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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

16. 3. 2011 - 21:04

Journal 2011. Eintrag 57.

Generation in der Klemme. Ein Seitenblick nach Portugal.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich das ganze Jahr über Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einem Hinweis auf eine hierzulande nicht beachtete europäische Jugendprotestkultur: es geht um die "Geração à rasca", die Generation in der Klemme, die am Wochenende (natürlich via Facebook) mehrere Hundertausende zumeist junge Menschen für Massenproteste in ganz Portugal mobilisieren konnte.

Ob ich schon etwas von der Geração à rasca gehört hätte, fragt Johannes, der kürzlich ein Jahr in Portugal verbracht hatte. Und weil er das in einem Mail tut, hält er sich nicht mit meiner Antwort auf und erzählt ein bisschen was dazu: über die zunehmend aussichtslose Lage der Jungen in Portugal, über die Tatsache, dass man selbst mit einer guten Ausbildung und gefragten Studien keinen Job, geschweige denn einen angemessen bezahlten bekommt und der aus diesem Frust entstandenen Protestbewegung. Eben der Geração à rasca, der Generation in der Klemme, der Sammelbewegung der Prekären, die sich gegen ihre missliche Lage und auch die Flucht gut ausgebildeter Menschen ins Ausland, die "fuga de cérebros", engagieren.

Erinnert an die Auslöser der Revolten in Tunesien und Ägypten, erinnert in seinen Grundsätzen aber auch an mitteleuropäische Zustände. Ist nah dran und logisch und folgerichtig und trotzdem überraschend.

Ich bin kein Portugal-Experte, dazu reichen ein paar Tage Lissabon im Vorjahr nicht aus. Aber den durchaus hohen Bildungsstand auch und vor allem der Jungen und ihre Manifestations-Bereitschaft habe ich da schon mitbekommen; auch wenn es sich da "nur" um die hohe Diskurs-Bereitschaft, die auffallende Lesebereitschaft oder um die spontan organisierten abendlichen Parties auf den Miradouros handelte.

Portugal zieht nach - Revolte 2.0

Von dort bis zu dem, was sich in ganz Portugal in den letzten Tagen abgespielt hat, war das nur ein kleiner Schritt. Einer bei dem, wieder einmal, Social Media eine entscheidende Rolle gespielt haben - Hunderttausende in Lissabon und Porto bis hin zu Demos in Madeira und auf den Azoren; Facebook machte es am 12. März portugalweit möglich.

Diese Grassroots-Bewegung 2.0 verfügt über ein Mainfest, das es übers Netz in andere Sprachen übersetzen und korrigieren ließ - die junge Generation, der man nichts zutraut, der man keine Chance gibt, hat die Lektion des neuen Widerstands, der neuen Schwarmbewegung, der friedlichen und inhaltsreichen Mobilisierung gelernt.

Zwei Dinge, sagt Johannes, findet er besonders bemerkenswert: zum einen, dass die klassische portugiesische
Mentalität, vor allem die Schicksalsergebenheit) überwunden wurde und zum anderen der selbstkritische Ansatz. Zitat: "Wir sind die Generation mit dem höchsten Bildungsniveau in der
Geschichte des Landes. Lassen wir uns also nicht aus Trägheit, Frust oder Perspektivlosigkeit entmutigen! Wir sind sicher, dass wir die Mittel und die Werkzeuge besitzen, um unsere eigene Zukunft und die Zukunft Portugals besser zu gestalten."

Wieso so eine "Geração à rasca" in Österreich nicht auftritt

Was mir abgesehen von der zentralen Rolle der neuen Medien, diesmal wieder einmal Facebook, speziell auffällt: dass die Auslöser von der alten Leitkultur Popmusik gestellt wurden.

Da wäre zum einen die Band Deolinda, die mit Que Parva Que Sou zum Auslöser für das Manifest der Protestbewegung wurde.
Und zum anderen die Comedy-Combo Homens da Luta, den Gewinnern der portugiesischen Song-Contest-Vorausscheidung die mit ihrem Stück sehr bewusste Anleihen beim legendären Musiker Jose Afonso einem der Helden der Nelkenrevolution von 1974 nahm.

Die Protestbewegung der Generation in der Klemme ist also trotz ihrer hohen Bildung durchaus ein Mainstream-Phänomen, ein Resultat der neuen Kommunikations-Tools, weiß um die Bedeutung der Gewaltlosigkeit der Proteste und durch die kollektive Aussichtslosigkeit geeint.

Praktisch müßig zu erwähnen ist es, dass sich die selbsternannten heimischen Qualitäts-Medien (die sich ab jetzt den Präfix "sogenannte" redlich verdient haben) selbstverständlich nicht einen Beistrich lang mit diesem Phänomen beschäftigt haben.

Die Bedeutung kompletter Gewaltfreiheit hat sich ja noch nicht in der heimische Protestkultur herumgesprochen - aber nicht nur da sind die jungen Österreicher hintendran. Zum einen ist der junge Mainstream überwiegend schlecht ausgebildet und (auch deshalb) desintessiert, zum anderen lassen sich die fast schon in ihrer Gänze abgehängten und von den politischen und ökonomischen Playern als unwichtig Ignorierten noch durch populistische Xenophobie und das gezielte Ansprechen anderer niederer Instinkte ablenken.

Da fehlt es aufs Niveau der politischen Kultur der jungen Tunesier, Ägypter oder eben auch Portugiesen deutlich, da ist Österreich eine, wenn nicht zwei Klassen drunter.