Erstellt am: 22. 3. 2011 - 14:20 Uhr
Die europäische Mär vom grünen Atomstrom
von Johannes Pollak
Johannes Pollak
Johannes Pollak ist Professor für Politikwissenschaft an der Webster University Vienna sowie Leiter der Abteilung Politikwissenschaften am Institut für Höhere Studien.
Groß war die Freude nach dem Vertrag von Lissabon bei allen denjenigen, die sich eine Integration von Europas 27 Energiepolitiken und eine Ökologisierung der Produktion gewünscht hatten. Ein eigenes Energiekapitel wurde eingefügt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten beschworen.
Die "Förderung der Energieeffizienz und von Energieeinsparungen sowie Entwicklung neuer und erneuerbarer Energiequellen" war nun ein gesamteuropäisches Ziel und im Artikel 170 ist gar vom Aufbau einer transeuropäischen Energieinfrastruktur die Rede. Die ist nötig, um Energieengpässe, z.B. einen Mangel an Gas in den östlichen Mitgliedstaaten oder ein Versagen von Elektrizitätskraftwerken im Süden Europas, durch ein dichtes Netz von Leitungen auszugleichen.
Die Freude war allerdings kurz, denn der Vertrag von Lissabon hält auch unmissverständlich fest, dass die Wahl der Energiequellen alleinig den Mitgliedstaaten vorbehalten bleibt. Eine gemeinsame, verpflichtende Strategie für eine konstante Energieversorgung zu leistbaren Preisen, eine Reduktion der Treibhausgase und eine umweltschonende Energieproduktion ist in weiter Ferne geblieben. So kommen von den 3,3 Millionen Gigawattstunden, die in Europa erzeugt werden (zum Vergleich: der Drei-Schluchten -Damm in der VR China hat eine Leistung von ca. ca. 85.000 Gigawattstunden pro Jahr) knapp 28% aus Kernkraftwerken, 58% aus konventionellen Quellen wie Erdgas und Kohle und nur 13,7% aus erneuerbaren Quellen.
Angesichts des Ziels der EU (bis zum Jahr 2020 eine Reduktion von Treibhausgasen von 20%, eine Erhöhung der Energieeffizienz von 20% und eine Erhöhung des Anteils von erneuerbaren Energien auf 20%) scheint eigentlich eine erhöhte Handlungs- und Innovationsbereitschaft angebracht. Doch das Gegenteil ist der Fall.
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Wer bestimmt den Energie-Mix?
Wer bestimmt eigentlich den so begrifflich modisch gewordenen "Energie-Mix", also das Verhältnis verschiedener Energieerzeugungsformen in Europa? Und wer entscheidet für oder gegen Atomstrom? Gleich vorweg: Die Konsumenten sicherlich nicht. Historisch gesehen war die Frage der Energieproduktion eine einzelstaatlich zu beantwortende. Energie war und ist ein strategisches Gut, in dessen Produktion Staaten so weit als irgend möglich nach Unabhängigkeit streben.
Dieser innerhalb der EU veraltete Zugang hat nicht etwa aufgrund des Zusammenwachsens des Kontinents eine Veränderung erfahren. Es war der unermüdliche Druck der Europäischen Kommission, Wettbewerb zwischen Stromerzeugern sowie Preistransparenz - weitgehend gegen den Willen der Mitgliedstaaten - zu fördern. Deren Unwille beruht hauptsächlich auf der engen Verschränkung von Elektrizitätskonzernen und der Politik. Und diese Verschränkung basiert wiederum auf dem Charakter von Energie als strategischem Gut. Angenehmer Nebeneffekt sind Betätigungsfelder für pensionierte Regierungschefs und Minister aller Couleur, die heute umtriebig den Interessen von Pipelinebauern, autokratischen aber rohstoffreichen Regimen in Zentralasien und weltweiten Ölkonzernen zu höherer Akzeptanz in der Bevölkerung verhelfen sollen.
Ergo: Europa im Sinne der Institutionen der Europäischen Union hat wenig bis gar nichts mit der Entscheidung für bestimmte Energieproduktionsformen zu tun. Europa als Bühne für die Mär vom grünen Atomstrom jedoch schon.
Wären da nicht Wackersdorf und Gorleben, Three Miles Island und Sellafield, Tschernobyl, Tokai-Mura und nun Fukushima, wäre die Information wie viel unseres täglich verbrauchten Stroms aus Kernkraftwerken stammt wohl nichts mehr als ein interessante Detail.
Kernenergie sei "technisch ausgereift"
Die Notwendigkeit, international vereinbarte Klimaschutzziele zu erreichen, hat bei einer illustren Runde aus Stromkonzernen wie z.B. der französischen EDF, der russischen Rosatom, oder der deutschen E.ON und RWE und Politikern zu einer Neubetrachtung nuklearer Anlagen geführt. Vermeintlich grüner Strom, dessen einziges Problem der Abfallendlagerung der Maxime "Aus den Augen, aus dem Sinn" folgt, sollte im Lichte steigenden Strombedarfs eine Renaissance erfahren.
Auf europäischer Ebene haben dieselben Akteure dafür gesorgt, dass sich gleich neben dem Bild eines glücklich vor dem Hintergrund wogender gelber Rapsfelder und zweier Atommeiler radelndes Kindes (siehe S. 7 hier) , die Formulierung von der "offenen und objektiven" Einschätzung der Notwendigkeit von Kernkraftwerken findet. Damit ist die Europäische Kommission im Übrigen nicht alleine: auch die Internationale Energieagentur mit Unterstützung der OECD Nuklearagentur hat in ihrer 2010 veröffentlichten "Nuclear Energy Roadmap" Kernenergie als technisch ausgereift bezeichnet und das Ziel der Produktion von 1200 Gigawatt Nuklearstrom bis zum Jahr 2050 anvisiert.
Einer vollkommen veralteten, ökonomisch vollkommen unsinnigen (ein Kilowatt Atomstrom kostet doppelt soviel wie herkömmlich erzeugter Strom) und ökologisch enorm gefährlichen Technologie soll nicht Einhalt geboten werden, nein, sie soll vielmehr weiterentwickelt werden. Assistiert von Foratom, dem Dachverband der Nuklearindustrie, und ENEF (European Nuclear Energy Forum), einem scheinbar lockeren Diskussionsverband von EU Beamten, Energieexperten aus Industrie und Wissenschaft, dessen Empfehlungen - ein Schelm wer Böses dabei denkt - Atomstrom als umweltfreundliche Quelle anpreisen, wird die Mär vom grünen Atomstrom weitergesponnen. So weit, dass die rechtskonservative niederländische Regierung vor kurzem ein massives Investitionsprogramm in Atomstrom verkündet hat. Soweit, dass Deutschland eine verlängerte Laufzeit von AKWs bis vor kurzem anvisierte. Soweit, dass weltweit 62 neue Kernkraftwerke in Bau sind. Soweit, dass Investitionen in die Erforschung von Alternativenergien sinken.