Erstellt am: 15. 3. 2011 - 12:33 Uhr
Fußball-Journal '11-19.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch das neue Jahr wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und die Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute mit dem fast schon traditionellen Bericht von der Kader-Bekanntgabe-Pressekonferenz für die beiden vorentscheidenden WM-Quali-Spiele.
Der ÖFB-Kader für die Qualifikationsspiele gegen Belgien, daheim in Wien am Freitag den 25.3. und dann auswärts am Dienstag den 29.3. in Istanbul gegen die Türkei.
Tor: Jürgen Macho (Panionios/GRE), Helge Payer (Rapid), Pascal Grünwald (Innsbruck).
Abwehr: Emanuel Pogatetz (Hannover/D), Sebastian Prödl (Werder/D), Aleksander Dragovic (Basel/SUI), Franz Schiemer (Salzburg), Christian Fuchs (Mainz/D), Florian Klein (Austria), Ekrem Dag (Besiktas/TUR).
Mittelfeld: Paul Scharner (WestBrom/ENG - im Belgien-Spiel gesperrt), Julian Baumgartlinger (Austria), David Alaba (Hoffenheim/D), Yasin Pehlivan (Rapid), Zlatko Junuzovic (Austria), Martin Harnik (Stuttgart/D), Ümit Korkmaz (Bochum/D).
Angriff: Marc Janko (Twente/NED), Marko Arnautovic (Werder/D), Erwin Hoffer (Lautern/D), Stefan Maierhofer (Duisburg/D), Roman Wallner (Salzburg), Roland Linz (Austria).
Abrufliste. Thomas Schrammel (Ried), Alexander Grünwald (Neustadt), Daniel Royer (Ried), Patrick Wolf (Sturm), Jakob Jantscher (Salzburg), Andreas Hölzl (Sturm), Christopher Drazan (Rapid), Roman Kienast (Sturm).
Die Hirnlosigkeit mit der diese Abrufliste erstellt ist zeigt sich in der Tatsache, dass Constantini nach Prödls Verletzung Manuel Ortlechner (Austria) von außerhalb der Liste nachnominieren muss.
Verletzt: Christian Gratzei (Sturm),Veli Kavlak (Rapid) Johnny Ertl (Sheffield/ENG),. Noch nicht fit genug: Andreas Ulmer (Salzburg). Blacklisted und verletzt: Andreas Ibertsberger (Hoffen-heim/D), György Garics (Bologna/ITA). Blacklisted: Andreas Ivanschitz (Mainz/D), Mika Gspurning (Xanthi/GRE), Christoph Leitgeb (Salzburg). Zurückgetreten: Martin Stranzl (Gladbach/D), Alexander Manninger (Juventus/ITA).
Nicht dabei: Margreitter, Stankovic (Austria), Manuel Weber (Sturm), Hadzic, Mader (Ried), Sonnleitner, Tanju Kayhan (Rapid), Ramsebner, Simkovic (Neustadt), Markus Berger (Coimbra/POR) um die aktuell in brauchbarer Form Befindlichen zu erwähnen.
Drazan und Royer finden sich ebenso wie die Jungstars der Jahrgänge 1990-und-jünger beim U21-Team, das zwei Tests spielt. Außerdem gibt's von 20. bis 25. März ein Test-Trainingslager für diverse Kandidaten für die U20-WM in Kolumbien.
Es war in Wien, etwa 1990. Mein damals noch sehr unbekannter und damals noch junger Kollege versucht im Laufschritt die letzte Straßenbahn nach Hause zu bekommen - er befindet sich recht weit draußen in einem Außenbezirk, bescheidene Verkehrsanbindung und von einer 24 Stunden-Wochenend-U-Bahn keine Rede. Der Bimfahrer sieht ihn heranspurten - und fährt trotzdem los, zu Fleiß.
Der junge Mann steht dann, fluchend und keuchend, an der Station, als sich neben ihm ein Sportwagen einbremst. Aus dem Fenster kommt eine Tiroler Stimme, die ihn tröstet, seinen tollen Sprint lobt und anbietet ihn mitzunehmen.
