Erstellt am: 13. 5. 2014 - 09:47 Uhr
HR Giger ist tot
In Erinnerung an HR Giger: ein Rundgang durch die Ausstellung "Träume und Visionen", die 2011 im Kunsthaus Wien zu sehen war.
Der Schweizer Hans Ruedi Giger wird vielen Menschen ein Begriff sein, selbst wenn sie sich noch nicht mit seiner Arbeit auseinandergesetzt haben. Jeder kennt Alien. Giger hat das böseste und abschreckendste Alien erschaffen, den Facehugger, die glitschigen Bruteier, aus denen noch mehr Aliens schlüpfen werden.
Ob man Science Fiction mag oder nicht, ob man Giger mag oder nicht, sein Einfluss auf Filmgeschichte und Popkultur ist schon alleine durch sein Art-Design für Alien (Ridley Scott, 1979) manifestiert.
HR Giger, 2011
Hässlichkeit
Das Kunsthaus Wien zeigte 2011 die nahezu komplette Werkschau zu Gigers Schaffen. Träume und Visionen, so der Untertitel, tastete sich an die Hintergründe zu Gigers postapokalyptischer, oft auch okkulter Kunst heran. Er wurde "erklärt".
HR Giger, 2011
Es sind faszinierende und "hässliche" Bilder, fotorealistische Abbildungen einer Welt, die Giger offenbar in das Böse auf der einen und den Fortpflanzungstrieb auf der anderen Seite einteilt. Giger selber machte keinen Hehl daraus, dass sich seine Arbeiten um die Gegensätze Eros und Thanatos drehen. Man sieht in seinen Bildern Teufelshörner, Gebärmaschinen, Atomkinder. Es sind apokalyptische Visionen, die für den Betrachter "hässlich" sind, weil sie so realistisch scheinen. Seine Gemälde gehen dem Betrachter nah, weil Giger darin unterschwellige Ängste der Menschheit, der Gesellschaft aufnimmt.
Ängste
Die Angst vor Nuklearkraft kommt in der frühen Tuschezeichnung "Atomkinder" aus 1968 zu tragen. Schon 1965 visionierte Giger Biomechanoiden, halb Mensch halb Roboter, Cyborgs also, unheimliche Kreaturen einer Zukunftswelt, in die wir nicht schlittern möchten.
Cyborgs gibt es viele in der Science Fiction, bloß sind Gigers Biomechanoids bei Weitem nicht so hübsch wie Seven of Nine aus Star Trek.
Die Idee des Biomechanoiden führte Giger zur nur logischen Vollendung der technologischen Evolution, der "Gebärmaschine" (als Gemälde und als Skulptur zu sehen): Emotionslose Roboterkleinkinder, die aus der Gebärmutter gedrückt werden, als wären es Patronen in einer Pistole. Tod und Leben, Eros und Thanatos eben, auf groteske Weise umgekehrt.
HR Giger, 2011
Zweigeteilt und erkundbar
Was die Ausstellung besonders empfehlenswert machte, waren die Hintergrundinformationen zu Gigers Leben, warum er so malte, wie er malte, so dachte, wie er dachte. Ja, da kam auch Sigmund Freud vor, no surprise there.
Überraschende und lehrreiche Gegenüberstellungen mit Künstlern, die Giger beeinflusst haben, zogen sich durch den ersten Teil der Ausstellung. So konnte man unter anderem ein Originalgemälde von Johann-Heinrich Füssli (1741-1825) aus Gigers Privatsammlung sehen. "Der Nachtmahr", ein Nachtalb, der auf der Brust einer schlafenden Frau sitzt. Auch Ernst Fuchs und Günter Brus haben Giger inspiriert und umgekehrt.
Während also das erste Stockwerk HR Giger "erklärte", von den Anfängen mit Tuschezeichnungen aus 1957, über Biomechanoiden bis hin zum beeindruckenden Zyklus "Necronomycon", widmete sich der zweite Teil Gigers massiven Einfluss auf die Popkultur. Neben Alien stattete er auch Species aus. Sogar an Dune hatte Giger gearbeitet, das Projekt wurde aber eingestellt, bevor es einige Jahre später von David Lynch realisiert wurde. Der verwendete Gigers Designs schlussendlich nicht. Die Grafiken und Skizzen waren aber in der Ausstellung zu sehen.
