Erstellt am: 16. 3. 2011 - 20:55 Uhr
Saifs ungeladene Gäste
Es war nicht schwer, das Haus zu finden, dazu reichte schon ein bisschen Recherche in den örtlichen Immobilienseiten. Schließlich hatte Saif Gaddafi seinen Londoner Prachtbau für 9750 Pfund die Woche zu vermieten versucht. Ein offenbar überhöhter Preis, selbst in diesem wahnwitzig überteuerten Teil Nordlondons, dem (vom old-school-liberal-noblen Hampstead trotz Namensverwandtschaft eigentlich ganz schön weit entfernten) Hampstead Garden Suburb, wo in riesigen pseudo-georgianischen oder quasi-Tudor Backsteinkästen mit Hollywoodportalen allerhand Fußballer und andere neuerdings Gutsituierte residieren.
Andernfalls wäre Saifs Villa nämlich nicht leergestanden, als letzte Woche ein Haufen Exil-Libyer dort einzog. Das English Common Law erlaubt es nämlich, unter Befolgung gewisser Spielregeln, in vakante Villen einzuziehen, und diese Spielregeln kennt die Londoner Sektion des libyschen Volksaufstands offenbar genau.
Robert Rotifer
Zugegeben, der Beginn unserer Kontaktaufnahme war wenig vielversprechend. Nachdem ich alle erhältlichen Klingeln gedrückt und fest ans weiße Eingangstor geklopft hatte, bequemte sich irgendwann wer Richtung Tür, ohne sie aufzumachen, nahm durch den Briefschlitz meine Karte entgegen und erklärte mir, dass der "press guy" mit mir sprechen werde, sobald er zurückkomme.
Darling ORF-Gesetz, wäre heute Mittwoch nicht so viel zu tun gewesen, diese Story hätte wunderbar meinen Beitrag für FM4 Connected begleitet. So wie's gelaufen ist, ist es jetzt umgekehrt. Ist das eh erlaubt? Danke.
Wann das der Fall sein würde, wusste die Stimme hinter der Tür aber auch nicht. Aber man werde mich anrufen.
Robert Rotifer
Ich ging also ein paar Runden durch diese beschissene Gegend, wo es kein Pub oder sonstwas weit und breit gibt, bis mir kalt genug war, es noch einmal mit der Türtrommeltaktik zu versuchen.
Diesmal lüftete sich eine der Rollos, ein Fenster im Erdgeschoß wurde hochgezogen, und dahinter zeigte sich ein Gesicht.
Im Folgenden die Abschrift meines Interviews mit Usama, dem Hausbesetzer.
Am Anfang haben die Medien über diese Hausbesetzung hier berichtet wie über jede andere. Aber ich habe in der Zwischenzeit vernommen, dass ihr dieses Haus als die Freie Botschaft Libyens betrachtet.
Nein, eine Botschaft ist es nicht gerade. Wir wollen nur das Eigentum des libyschen Volkes sichern und dieses Haus sauber halten. Wir wollen nicht die Hausbesetzer-Szene hier haben oder Parties abhalten, während in Libyen die Leute sterben. Das wäre nicht richtig. Wir sind da, um dieses Haus für Libyens Volk zu beanspruchen.
Verwendet ihr diesen Ort auch, um Hilfe für Libyer zu organisieren?
Oh ja, wir haben einige Libyer hier, manche von ihnen sind Studenten und manche sind auf Urlaub hier. Sie stecken nun fest, können nicht nach Libyen zurück, haben keine Unterkunft und können sich kein Geld überweisen lassen. Wir heißen diese Leute hier willkommen. Wir arbeiten zusammen.
Wie viele Leute wohnen eigentlich jetzt in diesem Haus?
Reichlich, um ehrlich zu sein.
Ich hab gelesen, dass euch Geld dafür geboten wurde, das Haus zu verlassen.
Ja, die libysche Botschaft hat uns 40.000 Pfund geboten. Danach haben sie versucht, uns zu verängstigen, um uns von hier zu vertreiben. Sie haben gesagt, dass sie uns umbringen werden. Dass sie einen Mordanschlag auf uns verüben werden.
Sie haben euch bedroht? Am Telefon?
Nein, nein, sie kamen hier her. Mit ihren Autos. Das hat uns konsterniert. Es hat uns besorgt.
Natürlich. Da wundert es mich nicht mehr, dass ihr mich nicht zu euch reinlassen wollt.
Es waren noch fast keine Journalisten hier drin. Nur Al Jazeera (Anm.: Stimmt nicht ganz, siehe diese Geschichte aus dem New Statesman), aber die kennen andere Leute aus unserer Organisation, die ihnen vertrauen.
Und wie lange wollt ihr nun hier bleiben?
Ich weiß noch nicht genau, aber hoffentlich nicht lang, denn in Libyen sterben jeden Tag Menschen, und es muss schnell was getan werden. Es braucht einen schnellen Schlag. Wir sind übrigens gar nicht glücklich über Deutschland. Wir haben in den Nachrichten gehört, dass die nichts unternehmen wollen. Die haben einen Öl-Deal mit Gaddafi geschlossen, das ist es. Ich bin so enttäuscht von Deutschland.
