Erstellt am: 31. 3. 2011 - 10:48 Uhr
Aufgestauter Ärger
Das Kaunertal im Tiroler Oberland galt früher einmal als Tal der Wasserfälle. Heute kann man das vom Kaunertal nicht mehr sagen, auf der östlichen Talseite kommen nur mehr Rinnsale die Bergflanken herunter. Der Grund dafür liegt einige Kilometer weiter taleinwarts. Dort liegt seit den 1960er Jahren der Gepatschspeicher, ein sechs Kilometer langer Stausee, der von einem 150 Meter hohen Schüttdamm begrenzt wird. In ihn werden die Bäche des Kaunertals übergeleitet, unter ihrem Wasser sind die Almlandschaften des Kaunertals versunken. Auf Fotos erscheint der Speicher immer als idyllischer Bergsee, den stellt er aber nur bei vollem Wasserstand dar. Momentan ist der als Jahresspeicher angelegte Gepatschspeicher fast leer - eine riesige Schlammlandschaft.
Initiative Lebenswertes Kaunertal
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Der leere Gepatschspeicher ist hässlich, nicht nur für die Einheimischen, sondern auch für die TouristInnen, die auf ihrem Weg vom Ort ins Gletscherschigebiet an der Schlammwüste vorbeifahren, meint Christoph Praxmarer, Mitglied der BürgerInneninitiative Lebenswertes Kaunertal. Er selbst ist vor Jahren, der Arbeit wegen, aus dem Tal weggezogen, die meisten EinwohnerInnen der 600-Seelen-Gemeinde Kaunertal leben allerdings vom Tourismus, direkt oder indirekt.
Der Tourismus im Kaunertal wirkt sich bescheiden aus im Vergleich zu den Tälern in unmittelbarer Umgebung, dem Pitztal, Ötztal oder dem Paznauntal. Dort war die TIWAG, der Tiroler Stromversorger in Landesbesitz, jüngst mit Plänen für neue Kraftwerke abgeblitzt. Im Kaunertal, wo die Tourismuslobby weniger einflussreich ist, soll jetzt gebaut werden. Aber auch hier wurde schon eine Bauvariante abgelehnt, ein Pumpspeicherkraftwerk am Fernergries, mitten im Natura 2000-Schutzgebiet der Ötztaler Alpen, die BürgerInneninitiative hatte daran großen Anteil. Seit kurzem ist sie als Verein organisiert und zählt über 250 Mitglieder. Weil der Bürgermeister des Ortes auf Seiten der TIWAG steht, ist die Initiative bei der letzten Gemeinderatswahl sogar als eigene Liste angetreten. Auf Anhieb erreichte sie einen Stimmanteil von 31,6%.
Initiative Lebenswertes Kaunertal
Der große Rückhalt in der Bevölkerung gibt der Initiative Mut, um gegen die Projekte der TIWAG und deren Arroganz anzukämpfen. Auf einen ehrlichen Diskussionsprozess mit ihnen will sich das Stromunternehmen nämlich nicht einlassen. Aktuell steht die Errichtung eines Speichers im Platzertal auf deren Agenda. Das hochgelegene Platzertal ist ein sehr wildes und naturbelassenes Gebiet, einzig ein aufgelassenes Bergwerk zeugt von menschlichem Einfluss. Die EU-Wasserrahmenrichtlinie zeichnet den Platzbach als schützenswertes Gewässer aus. Wie lange er allerdings noch geschützt bleibt ist fraglich, denn die TIWAG hat schon öfter mit Ausnahmegenehmigungen Kraftwerke errichtet. Wenn es nach ihr geht, soll im Platzertal ein Speicher mit einem Volumen von 40.000m³ entstehen, eingefasst von einem 120m hohen Damm. Der Platzbach kann diesen Speicher niemals füllen. Er ist als Pumpspeicher angelegt, in den Wasser aus dem Gepatschspeicher hochgepumpt wird, um bei Bedarf Strom erzeugen zu können.
Initiative Lebenswertes Kaunertal
Pumpspeicher werden nicht für die Erzeugung, sondern für die Speicherung von Strom gebaut. Etwa ein Viertel der Leistung geht beim Pumpen verloren. Betriebswirtschaftlich rechnet sich dieser Vorgang, weil der Strom zum Hochpumpen billig ist, meist Nachtstrom aus Atomkraftwerken oder kalorischen Kraftwerken, der erzeugte Strom aber als Spitzenstrom verkauft wird. Momentan kann damit sehr viel Geld verdient werden. Die prognostizierten Kosten von über einer Milliarde Euro wird der Speicher wieder einbringen.
Die lokale Bevölkerung bekommt für den Kraftwerksbau nur eine geringe Entschädigung für die entstandenen Schäden. Von den Erträgen aus dem Stromverkauf sieht sie wenig bis gar nichts. Selbst die zu entrichtende Kommunalsteuer bleibt nicht im Ort sondern geht nach Innsbruck und Thaur, den Sitzen der TIWAG. Dauerhafte Arbeitsplätze entstehen durch das Kraftwerk auch nicht, nach der Bauphase soll alles vollautomatisch ablaufen. Die Kraftwerksgegner befürchten sogar, dass Arbeitsplätze verloren gehen könnten, und zwar im Fremdenverkehr. Die Baustelle, die über acht Jahre das Tal dominieren wird, wird den Zugang zum Schigebiet erheblich erschweren, die LKW-Fahrten eine Lärm- und Umweltbelastung sein, der Aushub das Bild des Tales abermals verändern. Eine nachhaltige Schädigung des Tourismus wird befürchtet.
Initiative Lebenswertes Kaunertal
Es ist aber nicht eine Forderung nach Arbeitsplätzen oder Gewinnbeteiligung, die die Mitglieder der Initiative antreibt. An vorderster Stelle steht bei ihnen der Naturschutz und die Erhaltung ihrer Lebensqualität. Auch Sicherheitsbedenken spielen eine Rolle. Die Hänge um den den Gepatschspeicher gelten nicht als stabil. Schon bei seiner Errichtung sind sie nach unten gerutscht. Die Bauarbeiten für den zweiten Speicher könnten sie noch mehr belasten.
Momentan werden in den Hängen rings um den Gepatschspeicher Sondierungsbohrungen vorgenommen, um ihre Sicherheit für eine anstehende Umweltverträglichkeitsprüfung zu beweisen. Die Initiative hatte auf einen harten Winter gehofft, um diese Sondierungen ein wenig hinauszuzögern. Diese Hoffnungen haben sich nicht erfüllt, sie werden planmäßig im Sommer beendet werden. Dann können die Kaunertaler nur mehr darauf vertrauen, dass das Projekt nicht durch die Umweltverträglichkeitsprüfung kommt und die TIWAG bei ihren Kraftwerksplänen eine Nachdenkpause einlegt.
Was in Österreich fehle, meint Christoph Praxmarer von der Initiative, sei eine nachhaltige Strategie zum Ausbau der Stromgewinnung. Bevor es die nicht gibt, solle man nicht überstürzt irgendwelche Kraftwerke bauen, sondern ernsthaft an Alternativen arbeiten, etwa, wo könne man Energie einsparen oder wie bestehende Kraftwerke besser nützen. Man solle nicht blind Kraftwerke bauen, von denen dann behauptet wird, sie wären notwendig.