Erstellt am: 23. 3. 2011 - 17:59 Uhr
Journal 2011. Eintrag 62.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich das ganze Jahr über Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einer bizarren Intervention, die eine Fernseh-Zeitschrift unter Anwendung des "Anwaltschaft für die Leser"-Schmähs mit dem die Kronen-Zeitung die mittlerweile zu einem Gewohnheits-Recht verkommene Praxis der Einmischungs in die politische Gestaltung erwirkt hat, verwendet, um so Einfluss auf die Gestaltung von Fiction-Reihen zu nehmen.
Es sieht alles ganz harmlos aus: die Fernsehzeitung tut, was ihre Aufgabe ist, sie mischt PR-Interessen (Lobbying, nur im Kleinen, ganz normal in diesem Grenzbereich des Journalismus) und Eigenrecherche (die Suche nach dem eigenen Zugang, der exklusiven Geschichte) und berichtet anlässlich des eben erfolgten Auslaufens der 3. Staffel der Serie Schnell Ermittelt über die Dreharbeiten zur vierten.
Nun ist "Schnell ermittelt" kein heimisches Beispiel für die meisterhafte Kunstform der TV-Serienepen wie sie von HBO/Showtime und teilweise auch kommerziellen in den letzten 10, 15 Jahren produziert wurde, um die zunehmend fehlende Tiefe des Filmbereichs auszugleichen, aber der durchaus propere Versuch einer zeitgemäß umgesetzten Unterhaltungs-Reihe. Und angesichts der Konkurrenz, deren papierene Dialoge ebenso nerven wie ihrFestpicken an Krimi-Klischees oder das weinerlich-absurde Herbeischreiben einer längst versunkenen Ära, eindeutiger Klassen-Primus. Also ein High-Class-Produkt, das sowohl den entsprechenden Respekt als auch künstlerische Integrität zugesprochen bekommen sollte.
Dieser Status hat auch mit der an aktuellen Kino-Standards orientierten Techniken zu tun. Wie der in leise Spookyness ausfransenden Derealisation der Hauptfigur; oder die wackelige Handkamera, die in Serien spätestens seit den Neo-Klassiker NYPD Blue genreüblich sind.
Die Wackelkamera bei "Schnell ermittelt"
Genau da setzt aber die Geschichte im zum News-Verlag gehörenden TV-Media an. Wochenlang hatte man sie auf der neu installierten "Leser schreiben über ihre Nöte"-Seite vorbereitet. Tenor: "des wackelt so umadum, ich krieg ein Kopfweh!"
Und die Story über die 4. Staffel (Titel: Bremse für die 'Wackelkamera') bezieht sich dann auf genau die im eigenen Blatt hochgekochte Debatte. Von "zahllosen" Leserbriefen, Mails an den ORF und Facebook-Postings, die das beklagen würden, ist die Rede - quantifiziert oder qualifiziert wird nichts, nur benützt, in scheinobjektiver Anwaltschafts-Pose: "Leider wurde dieser Effekt fallweise übertrieben, was die Seher irritierte." Der Rest besteht dann aus eingeforderten Rechtfertigungen und diversen Versprechen auf eine "dezentere Umsetzung" zu achten.
Das ist zweifach bemerkenswert.
Zum einen, weil hier erstmals ein Boulevard/Mainstream-Medium den von Hans Dichand erfundenen Schmäh der Kronen-Zeitung mit "Leserbriefen" zu operieren und dergestalt eigene Kampagnen als Publikums-Anwalt und Einflussnehmer zu fahren, auch in den weniger machtvollen Kulturbereich überführt.
Ziel, wie beim Vorbild: mitregieren, also mitbestimmen und damit indirekte Leser-Maximierung betreiben - denn das Medium, das die Macht hat seine Meinung in Programme reinzuintervenieren, das ist der endgeile King. Dort kann man, ganz post/security/outsourcing-demokratisch seine Wut abladen und auf Umsetzung pochen.
