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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

14. 3. 2011 - 17:47

Der Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg

Da kann man mal wieder lernen, wie Medien und Politik so funktionieren.

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Wer das Wochenende in dieser Mischung aus Informationssucht, echter Betroffenheit und Sensationsgier vor dem Fernseher verbracht hat, der konnte rund um die Uhr Nachrichten aus Japan, Live-Bilder, Sondersendungen, Expertenbefragungen, Atomlobbyistenstatements, Polikerinterviews und Talkshows zum Thema verfolgen. Und der konnte auch wieder einmal lernen, wie Medien und Politik funktionieren.

Das Fernsehen zeigte Bilder vom Erdbeben und Tsunami, von Explosionen im Reaktor, von Menschen in Notaufnahmelagern, dazu machten die Nachrichtensprecher besorgte Gesichter und sprachen voller Anteilnahme über das Leid der Menschen in Japan, um dann zum Wetterbericht überzuleiten, wo ein aufgekratzt-vergnügter Wettermann verkündete, dass die radioaktive Wolke zwar ihren 9.000 km langen Weg nach Europa nehmen könnte, aber für Deutschland keine Gefahr bestehe. Jeder ist bekanntlich sich selbst der Nächste, so ist der Mensch veranlagt – aber für wie selbstbezogen halten uns die Redakteure eigentlich?

Laufzeitverlängerung

Am Sonntag noch sprach die Kanzlerin im Interview über die Sorgen der Menschen, die sie ernst nehmen wolle, und über die Sicherheit der deutschen Atomkraftwerke, die man überprüfen müsse. Zum Streitthema “Laufzeitverlängerung” wollte sie sich nicht äußern. In Deutschland hatte die rot-grüne Koalition unter Bundekanzler Schröder den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen und in mühsamen Verhandlungen einen Ausstiegkompromiss mit der Atomindustrie ausgehandelt. Diesen Kompromiss hatte die neue schwarz-gelbe Regierung mit Kanzlerin Merkel wieder gekippt, den "Ausstieg aus dem Ausstieg" beschlossen und die Laufzeiten der 17 deutschen Atommeiler verlängert.

Dieses recht eigenmächtige Vorgehen war sehr umstritten, und führte auch nach den Nachrichten aus Japan zu einer großen Nervosität in Regierungskreisen.
Bereits am Montagnachmittag sah man die Sache schon ganz anders: Er gebe keine Garantie für den weiteren Betrieb jedes einzelnen Atommeilers, verkündete Außenminister Westerwelle. Wenig später kam die Eilmeldung, dass Merkel als Konsequenz der Atomkatastrophe in Japan die im vorigen Jahr in Deutschland beschlossene Verlängerung der Atomlaufzeiten aussetzen will.

Angela Markel und Guido Westerwelle

EPA

Angela Merkel und Guido Westerwelle gaben den Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg bekannt.

Die "Ängste der Menschen" und die Wahlen

Was ist denn da in die Physikerin und Freundin der Atomlobby gefahren, nimmt sie etwa "die Ängste der Menschen" jetzt so ernst, dass sie es sich mit ihren Freunden aus der Atomlobby verscherzt? Das nun gerade nicht - es sind wohl eher die Sorgen um ihre Partei und die Regierungsbeteiligung, die sie so schnell handeln lassen.

Denn am 27. März wird im zweitgrößten Bundesland Baden-Württemberg gewählt, und da liegen Schwarz-Gelb und Rot-Grün Kopf an Kopf. Außerdem ist CDU-Ministerpräsident Mappus - wegen seines Vorgehens bei den Stuttgart-21–Protesten eh recht unbeliebt - ein glühender Verfechter des Atomstroms.

Nun hat die SPD in Baden-Württemberg angekündigt, im Falle eines Regierungswechsels die beiden ältesten Atommeiler in dem Bundesland bis Jahresende abzuschalten.

Gestern warfen sich deshalb die Parteien gegenseitig noch Stimmungspolitik und Angsttreiberei vor, argumentierten die Pro-Atomstromler noch, dass Atomstrom zwar Gefahren beeinhalte, wir aber nun einmal auf ihn angewiesen sind, wenn wir den Wohlstand erhalten und das Klima schützen wollen . Und sterben durch den Autoverkehr nicht auch 3.000 Menschen jährlich?

Einen Tag und einige Horrormeldungen aus Japan später ist der Ausstieg aus dem Ausstieg praktisch beschlossene Sache, wird ein großes Umdenken in der Energiepolitik gefordert. Und auch Umweltminister Norbert Röttgen von der CDU hatte sich am Wochenende immer weiter von dem eigentlichen Atomkurs seiner Partei entfernt. Sonntag Abend bezeichnete er die Atomenergie schon als "Auslaufmodell". Das wiederum könnte aber auch nur zur Beruhigung der Bevölkerung vor den wichtigen Landtagswahlen dienen.