Erstellt am: 25. 11. 2011 - 14:59 Uhr
Machos und Macheten
Der 25. November ist der "Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen"

Klaus Brunner
Nennen wir sie Carla. Sie ist 17 Jahre alt und lebt in Rosita, einem kleinen Städtchen im karibischen Regenwald Nicaraguas. Die Hauptstadt Managua liegt eine Tagesreise über holprige Schotterstraßen entfernt. Auf den ersten Blick wirkt alles sehr idyllisch hier. Die einfachen Holzhäuser stehen auf Stelzen und sind bunt gestrichen. Bei vielen davon lädt auf der Veranda eine Hängematte zur Siesta ein. Ein Papagei kräht von einem Baumwipfel und im üppigen Grün des Waldes wachsen Kakao, Kokosnüsse und wilde Orchideen. Es gibt nur wenige Autos, die meisten Menschen sind per Pferd oder Fahrrad unterwegs.

Klaus Brunner
Zwischen Idylle und Horror
Doch beim Gespräch mit den Einheimischen wird schnell klar: Hinter der karibischen Gemütlichkeit versteckt sich eine äußerst raue Gegend. Viele Männer schuften sich in den Goldminen rund um Rosita zu Tode - Kinder werden vor allem als praktische Arbeitskraft gesehen. Andere leben als Selbstversorger von ein paar Kühen, Mais und Tropenfrüchten. Immer wieder gibt es Streitereien um Landrechte, die meisten davon enden blutig.
Am späteren Nachmittag dröhnt aus den Bars entlang der staubigen Hauptstraße laute Cumbia-Musik, davor sind die Pferde der Gäste angebunden. Nicht nur das weckt Erinnerungen an alte Wild-West-Filme. Ein Shop bietet neben Bankgeschäften und Coca Cola auch Sporen, Cowboystiefel und Särge an. In Rosita herrscht nach wie vor das Recht des Stärkeren. Man nehme Armut, selbst gebrannten Fusel und eine gehörige Portion Machismus dazu, und schon hat man den idealen Nährboden für extreme Formen der Gewalt.
Foto: Filiberto Cruz Monroy/Periódico Excélsior
.jpg)
Filiberto Cruz Monroy / Periódico Excélsior (México)
Die Gewalt sitzt tief
Carla sitzt eines Nachmittags gemütlich in ihrem Schaukelstuhl auf der Veranda. Sie ist alleine zu Hause, ihr Nachbar schaut auf ein Getränk vorbei. Er möchte gerne mit ihr ausgehen und wird zudringlich. Sie hat aber kein Interesse an dem Mann und erteilt ihm eine Abfuhr. Anstatt seinen Korb zu akzeptieren, schnappt er seine Machete und attackiert die junge Frau. Carla hat Glück und überlebt schwer verletzt.
Ein Fall von vielen. 89 Frauen wurden laut Statistik alleine im vergangenen Jahr in Nicaragua ermordet. In den meisten Fällen ist der Ehemann der Täter. Auch Selbstmorde von jungen Mädchen sind keine Seltenheit, diese scheinen allerdings in keiner Statistik auf. Nach einer Vergewaltigung und einer damit verbundenen Schwangerschaft können sich die Opfer oft keinerlei Hilfe erwarten. Von Familie und Schule ausgeschlossen, sehen viele Mädchen keinen anderen Ausweg, als dem eigenen Leben eine Ende zu setzen.

Klaus Brunner
Nora Astorga - das Frauenhaus im Regenwald
Doch mehr und mehr stehen die Frauen auf und treten für ihre Rechte ein. Ein besonderer Lichtblick im gewalttätigen Nirgendwo von Nicaragua ist die Bewegung "Nora Astorga". Leiterin Emilia Zelaya-Molina begrüßt mich mit festem Händedruck und herzlichem Lachen. Sie ist wohl das geborene Klischee einer liebenswürdigen, lateinamerikanischen Mama.
„Als wir im Jahr 1990 mit der Frauenarbeit begonnen haben, haben viele Frauen zunächst nur verlegen auf den Boden geschaut, ihr Mann hat für sie gesprochen“, erzählt Zelaya-Molina.
Ein quietschbuntes Holzhaus mitten in Rosita bietet Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind, einen kurzfristigen Unterschlupf. Die meisten Männer wissen gar nicht, dass es diese Möglichkeit hier gibt. "Doch für viele Frauen ist eine Flucht nicht leicht. Auf eine Anzeige können oft schlimme Racheaktionen folgen", sagt Zelaya-Molina. Immerhin 60 bis 80 Fälle betreut sie pro Monat.

Klaus Brunner
Emilia Zelaya-Molina in "ihrem" Frauenhaus
Schritt Zwei besteht darin, gemeinsam mit einer Juristin zur Polizei zu gehen. Dieser Beistand ist enorm wichtig, da die Frauen im Polizeirevier sonst kaum ernst genommen würden. Im Idealfall fahndet die Polizei daraufhin nach dem Täter - nach dessen Ergreifung geht der Fall zum Bezirksrichter. Das trifft jedoch nicht immer zu. Emilia Zelaya-Molina erzählt von einem Frauenmörder, der nach wie vor frei in Rosita herumläuft: „Jeder weiß was er getan hat, aber keiner tut etwas.“ Der Täter hat offenbar gute Kontakte zum Bezirksgericht.

Klaus Brunner
In Workshops und Radiosendungen wird thematisiert, dass es eben nicht "normal" sei, wenn ein Mann seine Frau oder seine Tochter misshandelt. "Bei den Treffen in den Landgemeinden gibt es immer wieder Männer, die ihre Frauen nicht zu unseren Veranstaltungen gehen lassen. Da werden euch nur schlechte Dinge beigebracht, sagen sie. Doch wenn es dann wieder einmal zu einem brutalen Übergriff kommt, sehen auch viele Männer, dass unsere Arbeit wichtig ist. Denn inzwischen haben wir eine gewisse Macht und können tatsächlich etwas bewegen!" erzählt Zelaya-Molina stolz.

Klaus Brunner
Auf finanzielle Unterstützung vonseiten der nicaraguanischen Regierung wartet "Nora Astorga" unterdessen vergeblich. Allerdings greift die österreichische Entwicklungszusammenarbeit dem Projekt unter die Arme, sie ist mit der Organisation „Horizont3000" in Nicaragua vertreten. Die aktuelle Budgetkürzung im Bereich der Entwicklungshilfe macht die Zukunft jedoch ungewiss. Zelaya-Molina und ihre Kolleginnen werden auf jeden Fall weiter kämpfen. Ob sich die Situation denn langsam verbessere, frage ich sie. Emilia lächelt und antwortet voller Überzeugung: "Claro que se cambia - Klar ändert sich was!"