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Pia Reiser

Filmflimmern

21. 3. 2011 - 11:07

Der Ginsberg ruft

"Fakten, Fakten, Fakten" heult "Howl" und pickt an diesen wie ein Kaugummi am Schuh. Mittendrin im Patchwork-Kammerspiel: James Franco als Allen Ginsberg, inklusive Manierismus und Vollbart.

Die Frisur sitzt, ebenso Hemd, Hose und Brille und er, er sitzt auch. Auf einem Sofa vor einer blumentapezierten Wand fläzt James Franco als Allen Ginsberg, auf Wangen und Kinn ein Bart, bei dem sich wohl ein verwegener Dreijähriger mit Ölkreiden austoben durfte. Der Farbfilter flüstert hipstamatic, alles ist gelblich-grüner als in echt, dabei will dieser Film doch um jeden Preis gerade das: Echt sein. "Howl" ist ein vor Ambitionen strotzender Film, nein, eigentlich ist er sogar vor Ambitionen strotzende fünf Filme. Da ist das Segment mit Ginsberg, der in seiner Wohnung interviewt wird, Rückblenden, die uns skizzenhaft Szenen aus dem Leben eines Beatniks um die Augen schmeißen, eine theaterhafte Episode von Ginsbergs erster Lesung von "Howl", das Gerichtsverfahren um das Gedicht und schließlich ist da auch noch der Versuch, das Gedicht in Animantionssequenzen auf der Leinwand zum Leben zu erwecken. Dieser Film ist kein Biopic, sondern pickt sich einen Abschnitt aus Ginsbergs Leben und versucht, nicht nur die Person, sondern ihr Schaffen abzubilden.

James Franco als Allen Ginsberg in "Howl"

Stadtkino

"Howl" ist das wichtigste Gedicht Ginsbergs, schlägt eine Kerbe in die amerikanische Geschichte der Literatur, wird literarisches Aushängeschild der Beat Generation. Ungezügelte Sprachgewalt, freigesprengt von formalen Zwängen, Drogen- und und Sexrefernzen - hereto- und homosexuelle. Gewidmet ist "Howl" Carl Salomon, den Ginsberg während eines Aufenthalts in einer psychiatrischen Klinik kennenlernt. 1957 beginnt ein Prozess gegen Lawrence Ferlinghetti, der das Gedicht veröffentlicht. Der Vorwurf: Obszönität.

Musen schmusen

James Franco, den verschiedene Musen nicht nur küssen, sondern der quasi von allen Musen ständig niedergeschmust wird, ist nicht nur Schauspieler, Regisseur, bildender Künstler und ab und zu Model, sondern auch Student der Literatur und Schriftsteller. Kein Interview mit Schauspielkollegen, das ohne Anekdoten vom büchernarrischen Franco auskommt. "He's a very education-minded person. We used to laugh because in between takes he'd be reading The Iliad on set. We still haven't read The Iliad. It was a very difficult book. With him, it was always James Joyce or something.", so Judd Apatow. Wer also, wenn nicht Franco könnte sich an der Ginsberg-Darstellung versuchen, wer, wenn nicht er hat die Glaubwürdigkeit eine solch wichtige Figur der amerikanischen Geschichte darzustellen. Und es gelingt, wenn man sich auf den Manierismus einlässt, der phasenweise in einen Franco-Gestik-Freakout übergeht und vor allem die Interviewszenen bestimmt. An der Grenze zum method acting imitiert Franco beeindruckend Ginsbergs Art zu sprechen. Und das ist genau das Problem des Films, der sich an das Authentische klammert, wie der Ertrinkende an den Strohhalm.

Szenenbild aus "howl"

Stadtkino

Realität nachspielen

Die Intervieszenen beziehen sich auf ein tatsächliches Interview, das 1969 Ginsberg mit dem "Playboy" geführt hat, die Gerichtsszenen beruhen auf Gerichtsprotokollen und sogar Fotos aus Ginsbergs Privatleben werden nachgestellt und nachgespielt. Als müsste uns der Film ständig beweisen, dass das alles genauso stattgefunden hat, hält er uns auch noch Originalzeitungsausschnitte vor die Nase. Die bemühte Realitätsnachbildung, das fast ängstliche Festhalten an Fakten, das zur Erstarrung führt, nimmt dem Film die Luft. Die verschiedenen, formalen Korsette, die sich um jedes Segment festzurren, bringen ihn endgültig zum Ersticken. Der Film erstickt an dem Zwang der Regisseure, ein Dokument mit Echtheitszertifikat auf die Leinwand zu bringen. Der erste Spielfilm der Regisseure Rob Epstein und Jeffrey Friedman, die sich mit Dokumentationen wie "The Times of Harvey Milk" und "The Celluloid Closet" ebenfalls mit der amerikanischen Geschichte und Umgang mit Homosexualität beschäftigt haben, bricht unter dem Dokumentationsanspruch letztlich zusammen. Quellenfetischismus schnappe ich irgendwo auf und wünschte, mir wär dieses Wort eingefallen.

