Erstellt am: 18. 3. 2011 - 15:25 Uhr
From Babe to Bitch
Es war eine der amüsanteren News-Meldungen in der ewig aufgeregten Ticker-Welt des alltäglichen Videospieljournalismus. Anfang 2006 hat die Führung der renommierten Games-Messe "Electronic Entertainment Expo" in Los Angeles beschlossen, spärlich bekleidete Promotions-Damen, die sogenannten Booth-Babes, von der Veranstaltung zu sperren. Das Ergebnis: Die Messe ist in den zwei darauf folgenden Jahren zusammengebrochen und 2009 wieder aus ihrer Asche auferstanden - Booth-Babes inklusive.
"Top 10 Hottest Girls in Gaming"
Seitdem Computer fähig sind, zweidimensionale Charaktere in einer einigermaßen detaillierten Pixelauflösung animiert darzustellen, ist das leicht bekleidete Babe ein fixer Bestandteil in vorwiegend von Männern produzierten und konsumierten Videospielen.
Ab Anfang der 1990er Jahre haben vor allem Protagonistinnen aus Fighting Games wie Chun-Li ("Street Fighter II", ab 1991) oder Ivy Valentine ("Soul Calibur", ab 1998) das gängige Bild der weiblichen Videospielheldin nachhaltig geprägt. Entsprechend dieser Vorbilder sind Frauen in Games ebenso körperlich stark und aggressiv wie ihre männlichen Gegenspieler, dabei aber so gut wie immer auch in Figur und Outfit sexuell aufreizend. Wie absurd diese überhöhte Übernahme des klassischen "Alles in einem"-Anspruchs an Frauen in der Wirklichkeit ist, hat Ende letzten Jahres die US-amerikanische Videospiel-Comedy-Produktionsfirma "Rooster Teeth" humorvoll dargestellt:
Doch unrealistische Darstellungen hin oder her: Aufgrund der Geschichte der weiblichen Videospielcharaktere ist es wenig verwunderlich, dass YouTube-Videos mit Titeln wie "Top 10 Hottest Girls in Gaming" oder "Top Ten Video Game Babes" größtenteils Kämpferinnen aus Fighting Games zeigen - und damit Zugriffe in Millionenhöhe haben.
Vom Wifebeater ...
Große Brüste hinter winzigen BHs, kurze Röcke, die in hochhackige Stiefel übergehen - das kann kampferprobte Games-Heldinnen also offenbar nicht an akrobatischen Attacken und meisterhaften Schwertschwüngen hindern - Spiel sei Dank. So sehr diese Darstellungen unreflektiert die Wunschvorstellungen der männlich-heterosexuellen Gamer-Zielgruppe übernehmen: Man kann sie auch als nur bedingt bedenklichen Unsinn innerhalb eines ohnehin abstrusen Kontextes - jenem der Fighting-Games-Videospiele - wahrnehmen.
Square Enix
Die Liste der Female video game characters zählt in der englischsprachigen Wikipedia derzeit 69 Einträge, das männliche Pendant beläuft sich auf 192.
Werden jedoch umfangreiche Geschichten erzählt und Frauen rücken als distinkte Protagonistinnen ins digitale Licht, gelten andere Regeln. Körperliche Reize werden dann subtiler eingesetzt oder durch andere Elemente gebrochen, die Outfits vom fetischistisch-sexuellen Klamauk befreit. Lara Croft, Heldin der erfolgreichen "Tomb Raider"-Serie (seit 1996), wird bis heute ambivalent rezipiert - doch Optik und Biografie der fiktiven Heldin sind bei ihr dennoch von den üblichen Klischees entfernt. Croft ist eine draufgängerische Wissenschaftlerin aus aristokratischem Elternhaus, die ihre Combat-Boots gegen nichts eintauschen würde und ihren Körper zu keiner Zeit kichernd oder kreischend in exponierten Posen zeigt. Trotzdem hat sie sich in ihrem ewigen Hot-Pants- und Wifebeater-Look in den vielen unterirdischen Höhlen wohl schon mehr als einmal erkältet. Wie man sich bei solchen und ähnlichen Expeditionen besser anzieht, beweisen Lara Crofts jüngeren Kolleginnen Jade (aus "Beyond Good & Evil", 2003) und Faith (aus "Mirror's Edge", 2008).
... zur Ritterrüstung
Namco Bandai Games.
Um dem Ausmaß der Gefahren, die einer in einem typischen Videospiel-Abenteuer drohen, aber komplett gerecht zu werden, bleibt nur eine Wahl: die komplette Panzerung des Körpers. Daraus entsteht wahlweise eine faszinierende Unnahbarkeit einer Jeanne d’Arc oder das Spiel mit der Verhüllung des Körpers und dem späteren, verblüffenden Preisgeben des weiblichen Geschlechts. Nintendo-Gamer haben 1986 nicht schlecht gestaut, dass ihr Held in der Schlusssequenz von "Metroid" in Wahrheit eine Heldin namens Samus Aran ist. "Soul Calibur IV"-Kämpferin Hildegard von Krone (2008) hält wiederum den halbnackten Fighting-Babes den eisernen Mittelfinger hin.
Die Rache der Zicken
Nachhaltig im Gedächtnis bleiben aber weniger die tapferen Videospiel-Heldinnen, die sich passend gekleidet und geistesgegenwärtig durch unwirsches Terrain schlagen, sondern durchtriebene Zicken, die sich frei von Moral und konstruktiven Zielen Rachsucht und Allmachtsfantasien hingeben. Die im hochpopulären Science-Fiction-Strategiespiel "StarCraft" (1998) von den insektoiden Aliens der Zerg assimilierte Menschenfrau Sarah Kerrigan wird innerhalb weniger Spielmissionen von der aufopfernden Rebellenkämpferin zum ultimativen Überfeind. In dem vergangenen Jahr erschienenen Nachfolger "StarCraft II: Wings of Liberty" taucht Kerrigan erneut als gefährlicher Zerg-Antagonist auf und wird vom Hauptdarsteller James Raynor (der ehemalige Geliebte) mehrfach als zu Fall zu bringende "Bitch" bezeichnet.
Blizzard Entertainment
Weniger als Ventil für latenten Frauenhass dient der weibliche Computer GLaDOS aus dem viel gepriesenen Intellektuellen-Shooter "Portal" (2007). In einem surrealen Testlabor ist sie für die/den Spielende/n die längste Zeit über nur eine Stimme und entpuppt sich erst gegen Schluss als tödlicher Feind. Wie poetisch und philosophisch tiefgreifend GLaDOS und das Setting von "Portal" sind, ist im Netz an mehreren Stellen in ausführlichen Analysen festgehalten worden. Manche sehen in GLaDOS ein unfreiwilliges Bondage-Opfer, andere wiederum eine moderne Version der Venus von Sandro Botticelli. Im April erscheint der lange erwartete zweite Teil von "Portal". Fällt die Auseinandersetzung mit weiblichen Videospielcharakteren dabei ebenso umfangreich und reflektiert aus wie vor vier Jahren, haben die Babes künftig eine bleibende Konkurrenz.