Erstellt am: 15. 3. 2011 - 23:45 Uhr
Verschiedene Frauen fahren verschiedene Strategien
Das, was heute klischeehaft unter dem "klassischen" Feminismus verstanden wird, gibt es eigentlich erst seit den 1970er Jahren: Damals ist die so genannte Zweite Frauenbewegung entstanden, es ist die Zeit der lila Latzhosen, der großen Frauendemos und der Abtreibungsdebatte.
100 Jahre Frauentag
von 8.-19. März auf FM4 und nachzulesen unter fm4.orf.at/frauentag.
Feste_Kämpfe_12.jpg | Transparent der autonomen Frauen, 1982 | © Stichwort. Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung, Wien
"Das Private ist politisch" und "Mein Bauch gehört mir" sind zwei der bekanntesten Slogans der Zweiten Frauenbewegung. Denn obwohl auf dem Papier die Gleichstellung erreicht ist und Frauen wählen, studieren und Geld verdienen dürfen, sieht das in der Lebensrealität der meisten anders aus. Vor allem, weil Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger Jahre noch immer das Bild der Hausfrau bzw. das des männlichen Ernährers und Familienvorstands dominiert. Die zweite Frauenbewegung adressiert diese Widersprüche und die noch immer de facto existierenden Unterschiede im Privaten und trägt sie hinaus in die Öffentlichkeit. Sie geht aber auch von einer einheitlichen Kategorie der "Frau" aus, in der alle Frauen aufgrund ihres Geschlechts die gleichen Erfahrungen machen. Spätestens ab den 1980er Jahren werden aber Brüche in dieser Kategorie sichtbar, da ethnische, Klassen- und Bildungsunterschiede innerhalb der Frauen sichtbar werden.
Mit der Gender-Theorie wird Geschlecht dann als gemacht und nicht natürlich vorhanden kritisiert. Dieser Paradigmenwechsel ist gleichzeitig die Entstehung der so genannten Dritten feministischen Welle. Diese zeichnet sich einerseits stark durch eine Theoretisierung des Feminismus aus, die Womens bzw. dann Gender Studies etablieren sich an den Unis. Andererseits bringt diese Dekonstruktion von Geschlecht die Frauenbewegung auch um ihre wichtigste Solidargemeinschaft: die Frauen. Was den jüngeren Feministinnen auch die Kritik einbringt, sie würden nur mehr theoretisch über Gender nachdenken und die gesellschaftspolitische Kritik würde fehlen.
Studiodiskussion
Wir haben Feministinnen zweier Generationen zu uns ins Studio gebeten, um mit ihnen über die verschiedenen Anliegen und Herangehensweisen der unterschiedlichen Frauenbewegungen zu diskutieren.
Styria Verlag
Trautl Brandstaller war langjährige ORF-Journalistin, unter anderem leitete sie ab 1976 das Magazin "Prisma", das erstmals zur Hauptsendezeit feministische Themen im Fernsehen behandelte. Außerdem war sie Moderatorin des "Club 2". 2007 ist ihr Buch "Die neue Macht der Frauen" im Styria Verlag erschienen.
Gabi Horak und Lea Susemichel sind Mitarbeiterinnen des feministischen Magazins "an.schläge" und waren bzw. sind als koordinierende Redakteurinnen der an.schläge tätig. Die an.schläge sind 1984 als Medium der zweiten Frauenbewegung entstanden, das vor allem die Lebensrealitäten von Frauen abzeichnete. Mittlerweile hat hier - wie in den meisten feministischen Projekten - ein Professionalisierungsschub stattgefunden. Die an.schläge definieren sich mittlerweile als Nachrichtenmagazin, das aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen thematisiert und aus einem feministischen Blickwinkel beleuchtet.
Trautl Brandstaller, wollen Sie uns Ihre Sicht der Frauenbewegung in den Siebzigern schildern?
OTS / pressefotos.at Niki Formanek
TB: Grundsätzlich möchte ich daran erinnern, dass diese neue, Zweite Frauenbewegung aus der Studentenbewegung entstanden ist. Im Grunde waren das zunächst durchaus individuelle Proteste: Wir wollten nicht mehr den Kaffee kochen für die lieben Kollegen, wir wollten ihnen nicht mehr die Manuskripte tippen und haben gesagt: "Macht euch euren Dreck alleine!" Das ist dann verstärkt worden durch diese große Aktion in Deutschland - "Wir haben abgetrieben!" - dadurch hat das Ganze einen Fokus bekommen. Aber es ging uns nicht nur um die Abtreibung, es ging um eine selbstbestimmte Sexualität. Das war auch die durchaus wichtige Frage, die hinter der Abtreibungsdebatte gestanden ist.
Sie waren ORF-Journalistin in den 1970ern, haben damals unter anderem das Magazin "PRISMA" geleitet, das die Emanzipation der Frau thematisierte und wichtige Anstöße zur Frauenpolitik lieferte. Erzählen Sie uns von den wichtigsten Anliegen und Herangehensweisen damals!
TB: Es gab damals schon ein klassisches Frauenmagazin mit den Themen Kinder, Küche, Mode. Mir wurde vorgeschlagen, ein weiteres zu machen. Ich habe dann ein Konzept geschrieben für ein Frauenmagazin zur Förderung der Emanzipation der Frau und bekam dafür den Hauptabend und das war eigentlich schon sensationell. Ich war damals auch die erste Frau, die überhaupt selber ein Magazin geleitet hat, alle anderen Sendungen wurden von Männern geleitet!
