten in Nordafrika und Nahost ziehen Überwachungstechnologien made in Germany, aus Frankreich und von den auf der Überwachungsmesse ISS in Dubai ebenfalls stark präsenten italienischen Firmen amerikanischen Produkten vor.
Besagte Dokumente regeln zuvorderst den Export von Gütern, die nicht nur zu zivilen, sondern auch zu militärischen Zwecken benutzt werden können ("Dual Use"), beispielsweise zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen oder abhörsicheren Kommunikationssystemen für die Armee.
Keine Restriktionen der EU
Auch die europäische Verordnung für den Export von militärisch nutzbaren Gütern erfasst diese Systeme nicht. Falls dort keine eigenen, nationalen Restriktionen gesetzt sind, kann daher aus jedem EU-Land geliefert werden.
Europäische Firmen können also auch weiterhin Technologien zur "Strafverfolgung" an Nahost-Diktaturen liefern. Was eine "Straftat" ist, definieren allerdings nicht deutsche Gesetze, sondern jene der genannten Staaten. De facto sind es "Präsidialdekrete" und Notstandsverordnungen, die allenfalls bestehende Verfassungen außer Kraft gesetzt haben. Damit hat etwa Hosni Mubarak Ägypten mehr als 30 Jahre lang kontrolliert.
"Kriminell" in Syrien
Das Regime in Syrien hat die aufkeimenden Proteste mit brutaler Repression beantwortet und am Mittwoch erneut auf unbewaffnete Zivilisten schießen lassen. Das syrische Staatsfernsehen bedient sich dabei exakt derselben Propagandamittel wie das gestürzte Regime Mubaraks in den ersten Phasen des Protests: Die Demonstranten werden als gewöhnliche Kriminelle dargestellt.
Screenshot Erich Möchel
Wie vorher das ägyptische, so antwortete auch das syrische Staatsfernsehen auf die Nachrichten von ersten toten Demonstranten mit Bildern von angeblichen Waffenfunden, Geldscheinstapeln und Handgranaten. Das Narrativ ist an Deutlichkeit nicht zu überbieten: Hier geht eine legitime Regierung gegen bewaffnete kriminelle Banden vor.
Wie schon der Name sagt, ist die ISS-World eine Serie von Fachmessen für "Lawful Interception", die in jeder Weltregion andere Aussteller hat. Die Nahost/Afrika-Ausgabe in Dubai zielte denn vorwiegend auf Firmen ab, die in dieser Region Geschäfte machen.
Was "Monitoring Centers" können
Die erwähnten Überwachungssysteme zu Strafverfolgungszwecken sind besonders in den Anfängen der Aufstände den Regimes vonnutzen. Die von europäischen Firmen konzipierten Überwachungsanlagen sind nämlich auf die Verfolgung einzelner Personen und Gruppen ausgelegt.
Ein großer Teil des technischen Aufwands ist zudem für die Dokumentation beweiskräftigen Materials für eine Anklageerhebung vorgesehen, was in einem Land ohne funktionierendes Rechtssystem allerdings nicht zwingend gebraucht wird.
Screenshot Erich Möchel
Auswertung von Geodaten
Eines der von den großen Überwachungssuites für Mobilfunknetze in der Regel angebotenen "Features" ist es, Sammelpunkte von Personen durch laufende Auswertung der Geodaten frühzeitig zu erkennen.
Die Truppen von Polizei und Geheimdiensten werden hart an der Echtzeit alarmiert, sobald die Anzahl von Mobiltelefonen in bestimmten Funkzellen ansteigt und so auf neue Ansammlungen von Demonstranten schließen lässt. Alternativ lassen sich Treffen von Zielpersonen ermitteln. Das ergibt nur in den Anfangsphasen Sinn, wie das Beispiel des überwachungstechnisch hochgerüsteten Staatsapparats Ägyptens unter Mubarak gezeigt hat.
Beispiel Ägypten
Um festzustellen, dass sich die Demonstranten auf dem Tahrіr-Platz sammelten, brauchte es kein "Monitoring Center". Wenn Hunderttausend Demonstranten dorthin strömten, genügte ebenso der bloße Augenschein.
Die zweifellos in jenem Datencenter der ägyptischen Telekom, in dem sämtliche Glasfaserverbindungen des Landes mit der Außenwelt zusammenliefen, vorhandene Überwachungsausrüstung war ab einem gewissen Zeitpunkt ebenso nutzlos wie jene für Mobilfunk.
In der Folge wurde alles bis auf das Festnetz abgeschaltet, die ägyptische Revolution spielte sich nämlich auf dem Tahrir- und anderen Plätzen, nicht aber in den Netzen ab.