Erstellt am: 9. 3. 2011 - 16:49 Uhr
Journal 2011. Eintrag 52.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.
Zumeist werden sich hier Geschichten/Analysen finden, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einer Weiterführung des aufmerksamkeitsökonomisch höchst wirksamen Schlagabtausches zwischen Wir sind Helden und der Bild-Zeitungs-Werbekampagne, die von der Agentur Jung von Matt durchgeführt wurde.
Andere jüngst erschienene Journale mit Bild-Bezug - und da gab es ja einige: Bilds Guttenberg-Niederlage gegen die Schwarmkontrolle, ihre wenig rühmliche Rolle im Aufbauen einer neuen rechtspopulistischen Bewegung, ihre Mitschuld am vertragslosen Zustand zwischen Politik und Bürger, auch im Vergleich mit der Kronen-Zeitung.
Am Freitag findet eines der Jahres-Highlight der Werbebranche statt: die CCA-Award-Verleihung, die uns lehrt, dass der Plural von Venus "Veneren" ist. FM4 ist dort zweimal nominiert, und das, obwohl der Preis dazu da ist, dass sich eine Szene selber ordentlich abfeiern kann - und das ist bei unseren Plakaten/Kampagnen etc. nicht möglich, weil wir die selber entwerfen und produzieren, immer schon.
<Einschub, weil das zu Mißverständnissen geführt hat: Art Direktorin Sabine Brauner, die genauso wie Bernd Preiml und auch die anderen von Oliver Lingens Erwähnten das seit schon immer in Zusammenarbeit mit FM4-Marketing und -Programmgestaltung macht, war lange in der ORF-Grafik, hat aber seit Jahren auch eine Agentur - dynamowien; es handelt sich aber nicht eben um ein klassisch-ausgelagertes Ding, sondern eine gewachsene Kollaboration- also das gefühlte Gegenteil zu der normalen Vorgangsweise in der Werbebranche. Einschub over.>
Der Unterschied zu allen anderen mir bekannten Preisverleihungen: Wer nominiert ist, gewinnt auch schon; zumindest eine Venus in Bronze. Und wer weiß, wie gern sich die Agenturen diese Preise in die dafür geschaffene Vitrine stellen, der weiß auch, wie wichtig dieser Preisregen für das Selbstbewusstsein einer Branche ist, die sich unter totaler Selbstverleugnung als Dienstleister für Kunden, die sie per se für minderbemittelt und vertrottelt hält (großteils sogar begründeterweise), verdingt. Deshalb sind diese Preisverteilungen auch so niederschwellig - eine Award-Show, in der alle Teilnehmer gewinnen: das hat was von Unterstufen-Skikurs; damit bloß keiner weinen muss.
In diesem heutigen Erwähnungs-Zusammenhang sind mir dann wieder meine jüngsten, noch nicht aufgeräumten Begegnungen mit der Werbe-Branche wieder eingefallen. Und ich habe nachgeforscht.
Der eine Anlassfall war der üble Ausritt anlässlich der aktuellen Werbe-Kampagne für die Bild-Zeitung, das Massenverdummungs-Medium der Deutschen, das seit Schröder institutionell mitregiert und seine Legitimation aus zu konstruierter Volksmeinung geronnener Verleger-Politik bezieht, sich also seine Persilscheine selber ausstellt.
Bild ist in jeder Hinsicht, nicht nur in der als Brandstifter und Teppichausroller für populistischen Rechtsextremismus, ein gefährlichlicher Spieler im Sinn einer diffusen Postdemokratie nach Putin/Berlusconi-Vorbild.
Das traut sich nur Bild!
Die Werbe-Kampagne nutzt den auch für die Doofsten inzwischen spürbaren Zwiespalt in den Rollen als Aufklärer (die Aufgabe der Medien) und Akteur (die Praxis von Bild) indem sie auch "kritische" Geister zum Mitspielen anregt - im Wissen, dass jede Erwähnung/Beschäftigung Aufmerksamkeits-Punkte bringt.
Hier ist die aktuelle Galerie zu sehen.
