Erstellt am: 11. 3. 2011 - 19:41 Uhr
Journal 2011. Eintrag 54.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.
Zumeist werden sich hier Geschichten/Analysen finden, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einem Blick auf die von hundsgemeinen Algorithmen berechnete Blase, die uns im Netz (egal ob im sozialen Netzwerk, der Such-Maschine oder dem Online-Shop) in eine zunehmend verengte Wahrnehmung hineinquetscht, die Filter Bubble. Und wie man möglicherweise entkommt.
Die dritt- oder viertliebste Beschäftigung der Facebookianer auf Facebook ist das Herumnörgeln an Facebook. Seit Zuckerberg durch den Social Network-Film ein Gesicht hat (und sei es nur das von Jesse Eisenberg), geht es nicht mehr gegen ihn selber (wie zuvor, wo das Stänkern gegen eine Person mit einem jüdisch klingenden Namen durchaus Saison hatte...), sondern gegen das System, einen großen alles überwachenden Bruder.
Ein bissl lächerlich ist das schon, wenn man über ein Produkt lästert, dem man sich freiwillig unterwirft, aber grade in Österreich ist (mangels brauchbarer role models) derartige Denkarmut durchaus noch angesagt. Ja, eh, wir sind gläsern, diese Erkenntnis darf ich eh bei jeder Gelegenheit anbringen - leben wir bitteschön damit, geschickt und ohne Gewinsel.
Die letzten Facebook-ist-doof-Benachrichtigungen auf und in Facebook hießen "Wie Facebook eure Freunde vor euch versteckt" und hatten, wohl auch deshalb, weil sie ein echtes Problem ansprachen, vergleichsweise weniger viralen Erfolg.
Was wohl auch damit zusammenhängt, dass dieses Verstecken, die Verengung der angebotenen Kontakte, auf etwas zurückzuführen ist, was uns allen im gesamten kommerziell genützten Bereich des Netzes sekündlich widerfährt. Und sich da aufzuregen oder ordentlich dagegen zu wehren, ist nicht sehr angesagt. Es würde nämlich gleich unser gesamtes Netz-Verhalten in Frage stellen - und wer will das schon.
Der Algorithmus, bei dem man mitmuss
Es geht um die erstmals im Zusammenhang mit den erstmals bei Amazon aufgetauchten "Wer das mag, interessiert sich auch für..."-Verweisen. Es geht um die Algorithmen, die in der knallenden Härte, die nur zwischen 0 und 1 lebenden Programmen eigen ist, Menschen ihrer Schein-Individualität berauben und sie als trottende Gewohnheitstiere und berechenbare Testratten ausmachen und auslachen.
Mittlerweile kann jeder bessere Admin-Assi jede Seite so aufbauen, dass sich jeder in seinem individuellen Auschnitt verfängt und dieses Segment womöglich für real hält oder als das Gesamt-Angebot verkennt.
Mittlerweile leben wir in der Filter-Blase, einer künstlich für jeden User hingenerierten kleinen Zelle, die uns nur das liefert, was wir gern haben; und mehr davon; und nie was anderes. Einmal Schoko, immer Schoko. Einmal Schnitzel, immer Schnitzel.
Das bringt allen was. Dem Individuum etwa Bestätigung. Seine immer enger werdende Welt enthält immer mehr Kommunikation mit Gleichgesinnten über Verwandtes und Ähnliches, bestätigt also Weltsichten und Konsumgewohnheiten. Und das wiederum gefällt dem Verwerter, dem Provider, den Verkäufern. Ein feister Traum.
Gefilterter Status
Die wichtigsten Anlauf-Stationen im Netz, nicht nur Facebook und Amazon, auch Youtube und vor allem Google funktionieren so, filtern, wie wir es durch unser Verhalten vorgeben und drängen uns so kaum merklich in eine Art Spiegel-Kabinett. So muss die Regierung Schüssel in den Wendejahren vorgangen sein: Überzeugung durch Verengung von Kontakten, durch permanente Selbst-Bestätigung.
