Erstellt am: 19. 3. 2011 - 18:30 Uhr
Milch wird Mangelware
Patrick Hiehs
Patrick Hiehs (29), studierte Japanologie und Anglistik auf der Universität Wien und lebt seit dem Ende seines Studiums in Yokohama, 20 Minuten Zugfahrt von der Hauptstadt Tokio entfernt. Durch die fast acht Jahre Aufenthalt in Japan und den dadurch verschobenen Lebensmittelpunkt, kann er sich einen permanenten Umzug zurück nach Österreich nicht mehr vorstellen.
Am Donnerstag gegen halb fünf Uhr am Abend gab es eine Durchsage in den Nachrichten: Man wüsste nicht, ob der Strom reichen würde. Die geplanten Blackouts wurden in zwei der fünf Stromspargruppen auf das Doppelte verlängert. Trotzdem wüsste man nicht, ob man nicht der Region großräumig den Strom abstellen müsste. Schuld daran wäre der erhöhte Energieverbrauch durch die hereinbrechenden Kaltfront und den Schneefall.
Heute, am Samstag, wurde hier im Großraum Tokio keiner Gruppe der Strom abgedreht. Und auch morgen sei der kein Problem, heißt es. Eine Belohnung seitens der Regierung für das Ausharren in den kalten Wohnungen, die durch die regulierten Ausfälle in den letzten Tagen teilweise auch kein Gas und warmes Wasser verloren hatten.
Es scheint, es als wären auch die Hamsterkäufe endgültig vorbei. Dass die am Abklingen sind, ist auch den Aufrufen von politischer Seite zu verdanken: Man könnte die Käufer auch mit Hilfe des Gesetzes stoppen, man glaube aber fest daran, dass die Konsumenten auch ohne solche
drastischen Maßnahmen zur Vernunft kommen würden, so der Regierungssprecher Yukio Edano. Es gibt ebenfalls Aufrufe in Internetportalen, auf Twitter und auch auf Plakaten, keine Lebensmittel zu horten.
EPA
In den 24-Stundenshops gibt es mittlerweile wieder Brot. Und auch Reisbälle und vereinzelt sogar Wasser haben den Weg in die Regale gefunden. Immer mehr Supermarktbetreiber halten die Kunden dazu an, nicht mehr als nötig zu kaufen.
Milch bleibt allerdings immer noch Mangelware. Viele der großen Milchproduzenten, die den Großraum Tokio beliefern, liegen in den Präfekturen direkt in und um die Katastrophenzone. Vor ein paar Tagen wurde im Fernsehen von einem Milchbauern berichtet, der seine frisch gemolkene Milch aufgrund der zerstörten Handelswege nicht zur
Fabrik und so auch nicht an den Kunden liefern konnte. Die Kühe müsse er zwar melken, damit sie nicht krank werden, die Milch könne er aber nur als Bodennahrung für andere Äcker verwenden.
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Mit der Milch ist das sowieso so eine Sache. Laut japanischen
Nachrichten ist in der Milch aus der Präfektur Tochigi, ca. 50km vom Reaktor Fukushima I. entfernt, das Fünffache der gesetzlich erlaubten Menge an radioaktiven Jod nachgewiesen worden. Und der Spinat anderer Regionen Tochigis würde sogar teilweise 7.5-fache der zulässigen Menge enthalten.
Erschreckend? Die Medien hier rechnen uns vor, dass selbst der wiederholte Verzehr von Milch und Spinat über lange Zeit gerade mal an die Strahlenbelastung von ganz normalen medizinischen Routineuntersuchungen herankommen würde. Und selbst wenn man der Berichterstattung hier in Japan keinen Glauben schenkt: Das Problem mit verstrahlten Lebensmitteln kennt man in Europa ja auch. In einigen südlichen Regionen Deutschlands ist heute noch ein beachtlicher Prozentsatz des Schwarzwilds aufgrund zu hoher Strahlenbelastung nicht für den Verzehr geeignet. Die Milch und der Spinat aus den betroffenen Gebieten sind derzeit jedenfalls erstmal vom Markt.
In der Stadt sieht man vermehrt Menschen mit Masken - ein wahrscheinlich abstruses Bild für die westliche Zivilisation. In Japan jedoch ist es durch die jetzige Heuschnupfenzeit nicht zu ermitteln, ob dieses "Vermummen" nicht nur eine Maßnahme gegen bestehende Allergien ist. Mein Grund, eine Maske anzulegen, ist jedenfalls nicht der Heuschnupfen, sondern die Tatsache, dass man eben doch nicht hundertprozentig weiß, was in der Luft ist: Großstadtsmog, Zigarettenrauch oder radioaktives Jod aus Fukushima.