Angefangen habe ich mit Adam und Eva und dem Frauenbild in der katholischen Kirche. Und dann haben wir natürlich alle aktuellen Themen verhandelt, die Abtreibungsdebatte, Gewalt gegen Frauen oder gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Themen, die damals auch in der Internationalen Frauenbewegung verhandelt wurden.
anschläge
Gabi Horak und Lea Susemichel, auch die an.schläge wurden gegründet in den 1980ern als klassisches Medium der 2. Frauenbewegung. Was hat sich denn im Lauf der Zeit an Inhalten, Arbeitsweisen usw. geändert?
LS: Grundsätzlich geht es heute bei den an.schlägen nicht darum, die klassischen Frauenthemen zu bearbeiten, wir versuchen das gesellschaftspolitische Geschehen allgemein abzubilden und eine feministische Perspektive darauf zu finden.
GH: Das hat sich sehr verändert. Ich erinnere mich an eine Redaktionssitzung, ich glaube 1997, bei der ich das Thema Väterkarenz vorgeschlagen habe. Da gab es Entsetzen in den Gesichtern der anwesenden Frauen, warum ich das vorschlage, weil dabei ginge es ja nicht um die Lebensrealitäten von Frauen. Ich konnte das argumentieren und hab das Thema dann auch gemacht. Also das war eine Sitzung, in der sich die Themenvielfalt zum Beispiel erweitert hat.
anschläge
Verschiedene Generationen von Feministinnen werfen einander verschiedene Dinge vor. Zum Beispiel kritisieren jüngere Feministinnen, dass mit der biologischen Kategorie der Frau Unterschiede und Machtgefälle zwischen Frauen nicht berücksichtigt würden. Bzw. dass jede Diskriminierung von Frauen auf den Unterschied Mann-Frau zurückgeführt werde. Was sagt ihr dazu?
TB: Da müsst ihr jetzt anfangen.
anschläge
LS: Ich glaube schon, dass man das pauschalisierend sagen kann, dass die weibliche Identität für die zweite Frauenbewegung unglaublich wichtig war. Das war auch eine Umwertung eines vormals abgewerteten Identitätskonstrukts. Da gab es tatsächlich einen bejahenden Bezug dazu und der wurde in den letzten beiden Jahrzehnten infrage gestellt. Das war ein zentraler Paradigmenwechsel in der feministischen Theoriebildung aber auch für die feministische Bewegung. Weil es eben aufmerksam macht auf alle die Unterschiede, die es zwischen Frauen gibt, und die Machtverhältnisse zwischen Frauen. Mit dem einheitlichen Bild ging ja auch die Vorstellung einher, dass Frauen alle im gleichen Boot sitzen und alle Opfer des Patriarchats sind. Da mussten ganz viele aufstehen und Einspruch einlegen und darauf hinweisen, dass Frauen auch ganz oft Täterinnen sind, als weiße Frauen, Frauen einer bestimmen Klassenzugehörigkeit.
Trautl Brandstaller, Ihre Meinung dazu?
TB: Die Frage der weiblichen Identität war sicher eine wichtige Debatte, auch die Abgrenzung und die Genderdebatte. Auf der anderen Seite glaube ich, dass es Entwicklungen gegeben hat, auf die diese Dritte Frauenbewegung zu wenig reagiert hat. Es ist ja unbestritten, dass es ab den neunziger Jahren einen Backlash gegeben hat, und der Neoliberalismus ist daran interessiert, die Frauen wieder in ihre klassischen Rollen zurück zu drängen. Da wünsche ich mir manchmal heftigere Kritik! Auch Entwicklungen wie Schönheits-Operationen: Wir kämpfen gegen Genitalverstümmelung in Afrika und gleichzeitig akzeptieren wir, dass sich Frauen alle möglichen Körperteile umoperieren. Ich denke mir immer: Warum soll ich Alte schon wieder protestieren, sollen doch mal die Jüngeren was sagen! Das ist meine leise Kritik an der Gender-Debatte.
Lea, Gabi, eure Sicht der Dinge?
GH: Ich habe es immer so empfunden, dass verschiedene Frauen verschiedene Strategien fahren. Bin ich eine, die lieber auf Demos geht oder eine, die für die Zeitung schreibt, Videos macht oder theoretische Pamphlete verfasst. Ich sehe aber schon, dass das auch fehlen kann. Denn um etwas sichtbar zu machen, muss es hinaus. Was aber eh immer wieder passiert! Frauendemos, wo man 20.000 Frauen auf die Straße bringen will etc. das gibt’s ja auch. Was man in dem Kontext berücksichtigen muss, ist, dass die Arbeitsrealitäten immer prekärer werden, die Frauen haben da auch nicht mehr die Zeit oder die Energie, aufreibende Strategien zu entwickeln.
anschläge
LS: Das ist auch nicht nur die Frage, ob oder was sie sagen, sondern wie sie rezipiert werden. Feminismus wird nur dann aufgegriffen, wenn man so reißerische Aufhänger hat wie das "Duell zwischen den Generationen". Und dann sitzen da Alice Schwarzer und die Alpha-Mädchen. Und es wird so dargestellt, als würden sich die jungen Feministinnen nur mehr mit Pornografie und Pop beschäftigen. Sonst wird ihnen keine Position zugestanden und das ist schlichtweg falsch. Auch die so genannten jungen Feministinnen, wenn es die denn gibt, sind gegen Gewalt an Frauen oder wollen die Gehaltsschere schließen. Aber durch diese Zuspitzung in den Medien gibt’s die "Altfeministinnen", die formulieren die traditionellen Forderungen und dann kommen die Jungen nur mit diesen exotischen Themen vor. Was man aber auch lieber hat: Die meisten Medien wollen nicht zum hundertsten Mal eine, die sagt "Wir brauchen gleichen Lohn für gleich Arbeit", sondern die finden es halt spannender, wenn sich Feministinnen über Pornografie streiten. Das kommt vor, die anderen Positionen halt nicht.