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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

14. 3. 2011 - 16:23

Die Zukunft der Verhütung

Keine Regelblutung mehr für die Frau und eine Hormonspritze für den Mann sollen die nächsten revolutionären Meilensteine in punkto Verhütung sein.

In den 1960er Jahren hat die Pille und die Möglichkeit für Frauen, ihre Fruchtbarkeit zu kontrollieren, die sexuelle Revolution eingeläutet. Seitdem hat sich allerdings bezüglich der Verhütung wenig weiterentwickelt: Das Prinzip der hormonellen Verhütung ist gleich geblieben, zu einem großen Teil liegt die Verantwortung bei den Frauen und die Forschung an der Pille für den Mann wurde vor wenigen Jahren mangels Marktchancen eingestellt. Gibt es also neue Visionen und Ideen, was die Verhütung betrifft?

Hier geht es ausschließlich um Mittel zur Schwangerschafts-Verhütung. Einziges Mittel zum Schutz gegen sexuell übertragbare Krankheiten ist und bleibt das Kondom!

Status Quo

Laut Frauenbericht des Frauenministeriums für das Jahr 2010 ist die Pille nach wie vor das am weitesten verbreitetete Verhütungsmittel, 38 Prozent der Frauen verhüten damit. An zweiter Stelle, mit 22 Prozent, liegen andere Hormonpräparate wie Hormonimplantat, Hormonpflaster, Depot-Spritze, Vaginalring oder Hormonspirale. Danach folgt das Kondom mit 15 Prozent, die Spirale mit 9 Prozent und die Sterilisation mit 5 Prozent. Fast ein Zehntel, nämlich neun Prozent, wenden unsichere Verhütungsmethoden wie Diaphragma, Spermizide oder das "Tage zählen" an.

ludwig boltzmann institut

Diese Zahlen zeigen: Die hormonellen Verhütungsmittel stellen mit insgesamt 50 Prozent die Mehrzahl der verwendeten Verhütungsmittel und derzeit deutet wenig darauf hin, dass sich das ändern wird. "Es wird auch in Zukunft um die hormonelle Verhütung gehen und da auch vor allem um Verhütungsmittel für Frauen", sagt Monika Vucsak vom feministischen Gesundheitszentrum in Graz . Die Verhütungsmittel sollen bloß leichter anwendbar sein und weniger Aufmerksamkeit verlangen, als das mit der täglichen Pilleneinnahme immer zur gleichen Uhrzeit der Fall ist. Von Depotspritze oder Stäbchen bis zur Hormonspirale und Vaginalring, die mehrere Monate bis zu einem Jahr halten, wird das Spektrum dann reichen. "Fraglich ist nur, wie stark unerwünschte Wirkungen bei diesen neuen oder als neu vermarkteten Verhütungsmitteln sein werden", sagt Monika Vucsak.

Abseits von der hormonellen Verhütung wird derzeit nicht weitergedacht, vor allem, weil sich die meisten mechanischen Verhütungsmittel als nicht sehr sicher herausgestellt haben (Ausnahme: Spirale). Allerdings klagen viele Frauen über unerwünschte Nebenwirkungen: "Aus der Beratungstätigkeit wissen wir, dass die Frauen von den ÄrztInnen oft nicht ernst genommen werden mit ihren Beschwerden", erzählt Vucsak. Denn die Nebenwirkungen sind eben nicht nur körperlich messbare, wie die erhöhte Thrombosegefahr, sondern reichen von Libidoverlust bis hin zu Gefühlsverstimmungen.

verschiedene Anti-Baby-Pillenpackungen

dpa/Ruddies

Symptome, die oft als „Frauenprobleme“ abgetan werden. "Da heißt es dann oft: Ach, das kann davon nicht kommen", weiß Monika Vuscak. Wer allerdings nicht hormonell verhüten will, dem und der bleiben nur die "alten" mechanischen Methoden Kondom, Diaphragma und Kupferspirale.

Eine Zukunft ohne Blut!

All diese neuen, hormonellen "Langzeit"-Verhütungsmittel haben allerdings eine erwünschte Nebenwirkung: Die Frauen haben gar keine oder nur mehr eine sehr schwache Regelblutung. Und das wird in den nächsten Jahren Standard sein, ist Christian Fiala, Betreiber des Museums für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch überzeugt: "Das läutet ein neues Zeitalter ein. Ich bin mir sicher, in fünf Jahren, wenn Frauen zu ihrem Frauenarzt gehen und sich ein Verhütungsmittel verschreiben lassen, dann wollen sie auch eine Methode, mit der sie keine Regelblutung haben."

Dass frau trotz Einnahme der Pille, die ja den Eisprung unterdrückt, die Regel bekommt, ist ein Relikt aus der Zeit der Einführung der Pille: Dieses Nachstellen eines "natürlichen" Zyklus war ein Marketingtool bei der Einführung der Pille, damit die Frauen sich leichter an die Pille "gewöhnten". Biologisch ist diese Blutung vollkommen widersinnig, meint Fiala, vor allem da ein Blutverlust immer Stress für den Körper bedeute. "Man lässt hier die Gebärmutter leere Kilometer abspulen", meint er. Und er glaubt, dass das bald nicht mehr so sein wird. "Nach der Pille 1960 ist das die große Revolution, die derzeit abläuft."

