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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

10. 3. 2011 - 17:12

Diktatur der Unangepassten

Anfang April kommt Rocko Schamoni mit seinem aktuellen Roman auf Lesetour nach Österreich. "Tag der geschlossenen Tür" ist die alte Geschichte vom eleganten Tagedieb, der freiwillig draußen bleibt.

Klar, die Welt ist trist und "Normalsein", das ist nicht drin. Schamonis Held Michael Sonntag hat - wie er selbst sagt - die Bonuszeit des Lebens erreicht: Über 35 Jahre alt ist er mittlerweile schon, Null Bock, immer noch kein "vernünftiger" Job - und auch keine Aussicht darauf oder der Wunsch danach.

"Seit über fünfzehn Jahren wohne ich nun in diesem Viertel. Und während ich langam zu verfallen beginne, während mein Körper erste Abnutzungserscheinungen zeigt, am Gebiss, im Gedärm, an den Gelenken, im Gesicht und natürlich im Gehirn, verjüngen sich das Viertel und seine Bewohner, eine meiner eigenen Entwicklung entgegengesetzte Bewegung. In meinen Enddreißigern bin ich fast doppelt so alt wie die jüngsten Zuzöglinge. Vielleicht sollt ich demnächst von hier wegziehen, in eine Gegend, die meinem Zustand eher entspricht? Irgendwo an den Rand der Stadt, wo alterslose Menschen in gesichtslosen Behausungen wohnen. Wo mein Verfall und meine Nutzlosigkeit in der Gleichförmigkeit untergehen. Ich habe meine Chance gehabt."

Rocko Schamoni

Dorle Bahlburg

Rocko Schamoni

Ohne gröbere Motivation driftet Sonntag, der auch schon der Hauptdarsteller in Schamonis vorangegangenem Roman "Sternstunden der Bedeutungslosigkeit" war, durch Hamburg oder verbringt ewige Tage in seiner Wohnung und wartet auf die gewichtigen Gedanken, die niemals kommen. Rocko Schamoni, der Großentertainer, Musiker, Schaupieler, Autor und Alleskönner, zeigt einen Mann, der im Aufschub lebt. Mit einer kleinen Erbschaft hält Sonntag sich über Wasser und harrt der Entdeckung seines wahres Talents. Eine seiner Lieblingsbeschäftigungen ist das Verfassen und Verschicken von mit Absicht hanebüchenen Roman-Manuskripten - bloß, um sich dann an den per Post ins graue Leben schneienden Ablehnungsschreiben der Verlage zu laben.

"Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Michael Sonntag, ich wohne in Eckernförde und arbeite in der Kindertagesstätte "Lila Luftballon".
Ich möchte Ihnen ein faszinierendes Buchprojekt vorstellen, an dem ich jetzt schon seit drei Jahren arbeite. Es trägt den Titel "Immer Ärger mit Herr Berger". Wenn Sie bei diesem Titel jetzt schon am Schmunzeln sind, sind Sie bei mir genau an der richtigen Stelle. Es ist der lustige Familienroman für die ganze Familie."

Rocko Schamoni

Dorle Bahlburg

Auch in der Liebe ist nichts los bei Michael Sonntag. Aus der ferne imaginiert er sich eine Beziehung mit einer Angstellten in einem Handy-Laden - die ihn nicht kennt - herbei, einmal pro Woche gibt's ein Date mit einer Prostituierten. Ab und zu testet er mit von ihm geschriebenen, von Schärfe und Fabulierungsgswahn getragenen Kolumnen für ein Stadtmagazin die Schmerzgrenzen dessen Chefredakteurs aus oder lässt sich von seinem Kumpel Nowak mit außerweltlichen Geschäftsideen kurz aus seiner Lethargie reißen.

Rocko Schamoni liest:

05.04.11 Salzburg ARGE Kultur
07.04.11 Wien WUK
08.04.11 München Amerikahaus

Rocko Schamoni Cover

Piper

"Tag der geschlossenen Tür" von Rocko Schamoni ist bereits im PIPER Verlag erschienen

Sonntag hat sein Außenseitertum gewählt und gefällt sich selbst in seinem Weltekel sehr gut.
In kurzen Episoden jongliert Schamoni mit prall überzüchtetem Humor, Formulierungselan und deeper, existenzialistisch gefärbter Runterziehung und verhandelt dabei nicht nur das Verhältnis eines Menschen zu einer ihm gerne fremden Welt, sondern auch die fortschleichende Veränderung und Gentrifizierung seiner Stadt: Hamburg. Der Hafengeburtstag ist schließlich nur Anlass, drei Tage an irgendwelchen Saufbuden durchzubringen, und dann raved da auch noch der "Schlagermove", eine Art hirnverbannte Loveparade der ironischen Kult-Typen der Nation, durch St.Pauli.

"Komische Stadt in der ich hier gelandet bin. Ich kenne diese Stadt nicht. Ich dachte, ich wäre in Hamburg."

"Dies ist jetzt Hamburg. Sie haben ein neues Hamburg gebaut."

"Das haben sie aber schlecht gemacht. Wer sind die? Vielleicht geh ich sie mal besuchen und frag, wo mein altes Hamburg geblieben ist. Irgendwo müssen sie es ja gelagert haben."

"Sie haben es weggeschmissen."

Dass Sonntag gegen Ende von "Tag der geschlossenen Tür" einen kurzen Moment der Liebe und die Aussicht auf Glück findet, mag dem Roman ein wenig Licht und Hoffnung spenden, es vepasst ihm jedoch auch einen leicht schwülstig duftenden Twist Richtung Bildungsroman mit Happy End. Alles wird besser. Ein konstantes Level der Trostlosigkeit wäre schöner gewesen.

"Mit zwanzig fragst du nach einem Sinn. Mit dreißig kämpfst du um einen Sinn. Und mit vierzig bist du befreit vom Glauben an den Sinn."