Erstellt am: 21. 3. 2011 - 22:41 Uhr
Fußball-Journal '11-21.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch das neue Jahr wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und die Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute mit einer leider notwendigen Beobachtung anläßlich des 1.Liga-Nachtragspiels Vienna gegen Hartberg.
Wer dieses Fußball-Journal schon länger verfolgt, weiß: ich habe ein Faible für Alfred Tatar. Schon als ungewöhnlicher Spieler, erst recht als wagemutiger Coach oder als unkonventioneller Analytiker - jemand, der deutlich beseelt vom Spiel ist, eine Philosophie jenseits der Egomanie vorweisen und den Fallen der Stupidität, in denen sich so viele Ex-Spieler in späteren Jahren verfangen, mit verbaler Verve entkommt, hat fast automatisch meine Sympathie.
Der durch seine Jahre in Russland (bei Perm und Lok Moskau) zu einem international denkenden und handelnden Fußball-Lehrer gereifte Tatar war - auch wegen seines oppositionellen Ansichten zur heimischen Dürftigkeit - im Trainergeschäft schon fast unvermittelbar, als sich bei der Vienna eine Chance auftat. Sein Vorgänger Frenk Schinkels ist/war fast sowas wie das Gegenmodell zu Tatar. Ein Bruder Leichtfuss, der Medien und Umfeld das sagt, was sie hören wollen, ein Luftikus, der sich mit den windigsten Figuren leichttut - auch weil er weiß, dass er anschließend ja die Opferrolle einnehmen kann; ideal für ein fußballerisch verkommenes Biotop wie Österreich.
Tatar übernahm eine taktisch, technisch und physisch am Boden liegenden Mannschaft und baute sie im Herbst soweit auf, dass sie - trotz des letzten Platzes in der 1. Liga - gefühlt noch im Rennen um den Klassenerhalt war. In der Winterpause konnte er dann entsprechend seiner Vorstellungen ein wenig umbauen. Und da wurde es dann kritisch, im doppelten Wortsinn.
Die Sache mit dem Tatar-Faible
Was nur die wissen, die in den entsprechenden Social Media-Gruppen sind: ich hatte, trotz meines Faibles für Tatar, wenig Verständnis für diese Maßnahmen. Meine darüber geäußerte kritische Verwunderung führte dann auch zu Verärgerungen - ich habe den Fehler begangen Foren als Wirkungsstätte für Meinungsaustausch wörtlich zu nehmen, anstatt in ihnen das zu sehen, was dort aktive Teile der Vienna-Fans sehen: eine Ansammlung von Jubel-Arien, eine Bassena, in der man einander Hoffnung zuspricht, aber ja nichts Kritisches hören will.
Das ist ja auch das Problem von Die Hard-Fans: das absolute Unvermögen einer kritischen Distanz auch zum eigenen Verein; gekoppelt mit dem Unverständnis die jeweilige Realität in seine Einschätzung einfließen lassen zu können.
Es wäre doch absurd, bekam ich da zu hören, dass jemand wie ich, der Tatar so schätzen würde, dann plötzlich kritische Töne spucken würde. Wie grotesk, wo doch genau das Gegenteil absurd ist: dümmliche Nibelungentreue angesichts gegenteiliger Fakten. Diese Treue, diese Schein-Ehre, die fehlt mir, komplett.
Genau das macht es aus: erst die seriöse und kritische Beschäftigung mit dem, was man mag, ermöglicht konstruktive Betrachtung.
Seitdem habe ich die Vienna zweimal in Spiellänge gesehen. Einmal Anfang März auswärts in Altach (via TV) und heute, im Nachtragspiel gegen den direkten Konkurrenten Hartberg, live und vorort auf der Hohen Warte.
Die Sache mit der kritischen Distanz
Tatars Neuerung im Vergleich zum Herbst ist eine Neu-Definition seines Mittelfelds. Dort stehen in der Zentrale nicht mehr zwei Sechser wie bei Rapid oder bei Schachner oder fast allen 1-Liga-Teams, sondern "zwei Achter", also Mittelfeldspieler, die das Umschalten von Defensive auf Offensive so verinnerlicht haben, dass sie beides gleichermaßen beherrschen. Außerdem sind zwei "gestandene" Alt-Profis in der Abwehr-Zentrale gekommen. Und überhaupt sollen ältere Spieler dem Gefüge mehr Struktur und mehr Sicherheits, also auch Selbstsicherheit geben.
Und obwohl die Vienna jahrelang einen jungen Weg gegangen war, wurde dieser augenscheinliche Backlash von allen bejubelt - mit der Ausrede, dass man eigenes Denken, intellektuelle Dissidenz und Widerspruch in einer kritischen Phase der Abstiegsgefahr hinanstellen müsste; und allfällige Ansagen abwiegeln soll.