Google bietet das personalisierte Suchen extra an - Facebook macht es einfach.
Und die Algorithmen lügen ja auch nicht.
Wer sich für Tennis, Porno und Nachmittags-Talkshows interessiert, dem werden eher Hausliefer-Services als Buchtipps zugeführt; wer sich Partytermine, Fahrradzubehör und Serien auf DVD ergoogelt, wird eher den Bioshop als die Kuschelrockreihe angepriesen bekommen; wer Fußball mag, wird mit Automobil-Anzeigen bombardiert. Weil die Erfahrungswerte sagen, dass diese Vorlieben zusammenhängen.
Im Fall von Facebook rankt der Algorithmus sogar die Statusmeldungen ein- und derselben Person nach der Wahrscheinlichkeit des Interesses für den jeweiligen User.
Pariser Spitz
Eli Pariser, einer der Vordenker dieser Entwicklungen, sagt in seinem Buch The Filter Bubble: "Wir bewegen uns in eine Welt, in der das Internet uns nur Dinge zeigt, von denen es denkt, dass wir sie sehen müssen, nicht aber, was wir sehen sollten."
Das ist schlau, weil es die Schuld nicht - wie die angesprochenen Facebook-Nörgler - ausschließlich bei der Maschine sucht, sondern (auch) bei uns selber.
Wer im Netz immer dasselbe nutzt/anklickt/ansieht, ist letztlich selber schuld an der deformierten Welt, die er nach einiger Zeit angeboten bekommen wird. Und unterscheidet sich nicht im mindesten von vom ihm wohl verlachten Muatterl, das sich ausschließlich über den Lokalteil der Kronen-Zeitung über das Leben informieren lässt. Monokulturen - ein Graus.
In der Geschichte, die der Spiegel zu Parisers demnächst erscheinendem Buch gemacht hat, wird auch die alte Schweigespirale der großen Kommunikationswissenschaftlerin Elisabeth Noelle-Neumann zitiert: "Wenn Menschen bei moralisch aufgeladenen Fragen den Eindruck gewinnen, dass sie mit ihrer Meinung zur Minderheit gehören, äußern sie diese nicht."
True that.
Aber: das gilt doch wohl eher für das alte Medienverständnis, das in Noelle-Neumanns Prä-Digitalem Zeitalter herrschte. Im Netz sind die Minderheiten ja auch deshalb lauter, weil sie (des Algorithmus wegen) glauben, dass sie und ihresgleichen eh urviele sind. Das hebelt sich dann quasi selber aus.
Die einzige Chance, aus der Verengung und der daraus folgerichtig entstehenden Verblödung zu entkommen, ist eine Diversifizierung der Interessen.
Interessensstreuung als Ausweg
Ich kann mich dunkel an eines der "Blumenau-ist-doof!"-Postings anlässlich des Protestsongcontests erinnern, ich denke, es war im sich niveautechnisch gerade ein halbes Kellerabteil über Krone/Österreich bewegenden Standard-Forum. Dort klagte ein Anonymus fast beleidigt darüber, dass der Blumenau, also ich, deshalb anstrengend/unglaubwürdig/urblöd wäre, weil er sich mittlerweile als Experte für praktisch alles geriere. Musik, Fußball, Medien, Politik...
He, da hat es jemand schon fast kapiert: nur mit einer Interessensstreuung wie dieser wird man künftig das System, den Algorithmus, die Filter-Bubble ansatzweise aushebeln können. Nur mit dieser Diversifizierung wird man der Verengung, der Belieferung mit dem immer-selben, der Dauerbestätigung, entkommen können. Nur mit dem neugierigen Blick auf Facebook-Freunde, deren Weltsicht mit der eigenen nicht so übereinstimmt, wird man sie sinnvoll mitnehmen.
Wer sich nicht als Interessierter (und - sofern Journalist oder Blogger - irgendwann dann auch zwangsläufig mit einer Expertise Versehener) einklinkt, wird hingegen vom Leben abgeschnitten und systematisch erstickt werden.