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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

22. 3. 2011 - 19:48

Das kastrierte Internet

Hohes Datenaufkommen und überlastete Leitungen bringen Internetanbieter auf eine schlechte Idee: das Netz regulieren und in Einzelteile zerlegen zu wollen.

"Das muss man jedes Mal neu erklären", argumentiert Kollege Arthur Einöder. Es geht um die Frage, ob wir anlässlich des FM4 Schwerpunktes zum Thema Netzneutralität kurze, unmoderierte Radiospots und -Jingles spielen können oder nicht.

FM4 Schwerpunkt: Netzneutralität

Arthur hat Recht: Was Netzneutralität überhaupt bedeutet und welches technische und wirtschaftliche Kräftemessen dahinter steckt, gehört nicht zum Allgemeinwissen. Die Berichterstattung dazu passiert fast ausschließlich in Fachmedien. Es ist ein auf den ersten Blick sperriges Thema, das perfiderweise so grundlegend relevant für uns alle ist, dass es den Fädenziehern - Internet Providern und Mobilfunkkonzernen - nur recht sein kann, wenn wir uns darüber nicht großartig Gedanken machen.

Was, wenn der Postler nur zustellt, wenn ihm der Brief gefällt

Das Prinzip der Netzneutralität besagt, dass jedes Bit, jedes Datenpaket, jede Webseite, jeder Dienst gleich wichtig behandelt und mit der selben Geschwindigkeit übertragen wird - wie bei der physischen Post sollte die Überprüfung der Inhalte kein Thema sein. Die Grundlage dafür liegt in der offenen Infrastruktur des Netzes begründet. Diese Offenheit wiederum geht auf die universelle Internetprotokollfamilie TCP/IP zurück. Sie wurde von Universitäten entwickelt und nicht von kommerziell agierenden Konzernen. Das Internet verdankt seinen Siegeszug von einem US-amerikanischen Militärnetzwerk zum allgegenwärtigen Weltnetz also dem Konzept eines freien, offenen und gleichwertigen Datenaustausches.

Dave Dempsey hat via FM4 Webtip einige Net-Neutrality-Edutainment-Videos kompiliert.

Doch genau dieses Grundkonzept des Internet wird immer öfter in Frage gestellt. "Netzneutral schön und gut", sagen viele Internetanbieter - also in Europa Firmen wie UPC oder die Telekom Austria - "doch wohin mit den immer größeren Datenmengen, die durch unsere strauchelnden Netze schießen?" Tatsächlich hat sich der Internet-Traffic in den letzten fünf Jahren nahezu verzehnfacht - hauptsächlich aufgrund von Filesharing und Videostreaming. Parallel dazu haben es die meisten Anbieter verabsäumt, ihre Netze auszubauen. Die meisten Leitungen, vor allem abseits der Ballungszentren, werden weiterhin über Kupferkabel und nicht über die weiteraus leistungsstärkere Glasfaser-Technologie geleitet. Die Netze der Mobilfunk-Konzerne, deren Kapazitäten ohnehin limitiert sind, geraten noch viel schneller an ihre Limits als kabelgebundene Internet-Anbindungen.

Zwei leuchtende Glasfaser-Steckkabel.

Linleo - Fotolia.com

Inhaltliche Einschränkungen

Aktuelle Artikel zum Kampf für die Erhaltung der Netzneutralität finden sich etwa im Guardian, wo Web-Erfinder Tim Berners-Lee zu Wort kommt sowie auf Netzkultur.org und heise.de.

So sind es naheliegenderweise auch die Mobilfunk-Konzerne, die jetzt am lautesten gegen die Weiterführung der Netzneutralität schreien. Denn die immer inflationärer genutzten Smartphones sorgen mit ihren Internetzugängen für beträchtliche Datenmengen in den Handynetzen. Es ist zynisch: Einerseits werden Kunden mit der Aussicht auf bequemes Internet für unterwegs in teure Verträge gelockt, andererseits sehen die Mobilfunk-Konzerne ihrerseits das Netz bloß als attraktive Erweiterung ihres ureigenen Marktes an: der Telefonie. Doch mit dem freien Netz lässt sich eben nur Geschäft machen, wenn man sich damit nicht selbst kannibalisiert. So sind aus wirtschaftlicher Sicht weitgehend kostenfreie Voice-over-IP-Dienste aus dem Internet - etwa Skype - der klare Feind der Mobilfunkkonzerne.

Dementsprechend unverblümt argumentiert Telekom-Austria-Boss Hannes Ametsreiter in einem Interview mit dem Wall Street Journal Ende Februar 2010, dass der Besitzer eines Netzes (im konkreten Fall das A1-Netz) auch entscheiden dürfe, wer es wie nutzen darf.

Drängeln und drosseln

Ganz so direkt argumentieren kabelgebundene Internetanbieter derzeit noch nicht. Doch auch ihre Leitungen sind verstopft: vor allem die asynchrone DSL-Technologie, die davon ausgeht, dass viel mehr runter- als raufgeladen wird, gerät durch junge Filesharing-Techniken wie BitTorrent, bei denen das Teilen, also der Upload, zwingend vorgesehen ist, unter starke Belastung. Auch der massive Anstieg des Datenumsatzes durch Videostreaming macht zunehmend Probleme. Manche Internetanbieter greifen deshalb zur Selbsthilfe: Sie untersuchen mittels spezieller Geräte die Datenströme auf ihre Herkunft und Art, um sie dann gezielt drosseln zu können. Ob das tatsächlich passiert und in welchem Ausmaß, ist sehr schwer nachzuweisen - schließlich können schlechte Verbindungen und schwankende Geschwindigkeiten auch am jeweiligen Standort, der Computer-Konfiguration oder der Verkabelung im Haus liegen. Im Zweifelsfall bleibt dem Konsumenten nur ein Wechsel des Internet Service Providers.

Zurück zur schlechten alten Zeit?

FM4 berichtet am Mittwoch, den 23. März, gänztägig über unterschiedliche Aspekte zum Thema Netzneutralität.

Viele Botschafter/innen und Aktivisten gegen eine Aufweichung der Netzneutralität führen argumentativ ins Feld, dass ein nicht neutrales Netz uns in die Zeit der Online-Dienste und Kabelanbieter zurück führen würde. In den 1990er Jahren waren "Internet-Vorgänger" wie AOL oder CompuServe von den jeweiligen Firmen stark reglementierte und eingeschränkte Online-Zugänge. Und aufgrund der großen Landfläche der USA ist es heute weiterhin ein Problem, wenn es in manchen Gebieten nur einen Anbieter für elektronische und digitale Medieninhalte gibt, der über den zur Verfügung gestellten Content Schalten und Walten kann.

Das drohende Zwei-Klassen-Internet

Weiterlesen: Nadja Igler auf help.ORF.at über "Die unsichtbare Überholspur im Mobilfunk".

So platt die Formulierung auch klingt: Netzneutralität ist ein Thema, das uns alle betrifft. Es ist zu vermuten, dass die wenigsten von uns eine Zukunft wollen, in der wir zu unserem Internetzugang noch zusätzlich diverse Premium-Pakete kaufen müssen, um auch YouTube, Facebook und Google Mail nutzen zu können.