Erstellt am: 20. 3. 2011 - 22:10 Uhr
Journal 2011. Eintrag 60.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich das ganze Jahr über Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einer zweithändigen Vermutung, für die die Unschuld gilt.
Wenn etwas passiert, dann möge man sich doch an ihn wenden, sagt der Lobbyist und blickt ernst; auch wenn sich etwas anzubahnen drohe oder wenn man eine Gefahr vermutet. Welcher Art die Benachrichtigung, die Kontaktaufnahme sein soll, sagt er nicht. Da schwebt der Odem der Bedeutsamkeit drüber. Denn der Lobbyist ist zu diesem Zeitpunkt ein ungemein mächtiger Mann, ein Player im Zentrum des Geschehens. Und, wie gesagt, wenn was ist, dann ...
Das erzählt der unfreiwillige Unterhändler, der den mächtigen Mann eher zufällig, am Rande einer Veranstaltung getroffen hat, am nächsten Tag. Aus dem Small Talk, wie es ihm, dem Belegschafts-Vertreter, denn in anderen Belangen so gehe, hat sich dann die Frage nach dem Zustand des speziellen Bereichs, in der er tätig ist, ergeben.
Der Bereich ist für den mächtigen Mann völlig unerheblich, hat weder ökonomisch noch politisch noch distinktionsgewinnsmäßig irgendeine Bedeutung - wenn allerdings in den nächsten Wochen dort etwas passieren würde, es hätte Signal-Charakter.
Schließlich ist das Gremium, dem der mächtige Mann in führender Rolle angehört, frisch am Werk, schließlich bricht es mit Gewohnheiten und Konventionen, schließlich weht ihm ein rauer Wind entgegen, dem es mit ebenso rauen Maßnahmen begegnet. Außerdem gilt es die Balance zwischen den beiden Partnern in diesem Gremium zu bewahren; einem Partner, dem der Chef des mächtigen Mannes traut, er aber nicht. Weshalb er auch hier sein eigenes Spiel spielt.
Es ist Umbruchszeit und da ist Symbolik nicht unwesentlich. Und es kann nicht schaden, mögliche Aufmarschgebiete des unzuverlässigen Partners im Auge zu behalten. Und sich, wohl wissend, dass der Partner, der mit der Weitsicht eines sich in ein Kleinkind verbeißenden Rottweilers vorgeht, der Solidarität eines solchen Bereichs zu versichern.
Dafür genügt diese Andeutung, dass, wenn etwas passieren sollte, man sich doch an ihn wenden möge. Wenn wirklich etwas passiert, und es ist dann womöglich nur ein Scharmützel, das man locker abtauschen kann, dann hätte dieser eine wohlmeinende Satz dem Mächtigen eine in Ergebenheit angewachsene Solidarität erbracht. Und in weiterer Folge, weil die im politischen Abtausch eben nur Kleingeld wert ist, auch die Ergebenheit des unfreiwilligen Unterhändlers, der als Personalvertreter auf einer breiter gefassten Ebene viel mehr wert ist. Und irgendwann ein Zünglein an der Waage sein könnte.
So sickert ein strategisch hingezirkelter Satz, einer von wahrscheinlich Dutzenden an diesem Abend, einer von wohl Hunderten in wenigen Wochen, einer von sicher Tausenden im Lauf der politischen Karriere des Mächtigen, ins Bewusstsein einer kleinen Gruppe ein, die für einen speziellen Bereich verantwortlich sind. Und weil die Gesamtsituation schwierig ist, weil es im Dachverband rund geht, weil das neue Gremium kräftig umrührt und bisher gültige Regeln bricht oder aussetzt, muss er beachtet werden.
Es ist egal, ob man sich sicher ist, dass er ein reines Lippenbekenntnis darstellt, oder ob man sich sicher ist, dass sich da wirklich ein Schutzschirm aufspannt. In dem Moment wo ein Umbruch, ja ein Umsturz alle vorher herrschenden Bedingungen auflöst, muss man sich mit Andeutungen wie diesen auseinandersetzen.
Monate später, als dann tatsächlich eine gefährliche Situation entsteht, tut sie das an einer Flanke, die der Mächtige ohnehin nicht beeinflussen kann. Dafür hält dann der Chef-Verantwortliche des Dachverbands, der zwar der Bewegung des Mächtigen nahesteht, aber mit dessen Chef massiv über Kreuz liegt. Auch im Bewusstsein, dass er ohnehin demnächst abgelöst wird, im Bewusstsein, dass sich der Widerstand in diesem vergleichsweise kleinen Fall nicht mehr auswirken kann, weil die Messen bereits gesungen sind, machtpolitisch.
Das Wort des Mächtigen, sein Wenn-etwas-passiert-dann-Angebot wird nie in Anspruch genommen werden. Also hat es nie existiert.
Die Bewegung, aus der der Mächtige kommt, hat einen Grundsatz, einer ihrer Chefs hat es in den 50ern, einem der Höhepunkte ihrer Macht, auf den Punkt gebracht: Jedes Schrifterl ist ein Gifterl. Auch deshalb spinnt der Mächtige sein Netzwerk aus mündlichen Vereinbarungen. Zumindest damals, in den Umbruchzeiten war das so.
Später, weit nach diesem Schutz-Satz, von dem hier die Rede war, hat sich der Mächtige mehr und mehr von dieser Maxime entfernt. Er wurde sorglos, die Macht dauerte zu lang, es lief vieles zu glatt, man fühlte sich unbesiegbar - psychologisch wohl zurecht; wer politisch so viel überlebt hat wie das Gremium des Umbruchs muss sich fühlen wie ein Landser auf Amphetaminen. Nach und nach tauchten diverse Schrifterln, Mails auf und belegten personelle Säuberungen, Postenschacher und willfährig durchgeführte Besetzungen. Was die Reputation des Mächtigen aber nicht beschädigen konnte - da fehlt die entsprechende politische Kultur.
Links:
Der Lobbyist.
Die Mails.
Die Sunday Times.
Als der Mächtige den Umbruch nach dem Umbruch, der ihn ins Zentrum der Macht gespült hatte, politisch nicht überlebte, wurde er zum Lobbyisten - was man gern mit dem Stehsatz "in die Privatwirtschaft gehen" verniedlicht. Und als solcher verstand er sich, wie wir jetzt gesichert wissen, auch in seiner Rolle als Vertreter in Europa. Nur mündlich, nie schriftlich, wegen dem "Giftlerl"-Faktor klarerweise.
Dass der einst Mächtige, der nunmehrige Lobbyist, aufflog, obwohl er seine Lehren gezogen und wieder zu den Sätzen, den Zusagen, dem klar angedeuteten Gemunkel und deren dutzend-, hundert- und tausendfacher Verstreuung zurückkehrte, das ist schon fast ein Treppenwitz. Aber so ist sie, die ganz neue undankbare digitale Welt, in der die Sprüche, das Geraune, der Small Talk aufgezeichnet wird und zur öffentlichen Bloßstellung dient.