Richard von Weizsäcker etwa, der Ex-Bundespräsident, Stefan Kretzschmar oder Philipp Lahm, die in Sport-Kreisen als Querdenker gelten, Alice Schwarzer, die ehe sie für die Bild als Kachelmann-Terrier ihre Glaubwürdigkeit abgab, und natürlich massenhaft Schauspieler und Selbstdarsteller (Gregor Gysi, Kerner, Gottschalk, Genscher, auch Jonathan Meese...) - also ein Menschen-Mix, der für alle was hat.
Wie Bild mit den teilweise auch kritischen Wort/Tonspenden umgeht? So: Kritik als Werbung - das traut sich nur Bild, am Beispiel Udo Lindenberg. Es geht darum, die Kritik durch Einbindung zu entkräften, um augenzwinkernde Kumpanei, um ein "Wir sind doch alle irgendwie Schweine!"-Aushebeln jedes moralischen Ansatzes, um ein Verächtlichmachen jeder politischen Korrektheit.
Genauso wie es im Bild/Springer-Imperium Berlin/Hamburg kein Feigenblatt, sondern ausschließlich zum Zweck der Campaignisierung erstellte Kampfblätter gibt, ist es auch für Werbe-Testimonials nicht möglich, ein Schlupfloch zu finden, um der Instrumentalisierung zu entkommen.
Adbusting und Herzenshygiene
Das hat Judith Holfelder/Holofernes, als Sängerin/Texterin der Band "Wir sind Helden" zu Starruhm gekommene Musikerin und Journalistin, angesichts einer Anfrage der Werbeagentur Jung von Matt, die die Bild-Campaign seit jeher managt, erkannt - was Wunder, Frau Holofernes war Mitarbeiterin von Adbusters einer zutiefst werbekritischen Plattform. Stünde sogar in ihrem Wikipedia-Eintrag, den man als Agentur scannen hätte könne, ehe man so eine Standard-Anfrage rausschickt.
Die Frau weiß also, dass es kein Gutes im Schlechten gibt. Schon gar nicht beim fröhlichen Fraternisieren im Kritik-Mantel.
Auf die Anfrage hat Holofernes deutlich, scharf und zugespitzt, fast schon brutal, und vor allem sofort und noch vor allemer öffentlich reagiert - wichtig, wenn man die Kontrolle über die eigene Äußerung behalten will; vor allem, wenn - wie im Fall von JvM/Bild auch die Gefahr besteht, dass die die Ablehnung ihrerseits öffentlich machen, womöglich nur in Ausschnitten.
jung von matt
Oder sich zu einer Lösung wie der Nebenstehenden entschließen.
Die Ablehnung zog sofort Kreise, wurde medial vielbeachte und erfuhr einen Rückschlag von Bild. Die brachte in Erfahrung, dass in der nächsten taz-Wochenend-Ausgabe ein Interview mit Holofernes enthalten sein würde und buchte dort ein Inserat das die Bild-Sichtweise darstellte, ein Umstand der für eine Diskussion sorgte, die ich mäßig interessant finde.
Wichtiger sind Holofernes zentrale Aussagen, die sie aufgrund einer, wie sie sagt, nötigen "Herzenshygiene", dem "starken Bedürfnis, mich da abzugrenzen" getragen war:
"Die Bild-Zeitung ist kein augenzwinkernd zu betrachtendes Trash-Kulturgut für wohlfrisierte Aufstreber, keine witzige soziale Referenz und kein Lifestyle-Zitat. Und schon gar nicht ist die Bild-Zeitung das, als was ihr sie verkaufen wollt: Hassgeliebtes, aber weitestgehend harmloses Inventar eines eigentlich viel schlaueren Deutschlands. Die Bildzeitung ist ein gefährliches politisches Instrument – nicht nur ein stark vergrößerndes Fernrohr in den Abgrund, sondern ein bösartiges Wesen, das Deutschland nicht beschreibt, sondern macht."
Nebelgranaten um ein Rückspiel zu erzwingen
Das ist der Teil der öffentlichen Antwort, die der Bild und der vorgeschalteten Werbeagentur nicht in den Kram passt, weshalb sie die diversen Rauchgranaten abschoss, um die berichtenden Medien abzulenken. Mit Erfolg.
