Erstellt am: 16. 3. 2011 - 17:49 Uhr
Keine Angst vor einem atomaren Unglück
Patrick Hiehs
Patrick Hiehs (29), studierte Japanologie und Anglistik auf der Universität Wien und lebt seit dem Ende seines Studiums in Yokohama, 20 Minuten Zugfahrt von der Hauptstadt Tokio entfernt. Durch die fast acht Jahre Aufenthalt in Japan und den dadurch verschobenen Lebensmittelpunkt, kann er sich einen permanenten Umzug zurück nach Österreich nicht mehr vorstellen.
Das Beben fühlte sich anfangs wie viele andere an. Nach dem ersten Schütteln wurde mir aber schnell klar, dass das Erdbeben am Freitag kurz nach 14:45 Uhr ein Großes war. Man versucht sich in Sicherheit zu bringen, geschafft hab ich es aber nur unter den Türstock. Der erste Gedanke nach dem minutenlangen Wackeln: Raus!
Die Telefonleitungen sind aufgrund Überlastung sofort zusammengebrochen. Kein Signal auf den Handys, kein Durchkommen auch vom Festnetz. Das einzige, was funktioniert hat, waren die öffentlichen Telefonzellen. Die wurden hier aber wegen mangelnder Nachfrage schon vor Jahren weitgehend abgeschafft.
Die Züge - die heute, fünf Tage nach dem Erdbeben der Stufe 9.0 zum größten Teil wieder fahren - wurden sofort nach dem Beben eingestellt. Teilweise aus Sorge um gebrochene Gleise, teilweise weil Bahnhöfe beschädigt wurden. Von größeren Schäden wusste ich aber zu der Zeit nichts. Die Ausmaße der Katastrophe habe ich dann nach einem zweistündigen Heimmarsch in meinem Haus in Yokohama im Fernsehen gesehen: Die Flutwellen hatten die Krisengebiete teilweise verwüstet, die Reporter berichteten schon von den erschreckenden Bildern, die dann kurz darauf durch die ganze Welt gingen.
Angst vor einem atomaren Unglück hatte ich weder anfangs noch jetzt. Ich trage zwar seit heute Maske und Mütze, präventiv, bin aber weit genug entfernt, um keine gesundheitliche Schäden davon zu tragen. Deswegen kann ich auch die Leute auf der anderen Seite der Erdkugel, in Österreich, nicht verstehen, die sich aus Angst vor der freigesetzten Strahlung mit Geigerzählern eindecken. Die paar hundert Euros, die sie da ausgeben, wären als Spende für die Opfer hier in Japan besser aufgehoben.
Die von den Medien so erwartete Kernschmelze bleibt meiner Meinung nach aus. Dass ich eine vorübergehende "Flucht" aus dem Land überhaupt in Erwägung ziehe, ist meiner Familie in der Heimat zu verdanken. Die wurde von den Reportagen in Österreich so verunsichert, dass mich gegenwärtig täglich mehrere Nachrichten erreichen, die mich dazu überreden wollen, Japan zu verlassen.
Wahr ist, dass durch die Niederschläge im Nordosten Japans die Wahrscheinlichkeit einer erhöhten Aufnahme an radioaktivem Jod auch in Regionen, die noch nicht evakuiert wurden, steigt.
Jodtabletten würden zwar verhindern, dass sich das bei einem Strahlungsunfall freigewordene, radioaktive Jod in der Schilddrüse ablagert. Das rettende Kaliumjodid ist hier in Yokohama für mich aber weder in Apotheken erhältlich, noch ist es möglich, es von den Krankenhäusern zu bekommen. Dort hätte man das "kalte Jod" zwar für den Ernstfall gelagert, jedoch gäbe es zu diesem Zeitpunkt für die Ärzte keinen Grund für eine Verschreibung außerhalb der unmittelbaren Krisengebiete.
- Neuigkeiten auf news.ORF.at
- Aktuelle Kurzmeldungen
- ORF Sondersendungen zum Beben: Die Nachrichtensendungen gibt es auch in der ORF TVthek
- Vorher/Nachher-Fotostrecke auf abc.net.au
- Auf TW1 und in der TVthek zeigt der ORF Berichterstattung des japanischen Senders NHK
- Alle FM4 Artikel auf einen Blick: fm4.orf.at/japanbeben
Eine Übersicht über verschiedene Spendenmöglichkeiten:
Spenden für Japan
In Telefonaten mit meiner Familie ist mir am Dienstag gesagt worden, dass die österreichische Botschaft in Tokio Flüge in die Heimat organisieren würde. Jodtabletten hätten sie auch im Überschuss. Bei einem sofortigen Anruf bei der Botschaft hieß es aber, dass man mir nicht helfen könne, weil die Abgesandten gerade am Übersiedeln von Tokio nach Osaka seien. Außerdem hätte ich es in den Jahren, in denen ich in Japan lebte, bis jetzt nicht geschafft, mich bei der Botschaft zu registrieren. Es reicht anscheinend nicht, einfach nur Österreicher zu sein. Man zeigt sich aber kulant: Die Registrierung könne ich jetzt per E-Mail nachholen. Auf eine Antwort vom Außenministerium auf die Bitte um Hilfe oder wenigstens Kontakt warte ich jedoch immer noch. Meine Mutter sieht die Lage mittlerweile wieder sachlich - den geplanten Urlaub nach Japan Ende März wird sie wohl antreten.
Viel mehr als die defekten Atomkraftwerke im Nordosten des Landes verunsichern mich persönlich im Moment die Nachbeben. Auch weil die Stärken bis über 6.0 haben. Alleine heute schüttelte es die Erde über 50 Mal. Der Boden hört praktisch gar nicht mehr zu wackeln auf. Und laut japanischen Medien wird noch ein weiteres großes Beben erwartet, dann aber wahrscheinlich näher an der Hauptstadt.
Für den eventuellen Rückflug werde ich mich, wie es mir von der österreichischen Botschaft empfohlen wurde, an ein anderes, in Japan vertretenes EU-Land wenden. Vielleicht stoße ich bei den Deutschen auf mehr Verständnis und Hilfe. Die Jodtabletten schickt mir bis dahin die Verwandtschaft aus Österreich.