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Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

23. 3. 2011 - 09:30

"Ärzte sind etwas für Luschen"

Doris Knecht hat nach unzähligen Kolumnen ihren ersten Roman geschrieben. "Gruber geht" handelt von einem oberflächlichen Karrieristen, dem eine Krebsdiagnose gestellt wird.

Gruber ist ein Arschloch. Mitte 30, Investment Manager, reich, selbstverliebt und ein Kontrollfreak. Einer, der seine Initialen in überteuerte Seidenhemden sticken lässt und sich dafür einen zweiten Vornamen andichtet. Einer der schimpft, säuft und kokst. Ein Porschefahrer, homophob, mit einem ungeheuren Frauenverschleiß und einer Edelstahlküche, die er nie benützt:

Essensgeruch, der über seiner Designerlandschaft schwebt, bitte nicht. Das setzt sich doch ab. Das hängt dann im Flokati und zwischen den Sofaritzen, wo er es dann vielleicht plötzlich riecht, wenn er nächstes Mal dort einer Frau den Slip vom Arsch zieht, das verdirbt einem doch alles (...). Gruber jedenfalls kann sich nicht vorstellen, dass er einen hochkriegt, wenn ihm mit einem Mal Suppengeruch in die Nase steigt, während er gerade die Schamhaarfrisur von wem auch immer erkundet.

Mover und Shaker

Doris Knecht, geboren 1966 in Vorarlberg, ist Journalistin und Autorin. Sie war u.a. Redakteurin beim Nachrichtenmagazin "profil", beim Züricher "Tagesanzeiger Magazin", und von 1995-98 stellvertretende Chefredakteurin beim Wiener Stadtmagazin "Falter", für das sie nach wie vor wöchentlich eine Kolumne schreibt. Werktags tut sie dasselbe für den "Kurier". Außerdem legt sie regelmäßig im Wiener rhiz auf und war bereits mehrmals Jurorin beim FM4-Protestsongcontest.

Doris Knecht, Autorenfoto

pertramer.at

Das einzige, was Doris Knecht mit Gruber teilt, ist seine Dylan-Manie.

Ausgerechnet so einen hat Doris Knecht - die sich in ihren Kolumnen deutlich für Frauenquoten ausspricht und sich nur dann zu so etwas Selbstverleugnendem wie Männerhemden Bügeln herablässt, wenn sie es als feministische Selbstermächtigungsstrategie deuten kann - zum Protagonisten ihres Debütromans gemacht. Warum? Weil es literarisch herausfordernder ist, über Dinge zu schreiben, die einem emotional und ideologisch fern sind, als über jene, die man selbst kennt und vertreten kann.
Also denkt sich die Knecht gleich eine Extremsituation aus und lässt den selbsternannten "Mover und Shaker" wochenlang einen ungeöffneten Brief aus dem Krankenhaus mit sich herumtragen, bis ihn Sarah, eine coole Berliner DJane und eine seiner zufälligen Bettgeschichten öffnet, und Gruber erklärt, dass ihm ein Tumor im Bauch wächst.

Gefühlsgeschwür

Die Krebsdiagnose und die Tatsache, dass sich die Bettgeschichte nicht bloß nach einem "Fick-Fick", sondern tatsächlich nach einem "Liebemachen-Fick" angefühlt hat, verändern Gruber. Auf einmal ist er ausgeliefert, muss sich Schwächen eingestehen, verbringt seine Nachmittage bei der Chemotherapie statt im Fitnessstudio und schlürft Mamas Kräutersuppe statt Cocktails in der Szene-Bar. All das geht Gruber unheimlich auf die Nerven, sein misanthropischer Zynismus entlädt sich in völlig enthemmten Schimpftiraden, die zu schreiben Knecht unheimlich Spaß gemacht haben müssen. Schlussendlich erwachsen dem Macher aus seinem Tumor aber doch noch so etwas wie Gefühle. Selbstakzeptanz, Mitgefühl und Verantwortung treten zwar noch lange nicht anstelle seiner jahrelang kultivierten Eitelkeit, Rücksichtlosigkeit und Selbstbezogenheit, allerdings empfindet Gruber ihr Auftreten mit jedem Mal weniger irritierend. Vielleicht kann er sich unter diesen Umständen sogar ernsthaft auf diese Sarah einlassen.

