Erstellt am: 11. 3. 2011 - 12:04 Uhr
Diagonale 2011
Diagonale
Festival des österreichischen Films,
22. - 27. März, Graz.
Das Allererste, was man von der Diagonale zu sehen bekommt, ist der Trailer. Und der ist dieses Jahr ein gutes Stück Pop: die Video- und Performancekünstlerin Sabine Marte hat ihren Diagonale-Trailer mit einem "Filmschnipselautomaten" exzerpiert. Die Diagonale widmet sich selbstverständlich weiterhin dem österreichischen Film. Und davon gibt es derzeit reichlich: der Jahresrückblick fällt derart üppig aus, dass die einundzwanzig, im vergangenen Kinojahr gestarteten Filme auf der Diagonale jeweils nur eine Vorführung haben werden. Sonst ginge sich das Programm mit seinen 104 Spiel-, Dokumentar- und Experimentalfilmen nicht aus. Mehr als die Hälfte der Filme laufen als österreichische Uraufführungen in Graz.
Eröffnet wird die vierzehnte Diagonale mit einer Dokumentation: Nikolaus Geyrhalters "Abendland" ist in den Worten des Regisseurs ein "Film über Europa in der Nacht". Gedreht nur bei Dunkelheit, ist der Essayfilm eine nächtliche Reise. In Episoden unternimmt Geyrhalter eine Bestandsaufnahme eines politischen, gesellschaftlichen und religiösen Umbruchs. Wie bei den meisten seiner Filme zeichnet Geyrhalter auch als Kameramann verantwortlich. Wie sich die Arbeit am Drehbuch gestaltet hat, wird der Filmemacher und Produzent Nikolaus Geyrhalter bei "Let's talk about scripts" erläutern (23. März, 14:00 Uhr, Festivalzentrum Kunsthaus Graz).
NGF / Stadtkino Filmverleih
Debüts!
Die Nacht beschäftigt auch zwei Debütantinnen im dokumentarischen Langfilm. Judith Zdesar hat sich ihrer Angst vor der Nacht richtiggehend ausgesetzt, die gebürtige Villacherin verbrachte einen Monat bei einer Dorfgemeinschaft in Grönland. In "Farben einer langen Nacht" erforscht Zdesar Methoden zur Bewältigung der winterlangen Dunkelheit. Ivette Löcker indes hat ihre "Nachtschichten" in einem Berlin gedreht, das man so noch nicht kennt, wie Festivalleiterin Barbara Pichler findet.
Mit "Schwarzkopf" hat ein weiterer Kino-Dokumentarfilm in Graz Premiere: Arman T. Riahi porträtiert den Wiener Rapper Nazar, zwischen Untersuchungshaft und Musikmachen.
Bei den Spielfilmen sind es drei Debüts junger RegisseurInnen, die neben Namen wie Sabine Derflinger, Andreas Prochaska oder Wolfgang Murnberger auffallen. Marie Kreutzer könnte aufmerksamen Diagonale-BesucherInnen seit "Cappy Leit" ein Begriff sein. Für Kreutzers Spielfilmdebüt "Die Vaterlosen" gab es auf der diesjährigen Berlinale eine lobende Erwähnung. Klug und wunderbar erzählt, geht es in diesem Ensemblefilm um weit mehr als um eine einstige, kleine Kommune am Land. Vier junge Erwachsene kommen nach dem Tod der Vaterfigur im Haus ihrer Kindheit zusammen. Vergangene, das weitere Leben bestimmende Ereignisse und Gefühle kommen hoch.
Komplizierte Beziehungen treiben auch die Handlung in Richard Wilhelmers "Adams Ende" an. In einer der Hauptrollen gibt es ein Wiedersehen mit Robert Stadlober, der bereits in Wilhelmers überbordender Sci-Fi-Werbeästhetik-in-der-Apokalypse "The Golden Foretaste of Heaven" mit von der Partie war.
Eine sehr eigenwillige Dynamik im Erzählen entwickelt Georg Tiller in "Persona Beach". Der junge Regisseur begibt sich darin auf Spurensuche nach dem imaginären Erbe Ingmar Bergmans auf der Insel Farö.
Novotny Film
Visionen
Ein Film, eine Einstellung - diesen Plan hat Ludwig Wüst für "Tape End" sechzig Minuten lang verfolgt. Bei Wüsts Idealvorstellung von Kino ist kein Regisseur anwesend, Gesprächsstoff könnte jedoch bereits das aktuelle Filmexperiment bieten.
Bei den Spielfilmen wartet Peter Kern mit einem besonderen Zuckerl für Fans seines Kinos auf. Der eifrige Filmemacher integriert in "Mörderschwestern" ein interaktives Gadget für das Publikum, genannt Mörderama: Per Knopfdruck auf einer Fernbedienung kann man die Handlung scheinbar beeinflussen. Kern selbst begegnet man auf der Leinwand in Elfi Mikeschs "Mondo Lux - Die Bilderwelten des Werner Schroeter".
Tribut!
Die Regisseurin, Kamerafrau und Fotografin Mikesch gilt als fixe Größe im unabhängigen europäischen Kino. Ihr gesamter beruflicher Werdegang fand bislang in Deutschland statt, doch für ihren neuen Film "Judenburg findet Stadt" ist Elfi Mikesch in die Stadt ihrer Kindheit und Jugend zurückgekehrt. Das Festival des österreichischen Films begrüßt Mikesch als besonderen Gast und zeigt einen Querschnitt ihrer Arbeit.
