Erstellt am: 24. 3. 2011 - 16:20 Uhr
Diese Debüts!
Beide haben das Drehbuch selbst geschrieben, und beide konzentrieren sich in ihren Geschichten auf private Welten: Marie Kreutzer und Richard Wilhelmer zeigen ihre ersten Spielfilme hierzulande erstmals auf der Diagonale. Für Kreutzers "Die Vaterlosen" gab es auf der Berlinale eine lobende Erwähnung, Wilhelmers "Adams Ende" hatte auf dem Filmfestival Max Ophüls Preis Premiere. Ihre Figuren sind in etwa so alt wie die jungen österreichischen Filmemacher. Und Rio Reisers Stimme hört man in beiden Debüts von der Liebe singen. Will aber nicht heißen, dass man sich einen der Filme auswählen sollte. Im Gegenteil: Man sollte sich "Die Vaterlosen" und "Adams Ende" anschauen.
Österreich-Premiere von „Die Vaterlosen“ist am 25. März, 21.00, KIZ Royal. Ein weiteres Mal ist der Film am 26. März, 11:30, Schubertkino, in Graz zu sehen. Bevor er am 8. April in den österreichischen Kinos startet.
„Eine Wand für mein Klavier, eine Wand für ein Bild von dir, eine Wand für eine Tür, sonst kommst du ja nicht zu mir!", schallt es aus dem Kassettenautoradio. Ein Kleinbus voll inbrünstig mitsingender Kinder, hinter ihnen auf der letzten Bank sitzen drei weniger begeistert blickende Männer. Ein Mann lenkt den Bus: Hans. Eine der ersten Szenen in "Die Vaterlosen" ist eine Rückblende. Erinnerungen sind in sattes Nachmittagssonnenlicht getaucht oder zur Gänze in rötliches Licht, wie auf Fotos in alten Alben. Für vier junge Erwachsene geht es zurück. Anlässlich des Todes der Vaterfigur Hans kehren sie zurück ins Haus ihrer Kindheit auf das Land. Nur der junge Arzt Niki schafft es rechtzeitig und trifft Hans, gespielt von Johannes Krisch, noch lebend an. Vito mit Freundin Sophie kommt zu spät, die jüngere Schwester Mizzi schläft noch im Auto. Kyra ist 900 Kilometer angereist: „Ich hab gedacht, ich könnt’ noch mit ihm reden“. Ein Vorwurf klingt mit. Kurz nach Mitternacht sei er verstorben, erwidert Anna (Marion Mitterhammer). Die Ereignisse von damals, als alle noch unter einem Dach gemeinsam mit anderen Kindern und Erwachsenen lebten, kommen wieder hoch.
Novotny Film
Noch bis in die Gegenwart prägen die Jahre des kommunalen Zusammenseins ihre Leben und die Gefühlswelten. Zwanzig Jahre hat Kyra (Andrea Wenzl) die Anderen nicht gesehen. Was zwischen den einstigen Kindern liegt, will man wissen. „Die Vaterlosen“ handelt nicht vom Leben in einer Kommune, viel mehr geht es um ein Familiengeheimnis. Marie Kreutzers Film erzählt auf wunderbare und umsichtige Weise davon, was Familie sein bedeutet.
Novotny Film
Kreutzer meistert den Ensemblefilm nicht nur, ihr gelingt es, bei allen Figuren zu sein und die Wahrnehmungen aller einzufangen. Exakt sind die Emotionen, in den Dialogen fällt kein Satz zuviel. Marion Mitterhammer bleibt als Mutter ruhig, wenn ihr jüngstes Kind Mizzi (Emily Cox) forschende Fragen stellt, die sie einfach nicht beantworten will. Sophies (Pia Hierzeggers) Pony hebt sich vor Überraschung, wenn ihr Freund Vito (Andreas Kiendl) bei Tisch von Mizzi angepöbelt wird. „Achtung, dramatische Szene“, kommentiert Sophie dann in einer anderen Tischrunde wissend gegenüber Kyras Freund, der ahnungslos mitgekommen ist und anfangs die Vorstellung einer Großfamilie entzückend findet. Mizzi regt sich auf, ihre Hände krampfen sich unkontrollierbar ein. Vito kümmert sich. Der Blick seines „Blutsbruders“ Niki (Philipp Hochmair) sehnt sich nach der Schwester Kyra. So einfach ist das alles eben nicht. Dass niemand abreist und davonkommt, wie er es den anderen zu Beginn weismachen will, versteht sich von selbst.
Kreutzers Kür
Marie Kreutzer im Gespräch mit Petra Erdmann hört Ihr heute in der FM4 Homebase.
Pamela Rußmann / miupar.com
2001 war Marie Kreutzers erster Kurzfilm „Cappy Leit“ auf der Diagonale zu sehen. Ich erinnere mich noch genau an das Gesicht der Hauptdarstellerin und ihre Sommersprossen. "Cappy Leit" erzählte glaubhaft von einem Mädchen, das in ihren eigenen Bruder verliebt ist. Im Zwei-Jahres-Takt hat Kreutzer seitdem einen Kurzfilm gemacht, und nun zehn Jahre nach der ersten Premiere auf der Diagonale ist auch ihr erster Kinospielfilm hierzulande erstmals auf der Diagonale zu sehen.