Biederkeit des Boboismus

Zu den aalglatt polierten Lifestyle-Oberflächlichkeiten in Grubers Dasein, in dem Markenklamotten und der Facebook-Like-Daumen unumstößliche Maßstäbe gesetzt haben, entwirft Doris Knecht zwei Gegenwelten.

Buchcover "Gruber geht" von Doris Knecht

Rowohlt Verlag

Gruber geht ist im März 2011 bei Rowohlt erschienen.
  • Eine Leseprobe gibt es hier.
  • Am Mittwoch, den 23. März um 20 Uhr, präsentiert Doris Knecht ihr Buch im Wiener Rabenhof.

Zum einen das spießige Bobo-Familienglück Grubers Schwester Kathi. Ein Universum, das nach selbst gebackenem Brot und Salbei-Zitronenhuhn riecht, in dem die Kinder Ida, Eugen und Pius heißen und sich die gemusterte Bettwäsche aus den 70er-Jahren harmonisch in das rustikale Interieur vom Haus am Land einfügt. Eine Lebenswelt, die Doris Knecht, die in ihren Kolumnen gern auch über den eigenen Alltag mit ihrem "Langen" und den beiden "Mimis" schreibt, näher sein dürfte als das Grubersche Penthousefeeling. Idealisiert wird da aber nichts. Natürlich bröckelt auch hier die Fassade, natürlich wird sie nur von der "pragmatischen Geschäftigkeit" einer zwischen Harmoniesucht und Selbstverwirklichung hin- und hergerissenen Frauenfigur zusammengehalten, und natürlich zieht der reiche Bruder mit großkotziger Verachtung darüber her. Insgeheim aber sehnt sich Gruber nach dem "Standardglücksprogramm aus Kinderlachen, Baumblüte, guter Musik [und] schönem Essen mit echten Freunden". Er selbst würde es nie zugeben, für Knecht hingegen formulieren ihre Worte geradezu ein Bekenntnis, das bei aller Offenheit zur Selbstkritik möglich sein muss.

Zum anderen stehen auch die Weltanschauungen von DJane Sarah im Widerspruch zu jenen von Gruber. Er Porsche, sie Volvo. Sie Kreative, er Wirtschaft. Wenn sich diese beiden Pole treffen, tut es immer auch ein bisschen weh. Sarah ist daher in dieser Konstellation die interessantere Figur. Wie Gruber zelebriert sie ihren Hedonismus, hadert allerdings damit. Das beständige Affirmieren ihrer Unabhängigkeit, die Unverbindlichkeiten, Coolness als ernsthaft zu erwägender Faktor in einer Beziehung, das alles ist ihr zuwider. Trotzdem spielt sie das Spiel mit, auch wenn sie in Wirklichkeit uncool in solchen Dingen ist, altmodisch sogar, und sie selbst kaum glauben kann, dass sie sich in diesen Wiener Kotzbrocken einfach verliebt hat. Doris Knecht schildert Sarahs Wahrnehmung und Zweifel in der Ich-Perspektive, so als würde sie sie ihrer besten Freundin erzählen. In diesen Passagen ist Knecht am authentischsten und legt auf eine gänzlich unkitschige Weise offen, dass wir uns doch in Wirklichkeit alle ein Hollywood-Happy-End wünschen, das sie auch gerne liefert.

Man mag daher die Handlung von "Gruber geht" platt finden, die Entwicklung der Figuren vorhersehbar und Doris Knechts Pointenschleuderei outriert oder aufgesetzt. Man kann ihr sogar Neokonservativismus vorwerfen oder gar dass sie "den ersten wirklich katholischen Roman der neueren österreichischen Literatur" geschrieben habe (Karl-Markus Gauß in der "Presse"). Man kann ihre Sprache und Alltagspsychologie aber auch einfach aufsaugen, wie und am besten bei einem süßen Café Latte, und beim Lesen laut lachen.