Der junge Kollege ist erfreut und lernt auf der folgenden Fahrt ans andere Ende der Stadt (der damalige Wohnort ist der Redaktion bekannt) einen jungen Fußballtrainer kennen. Weil es sich genau gar nicht für Fußball interessiert, sagen ihm die Fakten (Ex-Spieler,Co-Trainer bei Rapid) nicht viel. Ihm bleibt der am Boden gebliebene, direkt kommunizierende und freundliche Mann mit dem Tiroler Schmäh und der guten Tat in Erinnerung.
Wann immer in der Gegenwart dieses mittlerweile schön bekannten über Fußball geredet und im speziellen über Dietmar Constantini geschimpft wird, würde er sich innerlich oder in echt absentieren, sagt er. Der Mann hat mit einer einzigen Aktion seinen Respekt errungen.
13 Minuten Constantini
Ich habe diese Geschichte seit einiger Zeit im Hinterkopf. Immer dann, wenn ich fassungslos vor Constantini-Aussagen oder -Taten stehe und die Worte die mir spontan in den Sinn kommen würden in gerade noch diskursübliche verbiege, denk ich dran und überlege kurz. So sehr hat mich die Geschichte des Kollegen beeinflusst. Trotzdem entscheide ich mich dann dafür das Fachliche vom Privaten zu trennen.
Heute, nach der üblichen auch in der üblichen fast schon institutionell kontraproduktiv und destruktiv abgehaltenen Kaderbekanntgabe-Pressekonferenz des ÖFB, die um Punkt 10.30 beginnt, die Constantini um Punkt 10.40 mit den Worten "Jetzt hab ich vor zehn Minuten glaubt, es ist schon vorbei." als erledigt erachtet und um 10.43 tatsächlich abwürgt, erlebe ich um 10.44 diesen Sportwagen-Moment, ganz kurz, zwei, drei Sekunden lang.
Plötzlich steht nämlich Constantini vor mir (ich habs nicht bemerkt, ich hab nach dem abrupten Abbruch in den Unterlagen gelesen) und sagt was; es ist Smalltalk mit Tiroler Charme (also ruppig, aber ich kenne das gut, ich hab Verwandte dort...), sehr höflich und freundlich formuliert und sehr bewußt platziert. Und es endet mit einem Händeschütteln, das ich erwidere, weil ich auf Höflichkeit und Bewußtheit immer mit Gleichem reagiere.
... und die 14. Minute
Der Kollege hinter mir fragt mich ein wenig fassungslos, was da eben passiert wäre und ich überlege kurz die Sportwagen-Geschichte zu erzählen, spar's mir dann aber für hier auf. Obwohl der Unterschied natürlich evident ist.
Die kleine Episode von anno 90 ist passiert, zufällig - der kleine Wink mit dem Zaunpfahl heute mag sich auch zufällig ergeben haben, er ist aber nicht ganz ziellos erfolgt. Die alte Faustregel etwa, dass du Menschen, mit denen du irgendeine Art Kontakt hast, pfleglicher und menschlicher behandeln wirst, die gilt immer. Und ihre Anwendung ist niemandem zum Vorwurf zu machen.
Das erstaunliche an diesem Sekunden-Vorfall war der eklatante Unterschied in der Tonalität. Knapp zuvor war der ÖFB-Teamchef dreizehn Minuten lang unwirsch, weicht bewußt aus, versteht alles absichtlich miß, würgt ab, quält Platitüden aus sich raus und tut alles um ja keinen Kommunkationsfluß aufkommen zu lassen. Und dann schafft er es ansatzlos, innerhalb von drei Sekunden eine Atmosphäre herzustellen, die der Sportwagen-Situation gleicht.
Das ist nun entweder ganz bewußt und volle Absicht - oder ein bisschen verrückt. Weil es doch ein leichtes wäre das eine Gehabe ein wenig ins Andere einfliessen zu lassen, um so eine andere Atmosphäre zu erzeugen.