Ein Grund mehr, sich auf der Diagonale für die Kurzfilmprogramme besonders Zeit zu nehmen, und die Filmauswahl nicht einzig nach bekannten Namen zu treffen. Das passiert an dieser Stelle hier somit nun leider nicht, das ist mir bewusst. Doch sowohl "Die Vaterlosen" als auch "Adams Ende" sind so gegelückt und sehenswert, dass man sie hervorheben muss. Der Faktor "Debüt" ist zwar ein zusätzliches "Aber hallo!", die Erstlinge bestehen jedoch auch ohne diesen Verweis.
Nicht nur Rio Reiser, auch Sir Tralala hört man in "Die Vaterlosen". Heute Abend spielt der Sir ein DJ-Set im Rahmen der Diagonale Nightline in der Grazer Postgarage.
Marie Kreutzer lebt als freischaffende Filmemacherin und Drehbuchautorin in Wien. Auch „Die Vaterlosen“ hat sie geschrieben und ist damit für den Thomas-Pluch-Drehbuchpreis nominiert, der diesen Freitag verliehen wird.
Präzises Erzählkino
Obwohl Marie Kreutzer und Richard Wilhelmer jeweils andere, eigenständige Geschichten erzählen, gibt es Parallelen. Nicht zuletzt ist die Spoiler-Gefahr bei ihren Filmen hoch, denn sie bieten Erzählkino im besten Sinne. Bloße Inhaltsangaben vorab könnten ihren Filmen zwar nicht die Wirkung rauben, doch einem als ZuseherIn Geheimnisse nebenbei verraten. Das muss wirklich nicht sein, finde ich. Darum nur so viel: Wenn der Abspann läuft, wird man wissen, was los war. Und wie klug die Filmemacher erzählen.
Weder „Die Vaterlosen“ noch „Adams Ende“ verlieren sich in Befindlichkeiten, und verfallen nicht der verführerischen Schönheit melancholischer Momente. In "Adams Ende" kommt es ganz anders ganz dick. Der Film baut eine erzählerische Dichte auf - und biegt in den finalen zwanzig Minuten Richtung Psychothriller ab. Jemand wird verschwinden. Es bleibt nicht bei einem beim Rasenmähen geköpften Maulwurf, den Robert Stadlober als Adam betrauert.
Richard Wilhelmer
Wilhelmers Anfang
Richard Wilhelmer liebt das Spiel mit den Genres. Auf der Diagonale ist auch sein Experimentalfilm "Strange Love" zu sehen, in dem sich ein Cowboy und eine Frau in den Armen liegen und sich zeitgleich mit einem Bombardement eines Tals in den Höhepunkt steigern. Für seinen ersten Spielfilm wäre jedoch ein derartiger technischer Aufwand, wie er ihn auch für seinen ersten Kurzfilm "A Golden Foretaste of Heaven" betrieben hat, unfinanzierbar gewesen. Der 27-Jährige wusste, er muss die fiktiven Möglichkeiten des Kinos anders angehen. Für "Adams Ende" hat er sich auf die Dramaturgie konzentriert. Die Lieben und Leiden junger Leute im Westen von heute dirigieren das beachtliche Kammerspiel.
Richard Wilhelmer
Adam und Anna sind zusammen seit Ewigkeiten. Da trifft Adam (Robert Stadlober) seinen besten Freund Konrad (David Winter) wieder. Adam will wieder einmal etwas mit Konrad unternehmen, will mit ihm auf Urlaub fahren.
Österreich-Premiere von „Adams Ende“ ist auf der Diagonale am 25. März, 18.30, KIZ Royal. Am 26. März, 18.00, UCI Annenhof, ist Wilhelmers Debüt nochmals zu sehen. Demnächst läuft „Adams Ende“ auch regulär an.
Anna findet den Vorschlag super, und schlägt vor, doch auch Carmen mitzunehmen. Sehr zur Freude von Konrad. Clever entwickelt Richard Wilhelmer in „Adams Ende“ ein Drama, das den (Beziehungs-)Alltag junger Menschen zeigt. Für Außenstehende führen Anna und Adam eine perfekte Beziehung, aber im Innersten richten sie sich in ihrem zweisamen Nebeneinander zugrunde. Konrad hat einen Job als Bademeister, eine kleine Wohnung und niemanden, für den es sich lohnt, einmal so richtig aufzuräumen. Anna versteckt Süßigkeiten in der Spüle, und ist des Öfteren länger im Bad. Sex könnte man im Urlaub haben, da gehört er ja irgendwie doch dazu. Nach wem sich Adam sehnt, zeigen die Fotos auf seinem Laptop am Arbeitsplatz in der Agentur.
Richard Wilhelmer
"Adams Ende" hat Richard Wilhelmer in Berlin und in nur zweieinhalb Wochen gedreht. Der gebürtige Judenburger ist Absolvent der Grazer Ortweinschule und studiert Experimentelle Medien an der Universität der Künste Berlin. Die Produktion eines klassischen Spielfilms ist in seinem Studium gar nicht vorgesehen. Doch Wilhelmer wollte sich im Langfilm ausprobieren. Der Schnitt nahm dann neun Monate während eines Stipendienjahres in Los Angeles in Anspruch.
Produziert hat Richard "Adams Ende" selbst, denn mit den Mechanismen der Filmbranche müsse er sich noch näher vertraut machen.
Das wird hoffentlich bereits noch bis Sonntag auf der Diagonale passieren. Denn wie Marie Kreutzer hat Richard Wilhelmer bereits eine nächste Geschichte im Kopf. Und wie sich die in bewegten Bildern abspielen würden, das sähe ich doch allzu gerne.