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Roland Gratzer

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19. 3. 2011 - 18:42

Die Nicht-Information der Blaumänner

Japans Regierung muss viel Kritik für ihre mangelnde Informationspolitik einstecken. Da hilft es auch nichts, den schwarzen Peter an Tepco abzugeben.

Alle Fernsehstationen graben derzeit ihre Atomkraft-Dokus aus, die es noch vor einem halben Jahr kaum zu vielen Retweets gebracht hätten. Seit genau einer Woche wird fast täglich per Titelblatt der Super-GAU in Fukushima vermeldet und die Redaktionen streiten sich, aus wievielen Freiwilligen (?) sich die heroischen Fukushima 50 jetzt wirklich zusammen setzen.

Aber Berichterstattung über die fatale Katastrophenserie, die Japan seit letzten Freitag heimsucht, ist schwierig. Wenn die japanische Regierung oder der AKW-Betreiber Tepco mal was sagen, dann ist das meist widersprüchlich, schon längst überholt oder am liebsten nichts aussagend. Zu dem großen internationalen Mitleid mit der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt hat sich in den letzten Tagen Kritik an der japanischen Informationspolitik gesellt. Sie würden die armen Anrainer im Stich lassen, lautet der Vorwurf der einen Seite. Sie wollten die traumatisierten Opfer nicht auch noch in große Panik versetzen, versucht die andere Seite zu beschwichtigen.

Zwei Männer sind es, die sich tagtäglich der Weltöffentlichkeit stellen. Beide beginnen ihre jeweiligen Statements mit einer tiefen Verbeugung und tragen den selben deplatziert wirkenden blauen Arbeiteranzug. Naoto Kan (Premierminister) und Yukio Edano (Chefsekretär des Kabinetts).

Yukio Edano

APA

Regierungssprecher Edano in der neuen Arbeitskleidung.

Koordinieren statt Buddeln

"Was vertuschen die japanischen Blaumann-Poltiker?", fragt die selten auf Hintergrundanalyse spezialisierte deutsche Bild-Zeitung. Der Arbeitsanzug soll wohl technisches Fachwissen symbolisieren, wirkt aber eher wie eine missglückte PR-Strategie (gutes österreichisches Beispiel: Viktor Klima, der beim Hochwasser 1997 mal kurz die Gummistiefel angezogen und ein bisschen Wasser geschöpft hat. Kameras weg, Klima auch wieder weg).

Von Katastrophenmanagern - und das sind Kan und Edano notgedrungen - wird nicht erwartet, dass sie Verschüttete eigenhändig befreien oder mit einem Feuerwehrschlauch eine Kernschmelze verhindern. Sie müssen nationale und internationale Hilfsleistungen koordinieren, möglicherweise fatale Entscheidungen treffen und die Öffentlichkeit informieren. Denn von einer demokratisch gewählten Regierung ist es nicht zuviel verlangt, dass sie vor einem drohenden Fallout warnt.

"Diese Japaner..."

Eine Übersicht über verschiedene Spendenmöglichkeiten:
Spenden für Japan

Die demütige und ruhige Art der japanischen Politiker ruft bei westlichen Medien gleich ein bisschen "Die sind ja alle so"-Mentalität hervor. "Viele Japaner überbringen nicht gern schlechte Nachrichten", schreibt zum Beispiel die FAZ und führt in der Tat gefährliche Beispiele an. Im Jahr 2006 etwa hat Sony nach langem Ringen endlich zugegeben, dass Akkus in ihren Geräten so dermaßen explosionsgefährdet sind, dass einige Rechner komplett verbrannten. Bei Mitsubishi war wenige Jahre davor bekannt geworden, dass Unfallberichte "offenbar auf Anordnung von ganz oben gezielt übersehen und weggeschlossen worden waren".