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Eine Spritze für den Mann

Fiala ist auch überzeugt, dass bald eine hormonelle Verhütungsmethode für Männer kommen wird: "Männer haben derzeit ja kaum die Möglichkeit, ihre Fruchtbarkeit zu kontrollieren", meint Fiala. "Salopp formuliert: Sobald die Spermien aus dem Körper draußen sind, hat mann keine Kontrolle darüber, was damit passiert. Viele Männer beschäftigt das und sie wären bereit, da etwas zu ändern." Nur gebe es bisher lediglich das Kondom oder die Sterilisation. Monika Vuscak vom feministischen Gesundheitszentrum Graz bezweifelt diese These ein wenig: "Die derzeitigen Studien werden von der WHO durchgeführt, die Pharmafirmen haben sich aus der Forschung ja zurückgezogen, weil sie skeptisch sind, ob eine Spritze oder ein Implantat von Männern überhaupt angenommen wird."

christian fiala

ap/HELMUT FOHRINGER

Christian Fiala im Wiener Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch

Denn Männer nehmen wesentlich weniger Nebenwirkungen in Kauf als Frauen, wenn es um Verhütung geht. So hat der englische Journalist und Pille-für-den-Mann-Proband Clint Witchalls mit seinem Buch "Die Pille und ich" 2007 öffentlichkeitswirksam über den "Hormon-Höllenritt" geklagt: Er berichtet von Phasen zwischen Testosteron-gesteuerten Kampftyp und anschmiegsamen Frauenversteher, der nach eineinhalb Jahren Pillenversuch als depressiver, verängstigter Mann zurückbleibt. Wirkungen und Nebenwirkungen, die Frauen wohlgemerkt seit Jahrzehnten mit der Pille auf sich nehmen. "Frauen haben immer schon Zugeständnisse gemacht, was ihren Körper betrifft", sagt Monika Vucsak, "und machen sie weiterhin, auch bei Verhütungsmitteln. Gerade wenn man davon ausgeht, dass Verhütungsmittel unerwünschte Wirkungen haben: Der Lustverlust bei Frauen wird akzeptiert, auch weil das Erleben des Mannes als wichtiger empfunden wird als das eigene. Gerade von jungen Frauen hören wir das immer wieder, in der Beratung und bei Workshops."

Interesse daran, die eigene Fruchtbarkeit zu kontrollieren, ist bei Männern vielleicht da, aber nur solange es nicht unbequem oder störend ist. Denn eine Verhütungsmethode, das Kondom, haben die Männer ja schon: "Und da wissen wir ja auch, dass Frauen immer wieder das Problem haben, das Kondom an den Mann zu bringen. Für viele Männer ist das kein Problem, aber einige verweigern komplett und das wird bei den neuen Verhütungsmitteln wie Spritze oder Stäbchen auch so sein", sagt Monika Vucsak.

Streit um Kontrolle oder gerechtere Verteilung?

Christian Fiala meint jedenfalls, Verhütungsmittel für den Mann werden kommen. Und die werden dann zu großen gesellschaftlichen bzw. partnerschaftlichen Diskussionen führen, rund um die Frage: Wer übernimmt die Kontrolle über die Verhütung? Und wer die Verantwortung?
Beziehungsszenarien könnten sich mit der Verhütung für den Mann in der Zukunft ändern. Historisch wurde die Verantwortung für die Verhütung immer den Frauen zugeschrieben. Gerade in längeren Partnerschaften könnten Verhütungsmittel für den Mann durchaus eine Bereicherung für beide sein und eine gerechte Verteilung der Verantwortung. Das funktioniert aber nur im Idealfall, in gefestigten Beziehungen, wo beide einander vertrauen.

Momentan müssen die Männer den Frauen glauben, dass sie regelmäßig die Pille nehmen oder die Spirale eingesetzt haben. In Zukunft könnte das auch umgekehrt sein. "Die Frauen müssten dann den Männern vertrauen!" sagt Fiala. Bloß sähen Beziehungen in der Realität nicht immer so aus. In sein Ambulatorium für Schwangerschaftsabbruch kämen immer wieder Frauen, die glaubten, den Traummann kennengelernt zu haben, dieser habe erzählt, er sei sterilisiert. "Und vier Monate später bleibt dann die Regel aus und der Typ hebt sein Handy nicht mehr ab."

Diese Episoden zeigten, dass der Kontrollaspekt in der Diskussion sehr wichtig ist, meint Fiala: "Derzeit gibt es ja immer den Ruf nach mehr Verantwortung der Männer bei der Verhütung, das ist aber meiner Meinung nach nicht ganz zu Ende überlegt. Denn Verantwortung kann ich nur für etwas übernehmen, wo ich auch direkt die Konsequenzen trage. Als Mann kann ich da leicht sagen, ich übernehme die Verantwortung, weil ich werde ja nicht schwanger." Fiala meint, Frauen sollten sich sehr gut überlegen, ob sie sich wieder in diese Abhängigkeit von ihren Partnern begeben wollen. Denn dann wären sie eigentlich wieder dort, wo sie vorher waren, vor 1960.