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Katharina Seidler

Raschelnde Buchseiten und ratternde Beats, von Glitzerkugeln und Laserlichtern: Geschichten aus der Discommunity.

14. 3. 2011 - 17:45

Die Unordnung der Dinge

Zwei märchenhafte elektromusikalische Erfolgsgeschichten, wie sie das Leben schrieb: der Aufstieg des österreichischen Superproduzenten Wolfram und der türkischstämmigen New Yorkerin Deniz Kurtel.

Die Kolumne "Die Unordnung der Dinge - Rundgänge einer Nachtwächterin" läuft seit Herbst 2010 alle 14 Tage im Sumpf. Sie behandelt jeweils ein paar Platten aus dem Elektronik-Bereich und wird von nun an ab und zu auf diesen Seiten zum Nachlesen und Weiterstöbern erscheinen. Nachhören kann man den Sumpf immer jeweils eine Woche lang hier.

Deniz Kurtel

Crosstown Rebels

Deniz Kurtel

Music watching over her

Manche Menschen haben das beneidenswerte Talent, in allem gut zu sein, was sie anfassen, und sind außerdem auch noch sympathisch, sodass man sie nicht einmal dafür hassen kann. Deniz Kurtel ist kreativ, schön, laut De:Bug-Artikel auch persönlich bezaubernd und wurde von heute auf morgen von einer Wirtschaftswissenschaft-Studentin zur anerkannten Künstlerin. Ihr soeben erschienenes Debütalbum ist zur Zeit in aller einschlägiger Musikmagazin-Munde, und das hat nichts mit dem 100. Jubiläum des Frauentages zu tun. Aufgewachsen in der Türkei, übersiedelte Deniz vor einigen Jahren zu Studienzwecken in die USA, geriet aber bald in die Fänge des New Yorker Partylebens. Sie lernte das Produzenten-Duo Wolf+Lamb, ihres Zeichens auch Gründer des ziemlich fabelhaften Labels Wolf+Lamb kennen, das ihr ein Set LED-Lämpchen schenkte. Innerhalb kürzester Zeit beherrschte Kurtel die Lichtkunst so gut, dass sie von da an die Wolf+Lamb Partys in New York verschönern durfte. Aus der Party-VJ wurde schnell eine vollbeschäftigte Licht- und Installations-Künstlerin, gebucht für Festivals wie Burning Man, Love´s Secret Domain und Communikey.

Cover: Deniz Kurtel - Music watching over me

Crosstown Rebels

Music watching over me ist bei Crosstown Rebels erschienen.

Weitere Songs des Albums zum Anhören: Makyaj feat. Queenie, The L Word feat. Jada, Music watching over me, Make me feel, Equilibrium, Trust

Eines führte zum anderen, Deniz gab ihr Studium auf und begann, selbst Beats zu produzieren. Wenn man ständig mit einigen der zur Zeit am heißesten gehandelten Produzenten abhängt, steht das Projekt des eigenen Musikmachens unter mehr als nur einem guten Stern. Letztes Jahr erlangte sie mit ihrem Remix für N/A schon einiges an Dancefloor-Aufmerksamkeit; ihr soeben veröffentlichtes Debütalbum "Music watching over me" verursacht bei elektro-affinen Musikmagazinen ebenso Entzückungsrufe. Es ist nur teilweise cluborientiert und insgesamt ruhiger geraten, und zahlreiche Nummern beinhalten die Stimmen diverser Gastvocalisten.

Das Album funktioniert gut als Ganzes; aus seiner Gesamtheit stechen allerdings nicht wirklich viele Nummern hervor. "Music watching over me" ist nicht nur für die verhältnismäßig wenige Erfahrung von Deniz Kurtel geradezu herausragend produziert und spricht eine eigenständige Soundsprache; ein paar mehr Ecken und Kanten hätten der Musik meiner Meinung nach aber dennoch nicht geschadet.

Die Nummer "Best of" featuring Mykle Anthony am Mikrophon hat es mir aber doch besonders angetan. Ein Artikel im Groove-Magazin ließ mir wie Schuppen von den Augen fallen, warum genau sie so ansprechend ist – es ist wohl unter anderem die seltsame Vertrautheit der Bassline, die einem sofort die Tanzlust in die Füße treibt.