Dabei half es auch, dass plötzlich auf jetzt.de, dem jungen Portal der Süddeutschen eine Fake-Antwort der Agentur auf die Holofernes-Botschaft auftauchte, eine vor Widerlichkeit und ertappten Hasstiraden strotzende Sudelschrift - die zunächst von allen für bare Münze genommen wurde.
Plötzlich war der "lahme Versuch, ein Rückspiel zu erzwingen, weil man aus der ersten Runde nicht besonders glorios hervorgegangen ist" (Zitat Holofernes) das Hauptthema, auch bei der ihre peinliche Berührung durch Rotz überspielenden Süddeutschen. Und nur ein, zwei Tage später, als medial wieder die nächste Sau durchs Dorf getrieben wurde, interessierte der inhaltliche Kritikpunkt schon keinen mehr. JvM und KD, der Zwilling von KT, konnten jubilieren.
Gut, in Österreich dauert es länger, da zieht man diese Woche nach - aber interessanterweise nicht im sonst so medienkritischen Standard. Dort erschien nur eine sehr heldenkritische Geschichte, bei der nicht nur die Fake-Antwort als echte, sondern auch die Agentur als Sieger dargestellt wird.
Das ist nur dann seltsam, wenn man nicht weiß, wer den standard.at werbetechnisch vertritt. Richtig: Jung von Matt.
Double-Fake und Mattes Jung
He, Kobuks! Da drin steckt ur das Lob für euch!
Nun bin ich beim ersten Lesen auch auf den Antwort-auf-die-Antwort-Fake reingefallen. Aber ich hab, ehe ich mich irgendwie privat oder öffentlich empört habe, nachgefragt. Sollte man tun, wenn man nicht wie einige in diesem Fall oder andere, etwa der News-Chefredakteur etwa dem Star-Trek-Guttenberg-Fake-Hoax auf den Leim gehen möchte. Nachfragen.
Die JungvonMatts benennen ihre Filialen nach den Flüssen, an denen sie liegen: Alster, Elbe, Spree, Neckar, Limmat und, im Fall von Wien eben: Donau. Diese Benennung geht sich bei der TV-SOKO aus, weil die drauf rumfährt und dort spielt - bei einer Agentur, die in echt ganz ohne Fluss auskommt, riecht das so nach den alten Donaugauen..., aber vielleicht war ich gestern zu intensiv in diesem überkommenen Begriffen unterwegs und bin übersensibel....
Ich hab das bei einem getan, der dort arbeitet, bei Jung und Matt, in der Dependance "Donau". Und der antwortet: "Diese Antwort ist ein Fake. Schlecht geschrieben noch dazu. Ich gebe zu, kurz hat es mich auch gerissen, als ich sie gelesen habe. Was uns in Österreich betrifft, sind wir autonom." Glaubwürdig: es schlägt sich im JvM-Engagement für den Falter und den Standard nieder.
Woher ich einen Werbemenschen - wenn auch nur flüchtig- kenne, fragt ihr euch? Daher - er ist der Sänger/Autor des Siegertitels beim Protestsong-Contest. Wusste ich davor, wie alle anderen auch, nicht. Er hat's geheimgehalten und wohl zurecht, bei dem Image, das seine Stammfirma hat.
Da hilft auch die Österreich-Anbiederung der Abteilung Alster nichts.
Das war übrigens der andere Anlassfall: die Überlegung, ob man als Juror einen Protestsong-Preis ernsthaft an einen Werbemenschen übergeben darf. Ob das nicht ein Widerspruch in sich wäre.
Denn das deutsche Beispiel zeigt: Wer seine Agentur so unverhohlen und ohne Signal der Entschuldigung in den Dienst der politischen Vernebler und gesellschaftlichen Verdummer stellt, der ist lahm und wahrlich matt, und noch viel matter. Und hat sein Recht auf seriöse Artikulationen zu politischen Abläufen eigentlich verwirkt; das auf Protest sowieso.
PS
Noch 'n Gag zum finalen Ablachen. Die Kino/TV-Ausstrahlung dieser beiden Spots wurde von "Bild", wohl ohne Jung von Matt-Beratung, untersagt. So 'ne Spaßbremsen!