Abgesehen von der Unsinnigkeit wegen eines noch so bedeutsamen Fantums sein Hirn an der Garderobe abzugeben: wenn ich in sochen Situationen davorgeschaltete Phrasen wie diese höre, werde ich hellhörig. Nicht erst seit die junge Welle (von Pep Guardiola bis hin in die deutsche Bundesliga) diese altbackenen Standards durch ihre Praxis vernichtet hat, sondern seit jeher.
Ja, der wunderbare und tolle ältere Spieler, im besten Fall einer dem vereinstreue über alles geht, der Erfahrung für zehn hat und dem Ideal von Mickey Rourke in The Wrestler entspricht - den würde ich auch nehmen. Aus irgendwelchen Ligen eingeschleppte Legionäre und Alpha-Tiere, die schon vor Jahren in der Schere Klappe-Leistung nur noch unangenehm aufgefallen sind, fallen aber nicht in dieses Schema.
Die Sache mit dem Wiedehopfer
Da dazu auch noch die beiden, auf die Tatar als Kapitän bzw offensive Leader setzt, zwar brauchbare Akteure für ein Teamgefüge, aber keine echten Leader sind, fällt der schöne Plan in sich zusammen.
Die Jüngeren wie Savatore, Kröpfl, Kienzl, Mattes und Hosiner, die dürfen auf den Außenbahnen herumwieseln - und leisten dort teilweise wirklich grandiose Arbeit; während die Mittel-Achse jegliche Führungssärke vermissen lässt. Ja, Dospel breitet die Arme aus um anzuzeigen, dass die Abwehr jetzt stehenbleiben soll, und ja, Beciri schreit laut herum; aber zu langsam sind sie, bei Cornern armselig und den Begriff "Aufbau" können sie nicht wirklich buchstabieren. Ja, Markovic war mit Dynamo Kiev in der Champions League und mit Serbien in der EM-Quali, aber wohl in einem anderen Leben, und ja, Topic, der außer zu langsamem Denken und einem rotwürdigen Ellbogencheck heute nichts zu bieten hatte, kann normal mehr, aber nicht so viel, wie man von ihm erwartet. Und, nein, Rade Djokic, es ist kein Zeichen von Stärke jeden Freistoß-Ball im Sinne puren Eigensinns zu behandeln; und sich Toni Polster zum Vorbild zu nehmen, der gern auf Kosten des Abstiegs seiner Teams zum Schützenkönig wurde, ist auch keine wirklich gute Idee.
Was ein "Agressive Leader" sein oder bewirken kann, das zeigte heute ein kleiner strohblonder Wiedehopf namens Thomas Hopfer (aktuell im U21-Kader) im zentralen Mittelfeld der Hartberger. Er rannte, obwohl er bereits verwarnt war, in einer Stress- und Drucksituation knapp nach dem Anschlußtreffer der Vienna zu Beginn der 2. Halbzeit, mitten in deren bester Phase, zu einem Schrei-Duell mit Alfred Tatar an die Linie. Um ein Zeichen zu setzen; er, der Jungspund in der Veranwortungs-Zentrale.
Die Sache mit der Verantwortungs-Zentrale
Unter anderem weil ein kleiner Hopfer heute abend mehr wert war als fünf "gestandene" Profis, die wegen der "Sicherheit" als Spielführer implementiert wurden, gewannen die Oststeirer das Sechs-Punktespiel der Tabellen-Nachbarn sogar verdient. Nicht weil Hopfer drei Assists gelangen - sondern weil sich der andere Trainer unter Druck (Bruno Friesenbichler) bis auf seinen Bruder Günther und den ungarischen Rechtsverteidiger nur Unter26jährige aufs Feld schickte; und mit dem kleinen Rakowitz spielte direkt vor Hopfer noch ein 20jähriger in einer Zone höchster Verantwortung.
Es ist keine Frage des Systems, wem ich die Verantwortung in der Zentrale übertrage; auch keine Frage einer Real-Life-Persönlichkeit (sonst hätte es etwa Effenberg nie geschafft). Was uns der Fußball im Jahr 2011 aber überdeutlich zeigt ist dass es nicht die lavierenden und sich nicht (mehr) hunderprozentig ins Zeug legenden "gestandenen" Spieler sind, die hier überzeugen. Es ist nicht Hlinka oder Vorisek, es ist Baumgartlinger. Es ist Schiemer, Pehlivan, Manuel Weber, Alex Grünwald oder Ildiz. Es ist Hopfer. Und nicht der Typ, der damals mit Papa in der Champions League...
Der neue Fußball bringt neue Verantwortung mit sich. Wenn Alfred Tatar hier nur herumschinkelst und sich an Walter Schachner (der mit Lukas, Lopez, Aufhauser und Majabvi nich die besseren "Gestandenen" hat und trotzdem abkackt) orientiert, dann wird die jeweilige Mannschaft wohl dasselbe Schicksal ereilen.