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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

10. 3. 2011 - 20:41

Journal 2011. Eintrag 53.

Koan Titel! Die kindische Organisation des FC Bayern München als Muster für die Zukunft von Firmen öffentlichen Interesses.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.

Zumeist werden sich hier Geschichten/Analysen finden, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einer durch den absurdesten Fußballverein der Welt ausgelösten Bestandsaufnahme von Organisationssoziologie des FAZ-Autors Jürgen Kaube - und deren Weiterführung in ein Zukunfts-Modell für alle.

Jürgen Kaube ist kein Sportreporter, sondern Ressortleiter für, Achtung, echt jetzt, Geisteswissenschaften in der konservativen FAZ. Trotzdem, oder genau deswegen, setzt er sich gestern mit der Situation um die anstehende Trainerentlassung beim großen FC Bayern München auseinander.

Das bezeichnet nicht nur den Unterschied zwischen der deutschen und der österreichischen Mediensitution, sondern auch die Wertigkeit der Debatte um Sport und Gesellschaft recht eindringlich. Denn selbstverständlich ist eine phänomenologisch interessante Beobachtung nicht weniger wert, wenn sie im Sport-Bereich stattfindet - im Gegenteil: wer wie Kaube etwas über Organisations-Soziologie erzählen will, tut gut daran, es anhand eines bekannten Beispiels zu unternehmen. Kaube tut das ja nicht in seiner Funktion als Wissenschafter (er ist Volkswirt und Soziologe), sondern als Journalist. Und er kann das, weil die Geisteswissenschaften sich per se besser vermitteln lassen als die Naturwissenschaften, die im 21. Jahrhundert die Schlagzeilen machen, obwohl ihre öffentlichen Äußerungen meist nicht über das Level von Bedienungsanleitungen oder Mails vom Systemadministrator hinaus reichen. Eigentlich. Aber: das wäre ein anderes Thema.

Die Organisations-Soziologie eines Vereins

Bevor jetzt Kritik aus der Terkessidis-Ecke die aktuelle Äußerung überlagert: klar ist Kaube kein progressiver Denker - sonst wär er nicht Wissenschafts-Ressortchef bei der FAZ. Kaube hat in seinem Buch Otto Normalabweicher. Der Aufstieg der Minderheiten durchaus seltsame Thesen über die zunehmende kulturelle Dominanz von Minderheiten-Positionen angeführt.

Sein Ansatz im Fall Bayern München ist von derartiger ideologischer Färbung aber unbenommen - der kommt einerseits in satter Verve gemeinsam mit hoher Fachkenntnis daher.

Unter dem Titel Trainer beim FC Bayern. Das ist genau dein Ding! seziert Kaube die Führungsstruktur und die Personalentwicklung des reichsten, selbstsichersten und erfolgreichsten Fußball-Vereins der Fußball-Weltmacht Deutschland; und zwar anhand der in den nächsten Monaten bevorstehenden Suche nach einem neuen Trainer.

Wäre dieser Job der eines Produktionsleiters in einem vergleichbaren Großunternehmen sonstwo - wie würden dann die Anforderungen lauten? Und, vor allem: wie schaut es mit der Führungsstruktur der Verantwortlichen aus? Kaubes Anfangs-These: "Nur ein Irrer wird diese Aufgabe übernehmen", erfährt in der Folge eine Überprüfung.

An der Spitze: massiertes Alphamännchentum

Der FC Bayern hat eine vielköpfige Führung mit letztlich nicht abgeklärten Kompetenzen; Alphamännchen in Massierung.
Da wäre einmal Franz Beckenbauer, wie der Colonel Gaddafi ein Mann ohne offizielle Funktion, der Ehrenpräsident, der ehemalige große Vorsitzende und Zampano, Weltmeister als Spieler und Coach, Bild-Kolumnist und Sky/Sat.1-Analyse-Plauderer, die Lichtgestalt, die alles darf, der Firlefranz, ein Mann, den frei nach Adenauer sein Geschwätz von gestern keinen Millimeter interessiert, wenn er heute ein neues Mikrofon findet.

Dann wäre da Uli Hoeneß, Präsident des FC Bayern München e.V. und Aufsichtsratsvorsitzender der FC Bayern München AG, der ehemalige Manager des Vereins, in dessen Regentschafts-Praxis der riesenhafte Aufschwung sowie die Konsolidierung des Vereins fällt, auch Weltmeister, aber nicht der Chef, zudem auch Vize-Europameister mit dem Makel des Belgrader Nachthimmels, Wurstfabrik-Besitzer und bekennender Rotkopf, wenn es um Diskussion und Debatte geht.

