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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

16. 3. 2011 - 12:11

Mein coolster Nachbar

Die Bulgaren verachten ihre Nachbarn. Griechen, Rumänen und Türken haben bei Bulgaren alle keinen besonders guten Ruf. Nur gegenüber Serben empfinden sie eine Art Respekt.

Die Bulgaren verachten ihre Nachbarn: Griechische Männer sind faul und griechische Frauen hässlich. Griechen schleimen sich immer ein und sind überhaupt die hinterhältigsten Menschen auf der ganzen Welt. Die Rumänen liegen weit hinter den Bulgaren in ihrer kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung. Rumänisches Fernsehen empfängt man südlich der Donau nur mit einer Wurst an der Fernsehantenne. So was wie Mazedonier gibt es gar nicht und über Türken will ich eigenlich nicht sprechen. Im Rahmen meiner Arbeit für die Zeitschrift "Biber" habe ich solche Äußerungen schon oft in Hatemails meiner Landsleute gelesen. Ich sei ein Verräter, da ich mich mit Leuten aus den benachbarten Nationen an einen Tisch gesetzt habe.

Viele haben versucht, den Begriff "Nation" zu erklären. Meiner Meinung nach stammt die beste Definition vom tschechisch-deutsch-amerikanischen Sozialwissenschaftler Karl Deutsch: "Eine Nation ist eine Gruppe von Menschen, die durch einen gemeinsamen Irrtum hinsichtlich ihrer Abstammung und eine gemeinsame Abneigung gegen ihre Nachbarn geeint ist."

Nur gegenüber den Serben empfinden die Bulgaren eine Art Respekt. Die sind zwar auch alle Gauner und Verbrecher, aber Serben sind immer "dagegen", was die Bulgaren beneiden. Bulgaren sind nur zu Hause "dagegen" und nach dem dritten Schnaps. "Wenn der Bulgare ein Lamm schlachtet, schlachtet der Serbe ein Kalb", sagt der Volksmund in Bulgarien. "Wenn der Bulgare auf Familienangehörige schimpft, hat es der Serbe längst mit den Familienangehörigen getrieben", schließt er weise ab.

Traktor

http://www.flickr.com/photos/nataliemaynor

Mein Freund Darko stammt aus einem Dorf in der Vojvodina. Seine Jugend war so langweilig, wie nur eine Jugend am Land sein kann. Er lernte früh den Familientraktor zu fahren und die einzige Abwechslung, die er während der Arbeit hatte, war Stinkefinger an die rumänischen Bauern links und an die ungarischen Bauern rechts vom Feld seines Vaters auszuteilen. Die einzige Abwechslung, die Darko in seiner Freizeit hatte, waren Drogen. Und so arbeitete er den ganzen Tag auf dem Feld und in der Nacht nahm er alle Drogen, die er nur kriegen konnte. Irgendwann muss man aber Prioritäten setzen: Darko verkaufte insgeheim den Traktor seines Vaters, kaufte sich Drogen und verschwand aus dem Dorf. Er stopfte um die zwei tausend Extasypillen in Kondome, versteckte die Kondome in vier großen Forellen und machte sich auf den Weg nach Wien.

Als ich Darko kennengelernt habe, war er mein Nachbar und nahm keine Drogen mehr. Er hatte in Österreich viele verschiedene Jobs gehabt. Mal war er Sushikoch, mal LKW-Spediteur. Darko war ein anständiger, gepflegter mitteleuropäischer junger Mann geworden, der jeden Tag mit der U-Bahn zur Arbeit fuhr. Nur manchmal, nach dem dritten Schnaps, wehrte sich der neue Darko gegen seinen Status Quo. "Weißt du was", sagte er mir einmal in einem solchen Moment, "für die hier werde ich immer ein Indianer bleiben". Danach verschwand er aus dem Haus. Als ich ihn das nächste Mal gesehen habe, hat er sich die Haare abrasiert und sich zwei Federn auf den Kopf tätowieren lassen. Wenig später verschwand Darko spurlos.

Ich weiß nicht, ob Darko immer noch in Österreich ist, ob er wieder Traktor in Serbien fährt, oder ob er sich einen Wohnwagen gekauft hat und nach Indien abgedüst ist. Ich wünsche ihm alles Gute, wo immer er sich jetzt befindet. Schließlich war er mein coolster Nachbar aller Zeiten.