Erstellt am: 18. 3. 2011 - 20:35 Uhr
Journal 2011. Eintrag 58.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich das ganze Jahr über Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einem Verweis auf eine TV-Serie, in der die Fukushima-Situation bereits 2006 durchgespielt wurde: The West Wing, Season 7 - Episode 12: Duck and Cover. Mit außerordentlichem Dank an Robin Lee für die Assoziation und die Idee.
You know what, sagt Robin Lee, als wir nach der Übergabe von Bonustrack auf Sleepless unseren wöchentlichen Whats-Up-Chat führen, the Fukushima-Situation it seems to me like i heard all this before. Robin meint die Fachbegriffe, die aktuell herumschwirren, betreffend Kühlung, Druck in der Reaktorkammer, dem Kampf gegen weitere Explosionen etc. Und sie erzählt von einer Folge von The West Wing, der grandiosen TV-Serie, die zwischen 1999 und 2006 ausgestrahlt wurde und die Komplexität hinter der politischen Fassade im Ansatz zu fassen vermochte. Robin hat mich schon einmal mit einem Westwing-Auschnitt versorgt, der geholfen hat ein paar verlogene Weltkarten-Imperialisten zu beschämen.
Duck and Cover heißt die Folge aus Season 7, nach dem berühmt-berüchtigten alten Schulfilm, den auch Präsident Bartlet alias Martin Sheen zitiert - hier ein Link zu einer Youtube-Version.
The West Wing, Season 7 - Episode 12
Der Plot: in einem Kernkraftwerk in Süd-Kalifornien im fiktionalen San Andreo kommt es zu einer Unfall, der eine Kernschmelze befürchten lässt. Die Reparaturarbeiten im Werk sind nur in bereits verseuchtem Gebiet durchzuführen, es besteht massive Gefahr des Austritts nuklearer Strahlung, es wird evakuiert, zuerst in einem 10-Meilen-Radius.
Eingebettet ist alles in den anstehenden Wahlkampf um die Nachfolge von Präsident Bartlet.
Die Mechanismen, die Begrenztheit der Möglichkeiten, die Informations-Politik, die politische Vorgangsweise, die Schadensbegrenzung, das Abwägen von Optionen - in etwa so ist das alles auch in Japan abgelaufen.
Heute hab ich gesucht und die 41-minütige Episode hier gefunden. Embedden ist nicht möglich, ich schätze sogar illegal - wenn jemand einen Weg findet, bitte Nachricht an mich.
Tonnenweise Fakten im Unterhaltungs-Format
Das Nachsehen lohnt sich.
Wie immer bei Highbrow-TV-Serien wie "The West Wing" kommen Tonnen an Recherche und gut entwickelten Szenarios in harmlosen Dialog-Sätzen daher. Etwa wenn Senator Matt Santos (Jimmy Smits, der sich im aktuellen Serienleben gerade als zwiespältiger Staatsanwalt mit dem guten Dexter, äh, duelliert) in einem Nebensatz die eher rhetorische, in den Fernseher gerichtete Frage seiner Pressefrau, warum denn AKWs so nahe bei größeren Städten gebaut werden, beantwortet. Und durch den Kniff diesen Unfall in Wahlkampf-Zeit hineinzulegen, bekommen wir auch die Debatte, die aktuell im Westen läuft, serviert: die Kandidaten Senator Arnold Vinick und Santos stehen quasi für die Ambivalenz der Nuklear-Industrie. Dass das finale Dialog-Duell zwischen Präsident Bartlet (Martin Sheen) und Vinick (dem alten Haudegen Alan Alda) auch noch die Frage der politischen Verantwortung stellt - brilliant.
Im Fernsehleben geht alles gut aus - ein Liquidator lässt sein Leben, Senator Vinick wird beschädigt und für den cleveren Santos (auf die Frage nach seiner Dylan-Lieblingsplatte zu Beginn der Folge sagt er, stilsicher, Blonde on Blonde) rückt die Präsidentschaft ein Stückchen näher.
Unterschiede und Parallelitäten
Und dann wendet man sich in dieser (mit unglaublicher Sorgfalt er- und durchdachten) fiktionalen politischen Parallelwelt dem wirklich wichtigen schwelenden Thema zu - einer Krise in Kasachstan; das Atomthema wird (nachdem man es als einen schlimmeren Vorfall als Three Mile Island eingeordnet hat) gedanklich, das merkt man, ganz schnell ad acta geschoben.
Da liegt der Unterschied und auch die Koinzidenz mit unserer Realität von 2011. Der Unterschied ist wohl, dass es in Fukushima nicht ganz so gut ausgeht wie in San Andreo und dass sich die Folgewirkungen doch deutlich nachhaltiger niederschlagen werden. Und dass etwa die deutsche Debatte ab jetzt nicht mehr aufhören wird.
Die Koinzidenz jedoch ist, dass es einfach weitergeht, the world keeps on turning: heute war der erste Tag, an dem die Schlagzeilen nicht mehr dem nachrichtentechnisch stockenden Japan, sondern den Entwicklungen in Libyen gehörten. Und auch dieses eigentlich Üble hat sein Gutes: ein Monster wie Ghaddafi hat sich zu lange hinter der japanischen Triple-Katastrophe versteckt.