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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

15. 3. 2011 - 15:35

Der große Krieg

Über den selbstgerechten Beigeschmack der neu aufgeflammten Diskussion über Kernkraft. Und warum diese sich nicht ohne Verweis auf die Rolle des Westens in der arabischen Revolution führen lässt.

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"Wir müssen dringend alle Vorbereitungen in Gang setzen, so als ginge es in den Krieg", sagte der Experte gestern im Interview mit der BBC Newsnight. Die Worte waren gut gewählt.

Was für einen Mitteleuropäer exzessiv reißerisch wirkt, klingt für britische Ohren, die die Rhethorik der Kriegsvorbereitung gewöhnt sind, nach raschem Handeln, allgemeiner Priorität und einer moralischen Verpflichtung zur Gemeinsamkeit jenseits des persönlichen oder direkten finanziellen Nutzens.

Und wenn diese Art von Geist einmal nicht im Sinne des Führens als Demokratisierungsfeldzüge getarnter Rohstoffkriege, sondern der Umstellung auf erneuerbare Energieformen Anwendung fände, dann wäre das tatsächlich ein Riesenfortschritt.

Jeremy Leggett, der diese Metapher in den Mund nahm, ist ein Lobbyist für die unternehmerische grüne Lobby-Gruppe Solarcentury und war eingeladen, aus Anlass des Desasters in Japan über die Zukunft der Atomkraft zu sprechen. In Wahrheit hätte sein Kommentar aber genauso gut zur Situation in Libyen, Bahrain oder Saudi Arabien gepasst.

Aus europäischer Perspektive geht es in allen dieser Fälle letztlich um die Energieversorgung als zentrale Überlebensfrage der kommenden Jahrzehnte: die politischen Auswirkungen der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen auf der einen und die schwierige Suche nach Alternativen – inklusive Atomstrom – auf der anderen Seite. Die Gewohnheit, beide Themen getrennt zu diskutieren, ist bereits ein Teil des Problems.

Robert Rotifer

Mein Blick aus dem englischen Zugfenster ruft unweigerlich die Bilder aus Japan ins Gedächtnis. Das Unterbewusste sucht nach der Identifikation mit dem Unfassbaren.

Allerdings greift auch Leggetts Appell bereits zu kurz. Von Vorbereitung kann keine Rede mehr sein. Der Krieg, von dem er spricht, ist längst im Gange. Was mit größter Dringlichkeit ansteht, ist vielmehr die einzige Möglichkeit, statt der drohenden Eskalation zum Frieden zu gelangen.

An dieser Stelle ein kurzer, aber notwendiger Einwurf: Vielleicht bin ich nicht der einzige, der bei der derzeitigen Atomkraftpanik auch ein nagendes Unwohlsein empfindet. Wie soll ich es sagen, ohne wie ein verrannter Kalmierer zu klingen?

Was in Japan passiert ist, war eine Naturkatastrophe, die Bilder der Häuser und Autos, die von der unfassbaren Gewalt der Natur zu banalem Treibgut verwandelt werden, lösen existenzielle Fragen aus, für die es keine von Menschen verhandelbare Antwort gibt, erinnern an die grundsätzliche Bedeutungslosigkeit menschlichen Treibens.

Insofern – und das ist absolut nicht zynisch zu verstehen – kam unsereins der Aspekt der Reaktorkatastrophe gerade recht. Nicht nur, dass wir darüber diskutieren können, ob Atomkraft im Angesicht der Naturgewalten je sicher sein kann (auch der Haus- und Straßenbau, sowie die Fischerei sind es offensichtlich nicht, wenngleich mit anderen Konsequenzen). Wir können aus der potenziellen Verstrahlung auch eine eigene Betroffenheit konstruieren, statt mit dem schlechten Gewissen des unbeteiligten Voyeurs zuzusehen, wie Zehntausende JapanerInnen sterben und Millionen ihr Zuhause verlieren.

Plötzlich dürfen wir uns selbst als Opfer sehen, schlimmstenfalls gar als anklagende Opfer der Hybris Japans, in so einem geologisch gefährlichen Winkel des Planeten überhaupt ein Kernkraftwerk zu bauen. Verbunden mit der österreichischen Tendenz, aus der vermeintlichen, eigenen Atomkraftfreiheit eine moralische Überlegenheit zu derivieren, können solche Gedanken einen ganz schön widerlichen Beigeschmack entwickeln.

Wollen wir also nicht so obszön sein, zu übersehen, dass die potenzielle nukleare Katastrophe neben dem Tsunami und den Erdbebenschäden selbst nur eine von drei dringenden Herausforderungen darstellt und dass in Japan Menschen bei Minusgraden im Freien sitzen und an FreundInnen und Verwandte denken, die von den Wellen zerdrückt oder weggeschwemmt wurden.

Rotifer

Liebes ORF-Gesetz, diese Story begleitet die gerade in der Sendung FM4 Connected laufende Studiodiskussion zur aktuellen Lage in Japan

Im Bewusstsein dessen schraubt sich die eigene Hysterie auch gleich auf ein angemessenes Format herunter, und am Ende schaffen wir es damit gar noch zu vermeiden, dass in unseren Debatten eine Katastrophe in einem japanischen Reaktor die Flutkatastrophe für die Bevölkerung der japanischen Nordostküste verdrängt, welche ihrerseits die blutige Niederschlagung des Aufstands in Libyen verdrängt, welcher seinerseits den Einmarsch von Saudi-Truppen im Ölstaat Bahrain überschattet, welcher wiederum die Analyse der prekären Lage des Herrscherhauses von Saudi Arabien aus dem Blickwinkel schiebt – obwohl die erste dieser „Stories“ mit der letzten als Symptom der immer vertagten, ungelösten Frage einer ethisch akzeptablen und umweltverträglichen Energieversorgung ursächlich zusammenhängt.

Warum die internationale Reaktion auf die Ereignisse in Libyen sich so eklatant von der Einstellung gegenüber Saudi Arabien unterscheidet, erklärt etwa George Monbiot wieder einmal sehr präzise im heutigen Guardian.

Die zu erwartenden enormen Auswirkungen auf den Ölpreis machen jedes westliche Engagement für Demokratie im wichtigsten aller Förderländer politisch unmöglich. Und das obwohl, ehe wir's vergessen, gerade dort, im gesellschaftlich gespaltenen Saudi Arabien ein gewisser Osama Bin Laden jenen Klüngel falscher Widerständler zusammenrief, gegen den Briten und Amerikaner immer noch in Afghanistan zu kämpfen behaupten.

Man muss Monbiots richtige Analyse aber noch weiterspinnen, schließlich geht auch die Atomkraftlobby von einem ähnlichen Ansatz aus, nämlich statt der nicht mehr gewinnbaren Versorgungskriege Versorgungsunabhängigkeit zu erreichen.

APA

In dieser Argumentation liegt ein großer Teil des politischen Einflusses der AtomkraftbefürworterInnen, und gerade deshalb reicht es all die Jahre nach Harrisburg, der Zwentendorf-Abstimmung und Tschernobyl nicht mehr, einfach gegen Atomkraft zu sein.

Die alten Stickers schön und gut, aber jede weitere Diskussion muss Energiepolitik als Ganzes angehen, samt ihren politischen, technologischen und klimatechnischen Aspekten und einer ehrlichen Betrachtung unseres eigenen, elektrizitätsintensiven Online-Lebensstils der gut versteckten Serverfarmen und per Botendienst herangeschafften Importgüter.

Sonst wird der Krieg, von dem Jeremy Leggett spricht, bald Dritter Weltkrieg heißen.