Ganz oben auf der Vertuschungs-Hitparade steht aber Japans größter Energieversorger Tepco. Gefälschte Umwelt- und Wartungsberichte gehörten in den letzten Jahren ebenso zum Tagesgeschäft wie erzwungene Erhöhungen der Sicherheitsstandards und Komplettaustausch des Managements. Für die japanische Regierung ist es demnach nicht sehr schwierig, dem Unternehmen den schwarzen Peter zuzuschieben, frei nach dem Motto: "Regt euch nicht auf, wir wissen ja selber nichts, weil die dort uns nichts sagen."

Tepco Pressekonferenz

APA

So sieht eine Pressekonferenz übrigens von der anderen Seite aus.

So leicht kann sich die Regierung allerdings nicht rausreden. Wer den Bau von Kernkraftwerken genehmigt und diese trotz mehrfach dokumentierter Störfälle weiter am Netz lässt, kann sich im Katastrophenfall nicht auf die anderen rausreden, auch wenn die ein dankbar einfaches Opfer für solche Schuldabwälzungen sind. Bei Pressekonferenzen schieben sie sich gegenseitig das Mikro zu und sagen abwechselnd "Die Lage ist ernst" und "Die Lage ist sehr ernst". Bei einer dieser Nullsummen-Riten hat es einem japanischen Reporter gereicht. Er hat den verdutzten Herren zugerufen: "Wir brauchen eure Entschuldigungen nicht mehr, erklärt uns endlich, was hier gerade passiert".

Aber das dürften auch die älteren Herrschaften nicht wirklich wissen. Täglich ändert sich die Nachrichtenlage: Vom fixen Super-GAU über "alles in Ordnung" bis "Wir betonieren das Ding jetzt einfach zu" war alles schon dabei. Wenn das als Zusatzinformation an die Öffentlichkeit kommt, dass das maximale Strahlungsniveau für die Arbeiter aufgrund der "Umstände" um 50 Prozent erhöht wird, trägt das auch nicht dazu bei, an das Krisenmanagement des Konzerns zu glauben.

Es ist NICHT wie bei Tschernobyl

Aus Mangel an Alternativen muss nun immer wieder die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl als Vergleich herhalten. Der hinkt aber. Erstens war die Ursache dort menschliches Versagen und nicht ein Jahrhundertbeben mit darauffolgendem Tsunami. Und auch die Informationspolitik war anders, nämlich gar nicht existent. Erst als in einem Kraftwerk im 1200 Kilometer entfernten Schweden erhöhte Werte registriert wurden, hat die Weltöffentlichkeit erfahren, was da in der Ukraine gerade passiert. (Das war übrigens kein Grund für die österreichische Politik, große Veranstaltungen in der freien Luft abzusagen.) In Japan ist die Welt seit der ersten Minute live dabei. Was wirklich hinter den mittlerweile ganz schön demolierten Reaktorhüllen passiert, wissen wir trotzdem nicht.

Mit den Vergleichen ist das immer ein wenig schwierig: Das Handelsblatt zum Beispiel vergleicht die japanische Informationspolitik mit der Chinas. Hier werden Tatsachen schön geredet, dort die gesamte Medienlandschaft zensiert. Gleichzeitig kommt natürlich der Vorwurf an die gesamte (!) Bevölkerung, bei diesem Vertuschungsspiel mitzuspielen.

Es stellt sich die Frage, wieviel die betroffenen Menschen wirklich wissen wollen. Eine Flucht aus dem 35-40-Millionen-Menschen-Komplex Tokio ist nahezu unmöglich. Ist Nichtwissen im Katastrophenfall tatsächlich Stärke, um George Orwell im völlig falschen Kontext zu zitieren? Für den ehemaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt definitiv. In einem Interview mit der Zeit meinte er: "Es ist notwendig, vermeidbare Paniken zu vermeiden. Die Regierung ist nicht gezwungen, alles zu sagen, was sie weiß. Sie ist nur dazu gezwungen, dass das, was sie sagt, der Wahrheit entspricht."

Diese Wahrheit liegt allerdings in den kontaminierten Reaktoren von Fukushima. Und dort hilft auch ein hübscher Blaumann nichts mehr.