Erstellt am: 24. 3. 2011 - 11:03 Uhr
Durch die Straßen meines Vaters
In langen Nächten bin ich meinem Vater näher gekommen. Er ist von außen ein absoluter Papa: Bauch, grauer Bart, kaum Haare, lacht viel. Er ist aber auch eine Respektsperson, jemand der Respekt verlangt und ihn auch bekommt. Er ist ein Mann, den man leichtfertig als ägyptisch sozialisiert kategorisieren kann.
Sammy Khamis
In meinem halben Jahr in Ägypten bin ich meinem Vater in Deutschland so viel näher bekommen. Obwohl wir wenig telefoniert haben und Tausende Kilometer entfernt waren. Ich habe gesehen, wo er aufgewachsen ist, wer seine Freunde waren, wie es sich anfühlt, in Alexandria zu leben, Kairo zu besuchen, durch seine Straßen zu gehen, mit Taxifahrern zu reden. In langen Nächten haben wir, zum ersten Mal in unserer Beziehung, in einer Mischung aus Arabisch und Deutsch gesprochen, erkannt, welche neue Dimension der Kommunikation sich für uns beide auftut.
Sammy Khamis
Auf der anderen Seite habe ich die Revolution miterlebt, habe gesehen, wie Menschen für Dinge auf die Straße gehen, für Freiheit kämpfen, für Demokratie sterben. Den Respekt, den ich diesen Menschen, dem ägyptischen Volk, entgegenbringe, lässt sich nicht in Worte fassen. Die Menschen auf den Straßen Kairos, Alexandrias, Suez' oder Luxors haben ihre Angst, meine Angst, einfach abgelegt. Angst ist für mich die bestimmendste Kraft menschlicher Existenz. Aus Angst lässt sich für mich erklären, warum Menschen auf eine gewisse Art handeln, leben und lieben. Dass Mubarak und seine Polizei Angst als Instrument benutzen, um Leute einzuschüchtern, ist bekannt. Aber dass schon lange vor der eigentlich politischen Revolution die geistige stand, wird oft vergessen. Das Ablegen der Angst ist für mich das herausragende Moment dieser Revolution. Dadurch wird sie umfassend und allgemein.
Sammy Khamis
Sammy Khamis
Heute betrachte ich oft die Bilder der Aufstände. Sehe die körnige Schwarz-weiß-Aufnahme meines Freundes Alex Fehlner. Die leere Taalat Harb Straße, eine der meistbefahrenen Straßen der Innenstadt. Sehe die beiden Besen auf dem Tahrir- Platz, mit denen bereits einen Tag, nachdem die Polizei aus der Stadt abzog, Ägypten wieder schön gemacht wurde.
Ägypten ist ein schönes Land, das sagt auch mein Vater, aber seine Einstellung zu dem Land ist anders. Er hat seine Heimat noch vor Mubaraks Amtsantritt verlassen. Die Mittelschichtfamilie, aus der er kommt, hatte immer genügend Geld, um sich aus allem Politischen fernzuhalten. Gelitten haben die wenigsten aus unserer Familie unter Mubarak. Aber was ist Leid, wenn nicht etwas Subjektives? Mein Vater hat Angst um die Zukunft. Denkt, dass die Probleme des alten Regimes zu Lasten eine junge Demokratie gehen können. Wie in Weimar, sage ich. Er sagt, dass Demokratie gelernt werden muss. Ich möchte ihn am liebsten fragen, wie er sie gelernt hat. Durch seine Freiheit in Deutschland?
Sammy Khamis
Sammy Khamis
Saad Zaghloul, der erste ägyptische Premierminister, meinte, dass sich die Ägypter mit einer Pfeife versammeln und mit einem Stock wieder zerstreuen ließen. Das war in den 1920er Jahren. Heute heißt die Pfeife Twitter, und die Angst vor dem Stock der Polizei existiert nicht mehr.
Täglich informiere ich mich über das neue Ägypten, ohne das alte wirklich gekannt zu haben, ohne zu wissen, was es heißt, in einem Land unter einem Diktator namens Mubarak gelebt zu haben.
In der Innenstadt direkt an die Fassade des Cafés Horreya (Horreya bedeutet Freiheit) am bab el-louk stand ein Graffiti: I want 2 see another President be4 I die. Der junge Mann wird bestimmt nicht enttäuscht werden.
Sammy Khamis
Ich werde nach Ägypten zurück kehren, zuerst für einen Monat, vielleicht im September, aber sicher mit meinem Vater. Er wird mit seinen Verwandten reden, mit seinen Freunden. Sie werden ihm voller Stolz präsentieren, was sie in den sechs Monaten erreicht haben. Vielleicht werden sie in Erinnerungen an den Januar schwelgen, oder sich in ihren eigenen Heldentaten sonnen. Auf alle Fälle werden wir in ein neues Ägypten zurückgehen. In ein Land, das wir beide wieder kennenlernen müssen, und das in den nächsten Jahren zu sich selbst finden wird.