Dann wäre da Karl-Heinz Rummenigge, der aktuelle Vorstandsvorsitzende der FC Bayern München AG, zuvor Vizepräsident des Vereins, Vize-Weltmeister, aber Kapitän dieser Truppe, vor Matthäus Rekord-Teamspieler ohne Makel, ein vergleichsweise seriöser Formulierer mit abnehmendem Hang zur Rotbackigkeit in Diskussions-Situationen.

Öffentliches Breittreten von Internas als Lebenselixier

Ein Player in der Nomenklatura ist auch Karl Hopfner, stellvertretender Vorstandsvorsitzender, Ex-Geschäftsführer und gefühlt immer schon mit dabei im Spitzen-Gremium, der vierte in der Elefantenrunde, die die Entscheidungen trifft.

Beraten lassen sich diese Granden nur von einem einzigen Außenstehenden: Paul Breitner, Weltmeister und Vize-Weltmeister in einem, als Coach nicht wesentlich in Erscheinung getreten, Kolumnist da und dort, nie mit einer wichtigen Funktion beim Verein versehen, aber aufgrund der Zuschreibung "Intellektueller" als Konsulent gefragt.

Kein Mitspracherecht hat Hoeneß' Nachfolger als Manager, Christian Nerlinger, ebenso wie Kapitän Philipp Lahm - das Wort der beiden zählt allerdings etwas im medialen Diskurs rund um "die Säbener Straße", den Vereinssitz. Andere Spieler sind zu doof (Ribery), halten sich aus der Politik raus (Schweinsteiger) oder wurden vom aktuellen Coach entsorgt (wie der wortreiche Marc van Bommel).

In dieses Umfeld heiratet der Trainer also ein. Er muss folgende Anforderungen erfüllen: die europäische Konkurrenz ebenso kennen wie die deutsche Bundesliga. Er muss aus Superstars, die aus Frankreich, Holland, Brasilien, Deutschland und Bayern kommen, ein Team formen, dessen Zusammenstellung er nicht wirklich beeinflussen kann.

Führung via Medien-Meinungskommentar

Und er muss sich folgende, von Kaube formulierte Fragen stellen: "Es macht Ihnen dabei nichts aus, dass sie sich täglich denselben Fragen derselben Presse stellen müssen? Dass alle Ihre Aussagen und Handlungen sofort von Ihren Vorgesetzten kommentiert werden, entweder in der Presse oder im Fernsehen oder intern, was dann sofort an die Presse oder das Fernsehen weitergeleitet wird? Sie mögen es, wenn Ihre Arbeit dabei auch ständig anders kommentiert wird und das Lob eines Ihrer Vorgesetzten sofort zu Kritik eines anderen Ihrer Vorgesetzten an Ihnen führt?"

Das hängt mit der ungeklärten Organisations-Soziologie zusammen: egal wer formal zuständig ist - zumindest drei der Alphamännchen quatschen immer mit, in brisanten Fällen sind es dann alle Angeführten und auch noch die von ihren jeweiligen Medien als Experten am Gängelband geführten Figuren der Preisklasse Lothar Matthäus, der trotz seiner Verdienste als Spieler aufgrund seiner verheerenden Expertise als Mensch/Coach nicht einmal einen Job als Greenkeeper erhalten würde.

Das allein wäre nicht so schlimm - das Üble an dem was Kaube sehr schön "Durchstecherei" nennt ist die Verlogenheit im Spiel der Bayern-Bosse mit den Medien. Es gibt kein anderes Beispiel im Hochleistungsbereich, das "ihr Spitzenpersonal über die Massenmedien rekrutiert, sich in den Massenmedien zum Auswahlprozess und zu den Kandidaten äußert und schließlich auch wöchentlich die Leistungsfähigkeit der dann eingestellten Spitzenkraft kommentiert".

Verbissene Katzen und adverse Selektion

Das ist eine Taktik, mit der man sich von jeder Verantwortung freispielt: wer sich wöchentlich, teilweise täglich zur internen Befindlichkeit äußert, wird recht schnell das Produktions-Ziel (kurzfristige Euphorie, mittelfristigen Erfolg, langfristig nachhaltigen Aufbau) aus den Augen verlieren und nur noch "gut dastehen wollen". Vor den Spezln und der Öffentlichkeit. Es geht nur noch ums Füttern des aufgeblasenen Egos.