Du würdest also eine Flugverbotszone unterstützen?
Absolut. Die Bevölkerung wird Tag für Tag bombardiert. Man kann das im Fernsehen sehen, es ist offensichtlich. Aber diese Leute sitzen nur da und tun nichts. Es ist verrückt.
Es gibt allerdings nach dem Krieg im Irak auch die Sorge, dass die Bevölkerung der arabischen Welt keine militärischen Kraftakte des Westens mehr sehen will.
Um ehrlich zu sein, haben die Libyer auch Angst davor, dass sich sowas wie der Irak wiederholt. Dass sie ins Land kommen werden und militärische Basen bauen und für immer bleiben. Wenn sie kommen, ihren Job erledigen und danach wieder gehen, sind sie mehr als willkommen. Wir brauchen Hilfe von überall. Aber falls sie einmarschieren, dann sollen sie mit der libyschen Revolution zusammenarbeiten und gleich wieder nach Hause gehen, nicht das Land beherrschen und das Öl und das System an sich reißen. Das will das libysche Volk sicher nicht. Schau dir an, was in Saudi los ist, dort steht auch das amerikanische Militär. Und im Irak. (Anm.: ein anderer Hausbesetzer erklärte mir später, er sei für die Flugverbotszone, aber kategorisch gegen jede Art von Invasion)
Das Saudi Militär ist dafür in Bahrain einmarschiert.
Ja, kannst du dir das vorstellen? Es ist Wahnsinn, unglaublich, was da passiert. Kannst du dir vorstellen, wenn das in Ägypten und Tunesien nicht passiert wäre und dort noch Präsidenten säßen, die mit Gaddafi verbündet sind, dann hätten sie schon alle umgebracht. Wir haben großes Glück, dass es diese Woche noch nicht passiert ist.
Was ist deine eigene Geschichte? Bist du ein Emigrant?
Ja, ich bin vor sechs Jahren hierher gekommen. Ich bin vor dem Gaddafi-Regime geflohen, ich war im Gefängnis, wurde gefoltert. Sie haben mein Leben völlig zerstört. Meine geistige Gesundheit hat darunter gelitten, ich bin traumatisiert. Und jetzt ist alles nur noch schlimmer. Wir sitzen hier und können nur dabei zusehen, was unseren Leuten in Libyen angetan wird.
Hast du Verwandte dort?
Natürlich, meine Mutter und meinen Vater, alle. Ich bin aus Benghazi, das bisher standgehalten hat. Aber wenn man sich die anderen Städte anschaut: Er tötet unschuldige Menschen mit Bomben aus der Luft, wie kann man da eine Revolution betreiben?
Was glaubst du wird jetzt passieren?
Ich glaube, es ist bereits ein Desaster, und es wird nur schlimmer werden, wenn niemand interveniert. Ich halte es nicht mehr aus, um ehrlich zu sein. Ich habe Angst. Nichts passiert. Alle haben Deals mit Gaddafi wegen seines Öls, die Russen, die Inder, China, auch die Deutschen. Wo sind Obama und die Demokraten? Ich habe in all den Wochen nichts Positives von denen gehört.
Es ist schon interessant, wie viel Lärm in den USA darum gemacht wurde, als die Briten Al Megrahi nach Hause fahren ließen. Im Vergleich dazu herrscht jetzt eine eigenartige Stille.
Ja, es ist komisch. Gaddafi kauft sich die Leute mit seinem Öl und seinem Geld, und er kauft sich seine Söldner.
Wie viele Leute in Libyen stehen hinter Gaddafi?
Nicht viele. Er nennt unsere Leute Ratten, aber er ist die Ratte. Es ist nur seine Familie und ihre Gang. Es ist wie eine Mafia, das sind Gangster.
Glaubst du, er denkt, dass das Volk ihn liebt?
Wahrscheinlich, weil er machttrunken ist. Aber die Leute lieben ihn nicht. Schau nur, in wie vielen Städten schon die Revolutionsfahne gehisst wurde. Die einzige Ausnahme bleibt Tripoli, die Hauptstadt, wo die Armee ihre Basis hat. Gott weiß, wie viele Söldner er sich besorgt hat und wo die herkommen.
Wie fühlst du dich, wenn du die Inneneinrichtung dieses palastartigen Hauses siehst?
Es ist unfassbar. In Libyen gibt es keine guten Schulen oder Spitäler, keine guten Straßen und Gebäude, dabei ist das so ein reiches Land. Wir könnten wie Dubai oder Qatar sein. Aber wenn man nach Libyen fährt, glaubt man, man ist im Dschungel. Man würde nie glauben, dass das eine Öl fördernde Nation ist. Und dieses Haus hier ist elf Millionen Pfund wert! Einfach unvorstellbar.
Robert Rotifer