Zehn Sekunden Slomka
Am Vorabend etwa war Mirko Slomka zu Gast im Servus-TV-Studio bei der dortigen Sportsendung, einer Kopie des alten Sport am Montag-Modells. Slomka erzählte unter anderem von seinen Vorgesprächen mit dem ÖFB, auch mit dem ebenso anwesenden Andreas Herzog, damals Assistent, im Sommer 2008, also direkt nach Hickersbergers Rücktritt nach der Euro - Gesprächen die schon weit gediehen waren, aber (zumindest offiziell) am Finanziellen scheiterten. Stattdessen kam dann das exakte Gegenmodell zum jungen, weltoffenen Erzähler und Vermittler Slomka das Alteichen-Modell Brückner; und gleich danach der im Umgang mit der Öffentlichkeit und auch mit den Spielern so kommunkationsuntüchtige Constantini.
Slomka jedenfalls, aktuell mit einer wirklich nur durchschnittlichen Mannschaft, Hannover 96, deutscher Tabellendritter und Teil der aktuell zurecht abgefeierten Coaching-BoyGroup, die die Bundesliga aufmischt (Klopp, Tuchel, Dutt...) verstand es in einer einzigen, vielleicht dreiminütigen Wortmeldung über seine Ansätze, Ideen und Pläne zum Coaching seines Vereins mehr zu erklären als Constantini in seiner gesamten Trainerlaufzeit. Jeder Halbsatz war von den Prinzipien einer klaren Philosophie geprägt, und jedes mitgeschickte Lächeln wirkte deshalb echt. Ebenso wie die Überprüfbarkeit seiner Aussagen. Die Zehn-Sekunden-Übung etwa. Slomkas Team hat die Aufgabe bei Ballereoberung innerhalb von zehn Sekunden zum Torabschluss zu kommen. Das trainieren die bis zum Umfallen. Und es ist, auch in den Spielen, mit der Stoppuhr überprüfbar.
Glänzende Augen als Botschafter
Klar dazu muss man fit und eingespielt sein. Und klar, sowas kann der ÖFB-Teamchef nicht leisten, zu abhängig ist es da von der Liga.
Aber die Alternative kann nicht sein gar keine Idee zu haben, gar keine Philosophie zu verströmen und keine glänzenden Augen als Botschafter einzusetzen und somit letztlich nichts zu leisten.
Was zum Kader noch zu sagen wäre: Ekrem Dag soll die Außenverteidiger-Misere beheben, ihn hält Constantini beidseitig für verwendbar. Wohl aus demselben Grund hat er vor dessen Verletzung auch mit Ibertsberger gesprochen.
Vier zentral defensiven Mittelfeldspielern steht mit Junuzovic bloss ein offensiver gegenüber. Kavlaks Ausfall reißt ein Loch ins 4-2-3-1, das der große Vergrauler nicht füllen kann.
Apropos unterbesetzt: neben Korkmaz gibt es mit Harnik und Arnautovic nur Teilzeit-Flügelspieler. Und: sind gleich sieben Stürmer nicht ein bisserl gar unnötig viel?
Das war der gestern abend zutagetretende eklatante Unterschied, der mir dann durch den 13-Minuten-Auftritt eines galligen, uninspirierten Teamleaders in extremis verdeutlicht wurde.
Dabei, und das hat mir der Sportwagen-Moment gezeigt, dabei würde es ja funktionieren. Insofern hat diese kurze Kontaktaufnahme ihr Ziel vielleicht sogar verfehlt.
Weil sie mir zeigt, dass nicht deshalb nichts (oder so traurig wenig, oder wenn dann nur aus der Mannschaft Kommendes) daherkommt, weil nix da ist, sondern deshalb, weil das vorhandene Potential nicht einmal angekratzt wird.
Ja, wahrscheinlich kriegen die Spieler, einige zumindest, diese Sportwagen-Momente ab; und vielleicht motivieren die sie sogar (wie meinen heute noch irgendwie beseelten Kollegen); vielleicht hat der interne Schmäh des Constantini denselben Effekt wie der externe Schmäh des Slomka.
Nur: losgelöst verpufft die Wirkung schnell. Wenn das Fachliche nicht mit demselben Sportwagen-Charme vermittelt wird, auch einer Außenwelt, und sei sie noch so doof wie ihre Repräsentanten, wie glaubwürdig kann dann der Rest sein?