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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

24. 3. 2011 - 12:00

Angles sind keine Engel

Vom Aussterben einer Spezies in Leder und einem allemal würdigen Album der Woche: The Strokes - "Angles".

Q: "Why the reggae in the first song of your new record?"
A: "I don't know, man. I probably smoked a lot of grass when I wrote it."

Soweit Nick Valensi am Telefon. Die Skype-Leitung rauscht. Der Gitarrist fläzt in der Hängematte in LA. Er wirkt dennoch gereizt. All die lästigen Fragen nach den Spannungen in der Band! Pech für den Interviewer, wir befinden uns am Ende des Promotion-Circles zum neuen Album. 1000 Fragen in 10 Tagen. Da ermüdet sogar die Hängematte.

The strokes

Sony Music

Eines vorweg, „Angles“ ist ein würdiges Album der Woche. Die Strokes machen, was von ihnen erwartet wird. Konsequent erweitern sie ihr Repertoire um ein paar Nuancen und lassen uns trotzdem nicht vergessen, dass wir es immer noch mit The Strokes zu tun haben. Mal ehrlich, hat da jemand mit einem künstlerischen Befreiungsschlag gerechnet? Mit einem verquasten Konzeptalbum oder einer Rückkehr zur erfrischenden Naivität des Erstlingswerkes? Eben. Unter diesen Gesichtspunkten sind den Fünf dann doch einige kleine Überraschungen gelungen.

Man kleckert ein bisschen mit Reggae („Machu Picchu“), klotzt ein wenig mit 80er Jahre OK-Rock im Geiste der Cars oder Tom Petty („Two Kinds Of Happiness“, „Life Is Simple In The Moonlight“) und vergeht sich sogar an Emo („Metabolism“). Mit „Taken For A Fool“ und „Gratisfaction“ sind die fünf Lederbuben gar zur Höchstform aufgelaufen – so frisch und befreit wie bei der Rolling Stones-Gedächtnisnummer hat man Julian Casablancas überhaupt noch nie gehört. Nicht mal last night.

The Strokes - Angles - Hookmix

The Strokes - Angles

Und doch ist das alles Makulatur. Die Strokes machten bereits 2001 mit ihrem Debüt „Is This It“ alles klar. Sie haben mitgeholfen, die Rockwelt aus der Crossover und Nu-Metal-Hölle von Limp Bizkit und Co. zu befreien. Sie haben Retro als krediblen Quellcode mitetabliert und so das zeitlose Zeitalter von Pop co-initiiert.

Von einem Schwein namens Rock 'n Roll

Dennoch sollte kein Weg zurück zum „alten Schwein“ Rock`n Roll führen, bloß weil man dem Zeitgenössischen eine abgewetzte Lederjacke umhängte. Und in dieser Erkenntnis liegt das eigentliche Verdienst der Band aus gutem Hause beziehungsweise ihres Cheflenkers Julian Casablancas. Denn während Horden von THE Bands völlig naiv in die Retrokiste sprangen (The Datsuns anyone? Jet anybody?), wohnte dem Rock der Strokes stets ein relativierendes Element inne. Resignation, Schlaffheit, Selbstzweifel und Passivität (auf der Bühne) bildeten den Überbau ihres Schaffens. Darunter kreischte die Musik, die sich mit dem Dilemma der zunehmenden Bedeutungslosigkeit von Pop nicht abfinden wollte (auch privat huldigte man der Dreifaltigkeit des Rock’n Roll bis zur Entziehungskur).

The Strokes, Angles

Sony Music

"Angles" (RCA/Sony Music)

Kaum einer anderen Band gelang es so gut, diese Gegensätze in kernigen Dreiminütern miteinander zu versöhnen. The Strokes waren trotz der schieren Unmöglichkeit von Rock’n Roll authentisch as fuck. Sie brannten sich mit ihrem Sound tief ins Gedächtnis der 00er Jahre ein, etwas, das nur der anderen großen Wiedergängerkapelle des US-Rock gelungen ist: The White Stripes.