HR Giger, 2011
Die Populärkultur
Für mich besonders erfreulich war der Raum, in dem HR Gigers Arbeiten für Plattencover gezeigt wurden. Drei Plattencover/Poster seien besonders hervorgehoben: Emerson, Lake & Palmer (Brain Salad Surgery, 1973), Debbie Harry (Koo Koo, 1981) und Dead Kennedys (Frankenchrist, 1985).
HR Giger, 2011
Letzteres hat es mir angetan. Dead Kennedys haben mich maßgeblich beeinflusst. Ich habe von Jello Biafra viel Hirnnahrung verabreicht bekommen, und auch Giger habe ich durch die Dead Kennedys näher kennengelernt. Sein Bild "Landscape XX", schon 1973 angefertigt, lag dem Album Frankenchrist als Poster bei.
Das Bild, das später auch als Penis Landscape bekannt wurde, zeigt eine Wand aus männlichen und weiblichen Geschlechtsteilen beim Akt. Neun Penisse, einer davon mit Kondom, und ein Gesäß neben dem anderen; die linke Hinternhälfte vom einen ist die rechte Hinternhälfte des nächsten. Die Bildunterschrift in der Platte war "Where do we come from?". Diese Frage in Verbindung mit diesem Penis Landscape blew my mind und tut es heute noch. Und in der Ausstellung hing es vor mir, das Original, Acryl auf Papier und Holz, 70 x 100 cm.
Gigergesellschaft
Es gibt noch einen Grund, weshalb Giger so ein wichtiger Künstler war: Es ist seine Fähigkeit, die Fratzen der tiefsten Ängste unserer modernen Gesellschaft abzubilden. Das wird anhand der Geschichte rund um Penis Landscape deutlicht. Denn Biafra und sein Label, Alternative Tentacles, bekamen durch den Abdruck dieses Posters großen Ärger. Die Eltern eines Teenagers, der die LP gekauft hatte, sind halb in Ohnmacht gefallen. Das war Mitte der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Die eben erst gegründete PMRC (Parents Music Resource Center) reichte eine Klage gegen Biafra ein, wegen "Distribution of harmful matter to minors" (klingt auf Englisch schöner). Der Prozess dauerte zwei Jahre und führte hat das Label nahe an den finanziellen Ruin.
"Gewonnen" (die Anklage wurde letzten Endes aufgrund einer uneinigen Jury abgewiesen) haben Biafra und Alternative Tentacles. Und HR Giger wurde offiziell bescheinigt, dass es sich bei dem Bild nicht um Pornografie handelt.
Tipper Gore, Gattin von Al Gore und Gründerin des PMRC, gab damals aber nicht auf. Als nächstes kamen 2 Life Crew auf die Anklagebank und wenig später erschienen die berühmten "Parental Advisory"-Sticker auf Tonträgern. Die warnten nicht nur vor Schimpfwörtern in den Texten. Frank Zappas Album Jazz From Hell (1986) trägt ebenfalls einen Sticker, obwohl keine Zeile gesungen wird.
Mit Penis Landscape war Giger damals in eine weitere Vision gestolpert, in der die Meinungsfreiheit, Freiheit der Kunst, Konsumfreiheit, vor allem aber die moralische Freiheit einschränkt und beschnitten wurden. Er fand sich wieder in einer Welt, in der die Gesellschaft Angst vor Musik, Artwork und Lyrics hatte, und alle anderen mit einem Sticker davor warnen wollte. Das alles entstand Ende der 80er und wurde später in iTunes mit dem roten EXPLICIT Label weitergeführt.
Nicht die Bilder sind hässlich.
HR Giger verarbeitete nicht nur seine eigenen Träume und Visionen, sondern jene der Gesellschaft. Dass man auf ersten Blick von Hässlichkeit spricht, ist soziologisch und psychologisch erklärbar. Wer sich aber mit Giger auseinandersetzt, erkennt, dass es nicht die Bilder sind, die Angst machen. Wenn ein Bild wie Penis Landscape dazu beitragen kann, dass wir Warnhinweise auf unsere Tonträger kleben, dann treten wir vom Zirkuszelt der Albträume in ein ulkiges Spiegelkabinett: Was wir sehen, ist verzerrt und bizarr. Aber es ist ein Spiegelbild.
Der Schweizer Künstler HR Giger ist am Montag 74-jährig gestorben.