Erstellt am: 24. 3. 2011 - 15:32 Uhr
Unruhen in Syrien
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Syrien liegt zwischen der Türkei und Israel. Vom internationalen Standing her bewegt sich das Land stets an der Grenze zum Schurkenstaat. Die USA beschuldigen die Regierung, die Hisbollah zu unterstützen - und auch über ein syrisches Atomprogramm kann nur spekuliert werden. Seit etwa zehn Jahren ist Baschar al Assad Präsident. Geerbt hat er das Land von seinem Vater, der zuvor 30 Jahre Syrien regiert hat. Baschar al Assad ist längst nicht so unbeliebt wie andere arabische Despoten. Dennoch scheint auch er nur ein Mittel als Reaktion auf Demonstranten zu kennen: Gewalt.
Das syrische System erklärt seinen Gegnern den Kampf und die Opposition spricht von Massakern an DemonstrantInnen in der Stadt Daraa südlich von Damaskus. Nach Angaben von Bewohnern der Stadt Daraa hat die Polizei und Armee gestern mehr als 100 Menschen erschossen.
Kristin Helberg hat 8 Jahre lang in Syrien gelebt und hat von dort als einzige westliche Journalistin lange Zeit berichtet. Vor kurzem ist sie aus Damaskus zurückgekehrt. Claudia Unterweger hat sie interviewt.
Unterweger: Man hört die Regierung verschärft die Gangart in Syrien. Was passiert da gerade?
Helberg: Im Süden des Landes in dieser Stadt Daraa ist die Situation außer Kontrolle. Es hat gestern erneut Tote gegeben. Es ist ganz schwierig zu überprüfen, was tatsächlich passiert ist, denn es gibt keine Journalisten vor Ort in Daraa. Die Stadt ist abgeriegelt, damit wollen die Sicherheitskräfte verhindern, dass sich diese Proteste ausweiten und genau das wäre gestern normalerweise auch passiert. Es gab wohl einen Versuch von hunderten Demonstranten aus den umlegenden Dörfern und kleineren Städten in das Zentrum von Daraa vorzudringen und daran sind sie gescheitert und dabei haben wohl die Sicherheitskräfte in die Menge geschossen und es gab diese vielen Tote.
Im Fernsehen wirkt Präsident Assad jung und aufgeschlossen, er hat zum Beispiel auch im Westen studiert. Wie steht die Bevölkerung zu ihm? Geht es darum, dass Assad den Hut nimmt oder wollen die Leute, dass er selbst demokratischere Reformen in Gang setzt?
Bislang haben sich die Forderungen eigentlich eher auf Reformen konzentriert. Die Slogans, die Parolen, die man gehört hat, gingen in Richtung mehr Freiheit, vor allem mehr Meinungsfreiheit. Die Notstandsgesetze sollen abgeschafft werden. Der Ausnahmezustand gilt in Syrien schon seit vielen Jahren, seit 1963. Er sorgt immer wieder für juristische Willkür. Es geht um eine Bekämpfung der Korruption.
Es gibt bisher keine Forderungen nach einem konkreten Rücktritt des Präsidenten selbst. Gestern zum Beispiel hat man in Daraa gehört, dass sich die Demonstranten sogar an ihn wenden. Sie schreien "Assad zieh deine Soldaten ab". Irgendwie haben die Menschen in Daraa offensichtlich die Hoffnung, dass der Präsident, wenn er denn persönlich eingreifen würde auch noch was ändern könnte an dem harten Vorgen und das ist gerade die entscheidende Frage: Auf welchen Befehl reagieren die Sicherheitskräfte gerade? Ist es der Präsident persönlich, der dieses harte Vorgehen verantworten muss, oder sind es vielleicht innerhalb des Machtapparates andere Kreise, die sich gerade durchsetzen.
Welche Rolle spielt die Religion bei diesen Protesten in Syrien? Zuletzt hat man von einer Moschee gehört, die eines der Hauptquartiere der Oppositionellen war. Und der Präsident gehört einer religiösen Minderheit an, den Aleviten, die Schlüsselpositionen im Land innehalten.
Grundsätzlich muss man sagen, dass die Religionen und verschiedenen Konfessionen sehr friedlich in Syrien zusammen leben. Also sowohl christliche Konfessionen als auch die muslimischen. Die Aleviten haben Sie erwähnt, die sind eben an entscheidenden Stellen der Macht. Sowohl innerhalb der Geheimdienste, als auch eben die politische Führung. Die Familie Assad gehört zu den Aleviten. Diese Proteste sind nicht religiös motiviert, im Gegenteil. Man sieht schon Zeichen auf den Postern von Kreuzen neben Halbmonden, die zum Beispiel in der zentralen Moschee in Damaskus letzten Freitag hochgehalten wurden.
Die Demonstranten machen also klar, wir stehen hier alle zusammen. Es geht uns insgesamt um politische Reformen, um eine Öffnung des Landes, um mehr Freiheiten und das ist kein religiöser Zwist, selbst wenn die Aleviten, eben weil sie viel Verantwortung im Land haben, den Hass etwas auf sich ziehen. Aber das ist keine Haltung gegen die Aleviten, dass man sie als Ungläubige bezeichnet etc., sondern es geht wirklich um politische Forderungen und nicht um einen religiösen Streit.
Wenn wir die Situation im arabischen Raum vergleichen: Kann man die Situation in Syrien so einschätzen, dass es zu einer Revolution kommen könnte wie zum Beispiel in Ägypten?
Das ist die große Frage. Es wird viel davon abhängen, wie sich der Präsident persönlich verhält. Assad ist nach wie vor populär, war er zumindest bis zu den Protesten. Er ist jung. Im Gegensatz zu anderen arabischen Führern wie Mubarak oder Ben Ali in Tunesien steht er eher für Reformen. Er hat das Land seit 2000 geöffnet, er hat das Internet eingeführt. Aber er hat eben politisch wenig bewegt. Und deshalb wird viel davon abhängen, wie er sich jetzt persönlich verhält. Und man muss auch sagen, dass viel davon abhängen wird, ob sich die Proteste nun ausbreiten. Bislang beschränken sich diese Auseinandersetzungen, diese Gewalteskalationen auf die südsyrische Stadt Daraa. Es hat kleinere Versuche gegeben jetzt auch in den letzten Tagen in Damaskus zu demonstrieren. Die Sicherheitskräfte zeigen dort eine starke Präsenz und versuchen, das im Keim zu ersticken. Davon wird viel abhängen, ob sich diese lokal beschränkten Proteste tatsächlich zu einer landesweiten Revolution ausbreiten werden. Es sind spontane Proteste ohne eine intellektuelle Führung, davon wird auch viel abhängen, ob es gelingt, das landesweit zu vernetzen und besser zu organisieren.