James Franco als Allen Ginsberg in "Howl"

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"Howl" fehlt das Rauschhafte, für das die Autoren der Beat Generation stehen, hier springen keine Funken, hier wird kein Bild der Beatniks vermittelt, die dringlich und mit eindringlichen und neuen Worten und Stilen gegen Konventionen anschrieben. Die schwarz-weiß Rückblenden, die den sexuell erwachenden Ginsberg zeigen, sind nicht mehr als gefällige Hipster-Stilleben, die genausogut eine neue "Urban Outfitters"-Kampagne sein könnten. Die Gerichtsszenen bleiben mehr als konventionell, die brennende Frage, was Literatur darf und was nicht, ob man Sprache beschneiden kann und soll, erlischt in der antrieblsosen Inszenierung. Jon Hamm und David Strathairn, zwei verlässliche Schauspieler, die vor allem Dank ihrer Rollenbiografie ("Mad Men" bzw "Good Night and Good Luck") so ideal in diese Zeit und Anzüge passen, dürfen nicht mehr, als Zeilen aus dem Protokoll zitieren, sich aus ihren Sesseln erheben, Sakko richten, am Ämel zupfen, wieder hinsetzen, in die Akten schauen.Mit dem Stift auf den Tisch klopfen.

SZenenbild aus "Howl"

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Neulich im Peniswald

"You can't translate poetry into prose", sagt Treat Williams als Kritiker und Autor Mark Schorer vor Gericht. Ach würds nur um Übersetzung in Prosa gehen. Der Versuch der Verbildlichung von Lyrik ist eine noch heiklere Angelegenheit, die in "Howl" über kurz oder lang in einem esoterisch angestrichenen Desaster endet. In den Ausflügen in den Animationsfilm, während James Franco "Howl" deklamiert, wird man auf einen Trip mitgenommen, der einen schließlich wirklich mitnimmt, weil sich die Augen übergeben müssen. "Waltz with Bashir" tanzt hier assoziatorisch an, aber auch greisliche Game-Ästhetik-Hausmannskost. Selbst diese Sequenzen trauen sich nicht vom Originaltext weg, picken an Ginsbergs Worten, what you see is what you hear. Die eindeutig zugeordneten Bilder stellen sich in den Weg des rauschhaften, assoziativen Gedichtes, entkräften schließlich die Worte. Das Bemühen, wenigstens hier Rausch und Sex auf die Leinwand zu bringen, bleibt bei einem kleinen Halt im Peniswald, wo das abgeschossene Sperma sich wie ein Feuerwerk am Himmel ausbreitet, während ein kamasutrisch verschlungenes Paar wild im Uhrzeigersinn kreisend in einen Abgrund gesogen wird.

Stadtkino

Aus den fünf verschiedenen Segmenten wird nie ein Ganzes, einzig der Rhythmus, in dem die Sequenzen geschnitten sind und sich aneinanderschmiegen gelingt, ist vielleicht die größte Leistung und Bezugnahme auf Ginsbergs hypnotischen Wortrausch. Ein Rhyhtmus ist gefunden, doch dem Film fehlt der Beat. Beat? Nix.

"Howl" läuft seit 18. März 2011 in den österreichischen Kinos

Der Film stolpert über seine eigenen Ansprüche und liegt dann - unbeweglich und im formalen Korsett eingeschnürt - am Boden. Als am Ende kurz Archivaufnahmen des 1997 verstorbenen Allen Ginsberg auftauchen, älter, bärtiger und kräftiger als der Franco-Ginsberg, muss ich an "I'm not there" denken. Nicht nur weil Todd Haynes' fantastischer und einzigartiger Film über Bob Dylan - aber auch über soviel mehr -, dem ziemlich verknöcherten Biopic-Genre gezeigt hat, wie eine filmische Annäherung an eine real existierende Person abseits von Anekdoten, Mythen und Götzenanbetung aussehen kann. Aussehen sollte. In "I'm not there" fährt Allen Ginsberg in einer kurzen Sequenz auf einem Motorrad an einem Auto vorbei, in dem Dylan sitzt. Lachend, energetisch, winkend. Mich beschleicht das Gefühl, dass in dieser winzigen Sequenz mehr Ginsberg drinsteckt als in den 85 Minuten "Howl".