Ein alter Populisten-Schmäh. Der dann besonders effizient zum Tragen kommt, wenn der Betreiber gar nicht ernsthaft seinen Usern verplfichtet ist, sondern einzig der Maximierung von Macht unf Profit. Da dies in der heimischen Medienlandschaft mittlerweile mehrheitsfähig ist, und alle, die das mit dem Hinweis auf die Aufgabe der Medien, den Gesellschaftsvertrag, den sie mit Staat und Öffentlichkeit haben, ganz schön scheisse finden angesehen werden wie Aliens, stört das kaum jemanden.
Der Krone-Schmäh der Anwaltschaft für 'Volksmeinung'
Zum anderen, weil hier die Grenzen von Journalismus deutlich überschritten werden: wer - und ganz egal, wie viele Leserbriefe, Mails und Postings es tatsächlich waren (Facebook-Postings hab ich auf den ersten Suchlauf nicht allzuviele gefunden, eine einstellige Prozentzahl, würde ich meinen...) - vorkanalisierte User-Stimmungen dazu benützt eine Kampagne zu fahren, verletzt die Grundregeln massiv und verlässt den Geist des Gutenberg'schen Eids, den die Zunft geschworen hat.
Besonders ärgerlich ist da die bewusst gesetzte Scheininformation, die diese Stoßrichtung argumentativ unterstützt: der Text in der Infobox tut nämlich so, als wäre die Handkamera erst ab den 90ern vom Stativ befreit und erst seitdem neumodischer Standard geworden. Dass die Nouvelle Vague ohne ihre streetcredibilen Wackelbilder nicht denkbar gewesen wäre und schon der Film Noir der 40er auf das Stilmittel der subjektiven, von Hand bewegten Kamera zurückgegriffen hat, oder dass Krimi- und Cop-Serien, aber auch anderes wie Stromberg, seit Jahren mit der subjektiven Kamera präzise formale Gutachten entwirft - gut, das muss man entweder nicht wissen (die unterdurchschnittliche Reputation des heimischen Filmjournalismus fußt auf genau solchen Lücken), oder man "darf" es (auf Anweisung, zugunsten einer General-Campaign) verschweigen.
Sicher - es handelt sich im Wackelkamera-Fall um eine läppische Kleinigkeit.
Aber der Ansatz ist gefährlich. Und wer das Gefühl bekommt, dass ein Schmäh reingeht, der wird auch das nächste Mal so agieren; und die Grenzen ausreizen und ausreizen, wie es der Haider-Jörg allen ganz öffentlich beigebracht hat.
Kopfweh, Geiselhaft und zeitgenössische Ästhetik
Weil sich aber vor allem das Fernsehen in die Geiselhaft der Quote begeben hat, anstatt sich vor allem auf öffentlich-rechtliche Werte (zu denen die Erstellung einer Serie auf Basis zeitgenössischer Ästhetik, die auch gegen die herkömmlichen Sehgewohnheiten gerichtet sein kann, weil es diese - im Rahmen des Kulturauftrags - zu erweitern hat, auch und vor allem einem Mainstream-Publikum gegenüber, unabdingbar dazugehört) zu besinnen, sind dann auch die erschreckend defensiven Reaktionen folgerichtig. Dieses "Jössasna, der Frau Facebook-Posterin tut die Kamerführung nicht gfalln! Und der TV-Media tunkt uns ein, wenn wir nicht brav Besserung geloben! Und so a Campaign kömma echt ned brauchn!" ist echt traurig.
Und auch ganz schön doof.
Weil auch die Geschichte des langsamen Abgleitens österreichischer, vor allem sozialdemokratischer Politik in die Erfüllungsgehilfen-Außenstelle der Verlagsmacht ganz genauso angefangen hat. Und das mittlerweile auch der Dümmste gecheckt hat. Und weil die Wiederholung von Fehlern wesentlich schlimmer ist als der Fehler an sich. Und weil sich nicht jeder in die Geiselhaft des Boulevards oder eines gesunden Volksempfindens begeben muss. Vor allem wenn es von Ignoranz gegenüber künstlerischen Grundwerten geprägt ist - dann hat nämlich auch die breiteste Kampagne keinerlei Legitimation.