Doch oh weh! Der größte Feind des der Jungendlichkeit verpflichteten Künstlers ist die Etappe. Und die Zeit ist gnadenloser denn je. Während man als „experimentelle“ Popband wie Animal Collective wahrscheinlich auch noch im Jahre 2045 von Kunst zu Kulturfestival gekarrt werden wird und möglicherweise in ferner Zukunft sogar die ersten Öko-Weltspiele mit von frei lebenden Walen betriebener Soundanlage eröffnen darf, sind die Aussichten für verschwenderisch lebende Figuren des Rock `n Roll eher düster (es sei denn, man steuert mit Vollgas in Richtung Highway to Country Rock so wie etwa die Kings Of Leon).

Über allem Casablancas

Niemand scheint das besser zu wissen als Julian Casablancas. Seit seinem spöttisch benannten Solodebüt „Phrazes For The Young“ tritt er in der Elvis-69-Comeback-Lederkluft auf. Die Symbolik dieser Inszenierung ist nicht zu übersehen. Dass The Strokes nicht mehr seine oberste Priorität genießen, wie in seltenen Interviews ins Diktaphon gesagt, lässt den Schluss nahe, dass die Vertragspflicht bei RCA über noch zwei abzuliefernde Alben ein nicht unwesentliches Motiv war, sich überhaupt erst auf den langwierigen und mühsamen Entwicklungsprozess von „Angles“ einzulassen.

The Strokes

(c) Colin Lane

Und so nahm der Captain dann auch seine Maschaft erstmals so richtig in die Pflicht. Die Angetretenen wurden aufgefordert, eigene Songs beizusteuern. Bisher hatte Casablancas nicht nur alle Texte sondern auch die dazugehörige Musik geschrieben – vom ersten Aufschlag des Drummers Fabrizio Moretti über die kontrapunktierenden Gitarrenläufe von Nick Valensi und Albert Hammond Jr. hin zur letzten Note von Bassist Nikolai Fraiture. Bis auf Valensi, den heimlichen Leader der Rumpfband, hatten alle Strokes zwischen dem letzten Album „First Impressions Of Earth“ und „Angles“ mit der Aufnahme diverser Soloalben zumindest so viel Selbstvertrauen getankt, um sich dieser Aufgabe gewachsen zu fühlen.

Arbeitsteilung und Wildnis

Casablancas hat sich freilich kein einzige Mal während der Aufnahmen im selben Raum mit seinen Bandkollgen befunden. Die launige Stimme bannte er im Electric Ladyland Studio in Manhattan auf Band und stellte die Tonzugaben per Post in die Wildnis von Upstate New York zu. Dorthin verkroch sich der Rest der Band in die Hütte von Albert Hammond Jr., die im Anbau mit einem Tonstudio aufwarten kann. Man bestaunte Hirsche und Rehe, verzog sich in den Schlafsack, hackte Holz, schrieb und produzierte Songs. Upstate war für Valensi eine Art Band-Camp, wo man abenteuermäßig re-bonden konnte. Bloß, zur vollkommenen Harmonie fehlte ein Eintscheidender.

Der Arbeitsteilung entsprechend klingt das neue Album abwechslungsreich aber auch ziemlich baukastenmäßig. Von einer bindenden Vision gar keine Rede. Allerdings bewahrte die unkonventionelle Produktion auch ein zu befürchtendes Abgleiten in die reine Pflichterfüllung. Vor allem Valensi und Hammond feuern sich die Licks und Hooks um die Ohren, dass es eine Freude ist. Fast alle Songs droht es durch einen etwas ungesunden Zwang zur Kombinatorik zu zerreißen. Hier setzt es zu viel Breaks, da zu viel Tempiwechsel. Aber besser diese Spannung als gar kein Saft und überhaupt schafft es das krachlederne Quintett dann doch wieder, diese tanzbare Leichtfüßigkeit aufrecht zu erhalten, die seit jeher die Musik der Strokes auszeichnet.

Und Casablancas? Der hat erneut den Blues: „ I've been out around this town. Everybody's singing the same song for ten years”, beschwert er sich ausgerechnet im The Strokes ähnlichsten The Strokes Song auf ‘Angles’.

Die Rettung naht. Der Vertrag sieht nur noch ein Album vor. Dann sehen wir weiter.