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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

16. 3. 2011 - 16:10

In der Leere schweben

Der Ausnahmefilmer Gaspar Noé zwingt zur Konfrontation mit dem Tod, auch in seinem neuen Werk. "Enter The Void" ist aber gleichzeitig auch eine Feier des Lebens und der Spiritualität.

Die meisten Menschen setzen sich erst in Ausnahmesituationen mit den letzten Dingen auseinander. Wenn wie im Moment entsetzliche Katastrophenbilder durch alle Medien geistern. Oder, noch eindringlicher, ein plötzlicher Unglücksfall im engen persönlichen Kreis passiert. Auf einmal bleibt gar nichts anderes übrig, als sich mit der Vergänglichkeit zu konfrontieren und auch mit der eigenen beschränkten Existenz.

In den Filmen von Gaspar Noé ist der Tod omnipräsent. "Die Zeit zerstört alles", lautet der Schlüsselsatz in seinem Meisterwerk "Irréversible".

Bereits der Kurzfilm "Carne" kündigt 1991 eine kraftvolle wie kontroverse neue Stimme im europäischen Kino an. Gaspar Noé, ein gebürtiger Argentinier mit Wohnsitz Paris, sucht nach innovativen Formen für die ewigen tragischen Themen. Wie ein Schlag in die Magengrube wirkt sein Spielfilmdebüt "Seul Contre Tous".

Der deutsche Verleihtitel "Menschenfeind" ist ausnahmsweise durchaus aussagekräftig. Ein alter, arbeitsloser Fleischer (der grimmige Philippe Nahon) steht im Mittelpunkt, sein Gesicht, das weißglühenden Hass verstrahlt, seine Welt aus Pornografie, Rassismus, Brutalität und Entfremdung. Zwar klafft hinter jeder Szene ein überdeutlicher sozialer Abgrund, Noé geht es aber um das grundsätzliche Drama des menschlichen Seins.

Seul Contre Tous

Strand Releasing

Mit "Seul Contre Tous" beginnen die Missverständnisse rund um den Regisseur. Die sich zahlreich formierenden Gegner von Gaspar Noé halten die Mörder- und Inzest-Saga für ein ausbeuterisches Werk am Rande des Exploitationkinos. Aber wie alle großen Regierebellen passt der Argentinier in keine Schablone.

"Irréversible" schließt schockierend nahtlos an. Wobei der Anfang des Films gleichzeitig sein Ende ist. Die Ereignisse entfalten sich im Rückwärtslauf, konsequenterweise mit dem Abspann beginnend. Der formale Schachzug hat einen existentialistischen Hintergrund, der erst klar wird, wenn die Lichter im Saal wieder angehen. Und man am liebsten sofort losheulen möchte.

Zuvor sehen wir Blitzlichter aus dem Alltag eines frischverliebten Paares (Monica Bellucci, Vincent Cassel, beide auch in Wirklichkeit liiert) zwischen Sexspielen, Ausgehen und Smalltalk-Dummheiten. Schnitt. Die infernalische Vergewaltigung der Frau nach einem Partybesuch. Schnitt. Der grausame Vergeltungsakt des Freundes. Schnitt. Und das alles läuft eben in umkehrter Reihenfolge ab, mit dem Totschlag des (vermeintlichen) Täters als drastischem Einstieg.

Irreversible

Universum Film

"Irréversible" ist alles andere als ein perfider Rachethriller. Hier gibt es, mit Ausnahme der Frauenfigur, keine moralisch unantastbare Rolle. Der Freund des Opfers lässt in seiner grenzenlosen Wut den bürgerlich-liberalen Schein hinter sich und erklärt sämtlichen Randgruppen den Krieg. Zufällig hinzukommende Passanten wenden sich von der geschundenen Monica Bellucci und ihrem Quäler ab. Auch die Beziehungsidylle erweist sich als trügerisch.