Auch wenn sich Deniz Kurtel auf ihrem ersten Album größtenteils in dunklen, fragmentarischen House-Gefilden bewegt, wie gesagt sehr eigenständig arbeitet und einem wenige Referenzen einfallen mögen (was uns MusikjournalistInnen ja mitunter irritieren kann), darf man sich über das Entdecken dieses möglichen kleinen, versteckten Zitates durchaus freuen.

Austrias Next Topproducer

Wolfram Eckert

Permanent Vacation

Kunststudent, Labelgründer, Model, Superproduzent.

Facebook-Statusupdates von Wolfram Eckert, vormals Marflow, vormals Diskokaines, jetzt also Wolfram (englisch ausgesprochen) lauten ungefähr so: "Sitze gerade in Mobys Appartement in New York, Moby ist aber heute nicht da, weil er auf der Geburtstagsfeier von David Lynch auflegt". Sinngemäß stand dies schon vor einigen Jahren auf seiner Seite und hinterließ mich tief beeindruckt.

Wolfram als Baby wird von seiner Mutter gefüttert

Permanent Vacation / Wolfram Eckert

Wolfram - das Album ist bei Permanent Vacation/Groove Attack erschienen. Am Samstag, 19.03. präsentiert er es live im Rahmen seiner Clubreihe e-nix in der Pratersauna.

Mittlerweile finden sich in Wolframs Handytelefonbuch wohl noch so einige andere Privatnummern, neben der von Moby auch von Menschen wie Andrew Butler von Hercules & Love Affair, der schwedischen Discoprinzessin Sally Shapiro, dem Disco-Sänger Paul Parker, Techno-Urgestein Patrick Pulsinger und von Haddaway, der in den Neunziger Jahren mit diesem Song jenen Hit hatte, von dem er wohl bis ans Ende aller Zeit zehren wird können.
Sie alle geben sich auf Wolframs selbstbetiteltem Debütalbum als Gastvocalisten die Klinke in die Hand, dementsprechend hoch waren bereits vorab die medialen und persönlichen Erwartungen an die Platte. Gottseidank wird Wolfram als stilsicherer Produzent diesen spielend gerecht. Seine erste Singleauskopplung "Fireworks" mit Andrew und Kim Ann von Hercules & Love Affair an den Vocals wird auf unserem Sender im Tagesprogramm bereits auf und ab gespielt – aus gutem Grund. Wer genau hinhört, kann übrigens meiner Meinung nach auch darin eine Referenz an die vorhin erwähnte Bassline aus "Show me love" heraushören.

Wolfram füttert seine Mutter

TheGap / Daniel Gebhard de Koekkoek

Geniales Cover von TheGap by Daniel Gebhardt de Koekkoek: Wolfram füttert zurück.

Außerdem: Wolfram im Groove, Falter, Hugo Boss, Raveline, Dazed & Confused, Pitchfork, Urb, Resident Advisor

In den vergangenen Jahren hat Wolfram, der noch immer unter 30 ist, eine Tontechniker-Ausbildung gemacht, Kunst und digitale Medien studiert, eine Modellkarriere in New begonnen und wieder abgebrochen und das Label Diskokaine gegründet. Unter demselben Namen, Diskokaines, veröffentlichte er zusammen mit Princess Superstar unter anderem den etwas nervigen Hit "Lick the Alphabet".

Seine musikalische Referenzpunkte heißen Italo-Disco, Elektropop, Chicago House und – Eurodance. Egal, welches Musikmagazin man zur Zeit aufschlägt, Wolfram blickt einem entgegen, sein Album wird praktisch überall gefeatured. Für das Interview Magazine wurde er neulich in New York interviewt – von seinem alten Kumpel Moby persönlich; seine neue Single kommt auf Andy Butlers Label Mr. Intl Records heraus. Der unaufhaltsame Weg zum Superstar hat also längst begonnen. "Hold my breath" featuring Holy Ghost! ist neben "Fireworks" der zweite Superelektropopohrwurm von Wolfram. So gut, dass er auch auf dem dieses Jahr auf DFA erscheinenden Album von Holy Ghost! zu finden sein wird. In den bisherigen Unordnungen der Dinge ist dieser Song eindeutig der poppigste Moment, aber da man ihn in den nächsten Jahren außer im Radio zweifellos noch auf allen Disco-Dancefloors hören wird, soll er auch in unserer versumpften Clubmusikecke nicht fehlen.

I keep a close watch on this heart of mine.