Joerg Burger
Mit der Personale wird dem Wiener Avant-Garde-Filmemacher Peter Tscherkassky Tribut gezollt. In einer Zeit, in der Film zunehmend digitalisiert ist und wird, ist der Blick auf seine Werke besonders reizvoll, denn Tscherkasskys Methoden sind im Analogen, im Film verhaftet. Eine thematisch arrangierte Durchsicht, von den Achtzigern bis zum jüngsten Kurzfilm "Coming Attractions", ist zu sehen. Zusätzlich kuratiert Tscherkassky eine Carte Blanche mit Filmen, die ihn beeinflusst haben.
Festivals bieten die Gelegenheit, Filme zu sehen, die man sonst nur selten, bestenfalls bei einem Special an ein, zwei Tagen im Jahr in Kinoprogrammen finden kann. Im Fall des österreichischen Experimentalfilms ist die Zahl öffentlicher Screenings äußerst prekär. International werden die heimischen Vertreter des Genres allerdings hoch geschätzt. Die Diagonale räumt dem Experimentalfilm fünf Programme à jeweils etwas mehr als einer Stunde ein. Nicht zu kurz kommt auch das kurze Format: Festivalleiterin Barbara Pichler verspricht diesbezüglich Dokus und Spielfilme mit unkonventionellen und formal avancierten Zugängen. "Der Kurzfilm ist eben nicht das Experiment, mit dem man übt", stellt Pichler klar.
Wie und woher kommt all die Kreativität? Für "Survival Guide" porträtieren fünf junge FilmemacherInnen fünf Künstler, um deren Taktiken herauszufinden. Tipps und Tricks kann man sich eventuell abschauen von dem Film- und Theatermacher Händl Klaus, dem Performancekünstler Oliver Hangl, der Sopranistin Angela Denoke, von Olga Neuwirth und Fridolin Schönwiese.
Tricky Women, Shooting Women
Besonderes Augenmerk schenkt die Diagonale dieses Jahr weiblichem Filmschaffen. Zum Einen wird das Animationsfilmfestival Tricky Women, das 2011 sein zehnjähriges Bestehen feiert, mit einer speziellen Auswahl in Graz vertreten sein: Fünf Animationsfilme aus Österreich, von Janina Arendt, Mirjam Baker, Michaela Mandel, Adele Raczköv und Veronika Schubert, und das Programm "Tricky Women International" werden laufen.
Zum Anderen gibt der Schwerpunkt "Shooting Women" den Auftakt zu einer Reihe, die Pionierinnen des österreichischen Films zurück auf die Leinwand holt. Denn sehr wenige Frauen haben es geschafft, ihr Filmschaffen als Beruf zu etablieren. Viele arbeiten heute beim Fernsehen, so Diagonale-Leiterin Barbara Pichler. Die Rolle von Frauen in der Gesellschaft wie weibliche Problematiken rücken in den Filmen der Siebziger bis in die Neunziger ins Zentrum. Fortgesetzt wird die "Shooting Women"-Reihe im April im Filmarchiv in Wien. In Graz diskutieren die Regisseurinnen Marie Kreutzer, Elfi Mikesch, Cutterin Karina Ressler und Birgit Wagner, Festivalleiterin von "Tricky Women" über die Gleichstellung von Frauen ("Ripping Reality", 26. März, 14:30 Uhr, Festivalzentrum Kunsthaus Graz).
Diagonale Nightline
Wenn sich nach drei Filmen am Tag das Bilderkarussell nonstop vor dem inneren Auge dreht, ist es Zeit für Musik. Die Diagonale Nightline entspannt die Sehnerven und schärft den Hörsinn. Los geht es mit kutin|roisz, die im Rahmen der mittwöchlichen Reihe "Sonntags Abstrakt" ein besonderes Diagonale-Gastspiel geben: die Künstlerin Billy Roiz und der Soundcomposer Peter Kutin formen improvisierte Noiselandschaften mit elektronischem Equipment und Gitarre (23. März, Einlass 20:30. Der Eintritt ist frei!).
Sir Tralala, der für Marie Kreutzers "Die Vaterlosen" zwei wunderschöne Songs geschrieben hat, gibt ein DJ-Set (24. März, Einlass: 22:00 Uhr), während am Second Floor Andrea Sodomka und Daniel Lercher - Protagonisten des Films "Judenburg findet Stadt" - neue elektronische Musik produzieren.
Das Erste Wiener Heimorgelorchester begrüßt Michael Ostrowski für ein Konzert, danach legt Ostrowksi mit DJ-Team auf (25. März, Einlass: 22:00 Uhr).
Die Berliner DJane Mieko Suzuki beschließt die Diagonale Nightline (26. März, Einlass: 23:00 Uhr). Zuvor vergibt die Diagonale Samstagabend ihre Preise für insgesamt 150.000 Euro. Erstmals werden auch bestes Kostümbild/Szenenbild, Kurzspielfilm und Kurzdoku prämiert werden, und zur großen Vorfreude wird Pia Hierzegger moderieren. Bereits am Eröffnungsabend wird Senta Berger mit dem Großen Schauspiel-Preis der Diagonale gewürdigt.