Unbarmherzig dekonstruiert Gaspar Noé zwischenmenschliches Verhalten, zeigt vom grundsätzlichen Missverständnis zwischen den Geschlechtern bis zu latenter Bestialität, was unter zivilisatorischen Codes ruht.

Nur ganz kurz flackern Augenblicke der Hoffnung auf, Ansätze von Liebe, von so etwas wie Glück. Da ruht dann auch die rastlos hetzende Handkamera. Dass genau diese Szenen des Anfangs bei Noé am Ende stehen, macht seinen Film zum gänzlich fatalen Befund. Denn die Erkenntnis, dass jeder schöne Moment sich noch verflüchtigt, während er passiert, dass nichts dauerhaft oder konservierbar ist, die mag vielleicht für viele banal sein.

"Irréversible" donnert dir diese Botschaft aber mit einer solchen Wucht ins Gesicht, dass Wunden zurückbleiben.

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Fast schon zurückhaltend wirkt im Gegensatz dazu der neue Film von Gaspar Noé. Obwohl es wieder nur um eines geht: den Tod. Ein junger Bursche aus dem Westen (Nathaniel Brown) finanziert sich seinen Aufenthalt in Tokio mit Drogengeschäften. Einziger menschlicher Bezugspunkt für Oscar ist seine Schwester (Paz de la Huerta), die mit Zuhältern anbandelnd durch das Nachtleben driftet.

Eine Polizeirazzia beendet dann mit einem Schuss alle kleinkrimimellen Eskapaden. In einer schäbigen Toilette haucht Oscar sein Leben aus, der Film "Enter The Vod" beginnt jetzt aber erst so richtig.

Konsequent aus dem subjektiven Blickwinkel von Oscar erzählt Gaspar Noé seinen Streifen. Und das erst recht nach dem Tod des Protagonisten. "Enter The Void" ist der gewagte Versuch, eine Seelenreise zu visualisieren, anknüpfend an Traditionen des psychedelischen Kinos. Eine beinahe dreistündige Grenzerfahrung, inspiriert auch von den Erfahrungen des Regisseurs mit dem halluzinogenen Gebräu Ayahuasca.

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Wie angedeutet, geht es trotz zahlreicher transgressiver Momente nicht mehr um den Tabubruch, der die bisherigen Arbeiten des Regisseurs durchzogen hat. "Enter The Void" lässt einen grausamen Horrortrip befürchten, betört aber als neonbunter surrealer Rausch. Eine stellenweise sehr zärtliche Hymne an Wärme und weibliche Energien ist dieser Film, eine Reise zurück in den Mutterleib, eine höchst spirituell aufgeladene Todesreflexion, die dennoch der Religion und billigen Esoterikklischees ausweicht.

Nicht zuletzt hat Noé auch eine Verbeugung vor einem der magischsten Orte des Planeten geschaffen, der unwirklichen Megametropole Tokio. Zu sehen, wie die entfesselte Kamera die japanische Hauptstadt obsessiv auskundschaftet, kann einem dieser Tage schon alleine das Herz sehr schwer machen.

"Enter The Void" ist in einer ungeschnittenen Deluxe-Edition beim deutschen DVD-Label "Capelight" erschienen und ab 18. März exklusiv im Wiener Gartenbaukino auf einer großen Leinwand zu sehen.

"Enter The Void" macht auch klar, was Fans schon lange ahnten: Hinter dem vermeintlichen Nihilisten Noé steckt ein militanter Romantiker. Meilenweit entfernt von dumpfen Provokationsstreifen wie "A Serbian Film" sucht der mittlerweile 47-Jährige nach Spuren von Sinn. Auch wenn er nur Leere findet.

Sein nächstes Werk soll ein expliziter Sexstreifen sein, ganz ohne Gewalt, ein ernsthafter Versuch, dem Geheimnis der Körperlichkeit auf die Spur kommen, ohne bloß in gängige Pornofallen zu tappen. Wenn das jemandem gelingt, dann Gaspar Noé. Denn hinter dem Todeskino dieses Mannes steckte immer schon eine Feier des Lebens.

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