Letztlich setzen sich Beckenbauer, Hoeneß, Rummenigge und die anderen mit jeder öffentlichen Äußerung nur selber unter Druck. Und diese Unüberschaubarkeit und hingeplapperte Vielzahl verhindert jedes systematische und produktionsorientierte Handeln. Und da ist es dann egal, wie gut oder schlecht der Verein wirklich dasteht: es zählt der gefühlte Letztstand, und der bemisst sich an der medialen Aufbauschung - die letztlich immer von den Verantwortlichen selber betrieben wird. Eine dauerschwanzbeißende Katze also, ein Perpetuum Mobile.

Zudem, sagt der Volkswirt in Kaube, verursacht das mittlerweile weltweit bekannte Anforderungsprofil auch eine adverse Selektion: nur noch die windigsten Figuren sind überhaupt bereit, sich das anzutun. Zitat: "Ökonomisch gesprochen, bekommt der FC Bayern nur noch Trainer, die für das, was sie leisten, eigentlich zu teuer sind, weil in ihrem Salär eine Leistung mitentgolten werden muss, von der man auf dem Platz gar nichts sieht: den Verein auszuhalten."

Die "kindische Organisation" als Ego-Trip

Das gilt letztlich für jeden Fußball-Verein ab einer gewissen Größe und mit Alphamännchen-Strukturen. Langfristige Planung, wie es nach dem Vorbild alter Familien-Unternehmen strukturierte Vereine (Muster-Beispiel: Werder Bremen) vornehmen, bleiben in der Minderzahl. Bei Bayern wird der Hire/Fire-Faktor durch das mediale Lustspiel seiner vielköpfigen Spaß&Ego-Hydra jedoch pervertiert. Noch einmal Jürgen Kaube in seiner famosen FAZ-Analyse: "Der FC Bayern protestiert gewissermaßen als Organisation gegen das statistische Gesetz, dass man nicht immer gewinnen kann. Es gibt keine erfolgreichere und zugleich kindischere Organisation als den FC Bayern, keine mit einem so schlechten Gedächtnis. Eben dadurch repräsentiert er aber den Fußball selbst, und seine Chefs wissen das auch."

Ich denke, dass sich die Repräsentanz nicht auf den Fußball beschränkt.
Ich denke mittlerweile, dass die irre und wirre Organisationssoziologie des Vereins (wenn nicht schon aktuell, dann demnächst, 15 Minuten in die Zukunft gedacht) die Blaupause, das Muster, das Ideal für die Führung von Bereichen/Firmen/Organisationen mit öffentlichem Interesse darstellt.
Und zwar nicht, weil sie so effizient, erfolgreich oder nachhaltig wäre, ideal für Management-Handbücher. Das ist ja alles ganz deutlich nicht der Fall: der Aufwand, der betrieben werden muss, um den Mist, den die Führung permanent baut, wegzuräumen, würde drei kleinere Bundesliga-Vereine durch ihr Budgetjahr bringen. Insofern kostet der (aktuell eh nur relative) Erfolg deutlich mehr als nötig - es handelt sich also nicht um ein Geschäftsmodell im eigentlichen Sinn.

Verbale Inkontinenzen und der Wortwitz der Basis

Dieser Prototyp der "kindischen Organisation" ist ideal für das Medienzeitalter - permanente aus sich und ihrer Eitelkeit geschöpfte Action, Dauer-Bewegung (wenn auch sinnlose): genauso sieht das Idealbild der politischen Darstellung aus. Genau so ließ sich Guttenberg in Bild/Welt propagieren, genauso regiert Berlusconi sein Italien, so ähnlich sah das Prinzip der alten Haider-Strategie, und folglich auch die Strache-Kopie aus.

Manchmal funktioniert das auch durch mehrheitliche Zuschreibung: die vielen "der arge ORF!"-Geschichten etwa, die von den publizistischen Konkurrenten, den rivalisierenden Verlags-Mächten in die Welt gesetzt werden und sich - über die Eitelkeiten Einzelner dann auch bedienen lassen... da kann der Chef noch so deutlich eine verbale Kontinenz fordern.

Das Publikum ist in jedem Fall begeistert dabei: beim FC Bayern etwa mit einer die Engstirnigkeit der Führung deutlich reflektierenden Campaign gegen den möglichen Transfer des Nationaltorhüters Manuel Neuer. "Koan Neuer"! stand auf den Schildern, die die Kurve hochhielt, stolz auf ihren Wortwitz.

In der Zwischenzeit fällt der Gag dutzendfach auf die Schöpfer zurück - die gesamte Konkurrenz veräppelt sie. "Koan Titel" hieß es beim Spiel in Hannover, "Koan Meister", "Koan Pokal", "Koan Respekt" etc. folgten. Die kindische Organisation mag zwar eine Menge Substanz kosten, menschenverachtend und ineffizient sein, an der Basis kann sie richtig Spaß machen.