Erstellt am: 9. 3. 2011 - 15:19 Uhr
Schottischer Trancecore
Es ist mir schon lange nich mehr passiert, dass ich auf ein Konzert einer Band gehe, ohne deren aktuellstes Album mindestens einmal gehört zu haben.
Irgendiwe ist es sich diemal nicht ausgegangen, die Ruhe und Zeit zu finden, in das neuste Epos der Schotten Mogwai einzutauchen. Denn dem siebenten Studiowerk "Hardcore Will Never Die, But You Will" sollte man wirklich seine gesamte Aufmerksamkeit schenken. Es ist ein glitzerndes Soundbad voller wunderbarer Melodien, schwebenden Akkordteppichen und sich ins Unendliche spannenden Harmoniebögen, die selbst nach dem Verklingen der letzten Note ihr Eigenleben im Kopf entwickeln, um dort noch lange nachzuhallen.
Hätte ich das alles schon gewusst, dann hätte mich der Gig der fünf stoischen, ernst wirkenden Soundkünstler wohl nicht derart überwältigt.
Open your ears and hearts

Niko Ostermann
Noch bevor sich der berühmt-berüchtigte, reichlich angezerrte Gitarrensound von Stuart Braithwaite in den Gehörgang fräst, sitzt ein einsamer, bärtiger Landsmann von Mogwai auf der Bühne. Umgehängt lediglich eine akustische Konzertgitarre. Es ist RM Hubbert, der mit seinem exzellenten, sehr klassisch angehauchten Picking Stücke schreibt, die jene Melancholie einfangen, die auch Mogwai gerne an den Tag legen. Darin verarbeitet Hubbert beispielsweise den Tod seiner Eltern, was er auch in einer sehr persönlichen Ansage offen legt. Das Schöne an diesem Support ist, dass er einem die Ohren öffnet, sensibel werden lässt für schräge Zwischentöne und harmonische Reibungen, sowie für nordländische Schwermut, die niemals in Selbstmitleid kippt.

Niko Ostermann
Als dann die ersten Schläge von Martin Bulloch über das berstend volle WUK hinwegfegen, sich verhallte Gitarrenlinien im dunklen Raum verteilen und sanfte Glockentöne unter die elegische Basslinie mischen, ist sofort die starke, sehnsüchtige Grundstimmung etabliert, die es möglich macht, von einem Moment auf den anderen in die Klangwelt von Mogwai abzutauchen.
Im Opener "White Noise" stapeln sich Gitarren und Keyboardklänge zu hohen Soundwellen auf, die sich am Höhepunkt immer wieder brechen und uns mit ihrer Gischt umspühlen. So wie das neue Album den "Gesang" in die eigentlich instrumentalen Klangkollagen vermehrt einbaut, so folgt mit "Travel Is Dangerous" auch live eine der wenigen stimmlich begleiteten Nummern (zu finden auf "Mr. Beast"). Daran schmiegt sich das neue Stück "Rano Pano" perfekt an, dass noch im Stil der älteren, härteren Platten ein verzerrtes Riff auf das nächste stapelt. Genau dann, wenn man glaubt, Mogwai wären an der Lärm-Grenze angelangt, steigen die Gitarristen Stuart Braithwaite und John Cummings, sowie Bassist Dominic Aitchison erneut auf eine weitere "Tretmine" und die wall of sound wird noch dicker und kompakter.

Niko Ostermann
Spannend bei diesem Auftritt im Vergleich zu ihrer WUK Performance 2008 ist, wie gut sich die elektronischen Einsprängsel des neuen Albums und die verschiedenen Keyboard- und Synthiesounds in das Gesamtklangspektrum von Mogwai einfügen. Das famose "Mexican Grand Prix" entwickelt sich mit einem trockenen Beat, einer nach Stereolab klingenden Orgel und schnarrendem Bass sogar zu einem treibenden Krautrockstück, bei dem Tastenmensch Barry Burns seine Stimme durch den Vocoder jagt. Auch das ruhige, sehr spährische "Letters To The Metro" fügt sich perfekt in das Live-Set, bei dem vor allem die neuen Songs die Richtungen vorgeben. Mit einem Mal ist der Saal erfüllt mit tief melancholischen Klavierakkorden, zwischen denen ein zerbrechlicher Schlagzeugrhythmus und Slide-Guitar-Töne federleicht umhertänzeln.

Niko Ostermann
Bei den folgenden drei älteren Nummern "Ithaca 27ø9", "Mogwai Fear Satan" und "I Know You Are, But What Am I?" beweisen die fünf Schotten einmal mehr, wie präziese ihr Zusammenspiel ist. Es fordert immer noch vollste Konzentration. Von den ersten Reihen aus sieht man, wie alle Musiker mit versteinerten Minen und oftmals geschlossenen Augen ihren verschiedenen Linien aufmerksam folgen, um nicht einen einzelnen Ton zu verschleppen, sondern jeden genau zur richtigen Zeit schwingen zu lassen. Dieser Perfektionismus bestätigt sich zum Beispiel dann, wenn Stuart einmal eine Millisekunde zu spät oder zu früh auf sein Effektpedal steigt und darauf hin etwas verärgert seine Stirn runzelt. Aber selbst der Umstand, dass Berry Burns seit einiger Zeit in Berlin lebt, sich die Mogwai Arbeit hauptsächlich via Internet abspielen muss und das Proben nur mit der nötigen, großen Pendelbewegung stattfinden kann, ist diesem Quintett auf der Bühne in keiner Sekunde anzumerken.

Niko Ostermann
Absolute Highlights sind "How To Be A Werewolf", das mit seinen hypnotischen Keyboardflächen, dem unaufdringlichen, reduzierten Beat und der unglaublich schönen, melancholischen Basslinie sofort das Herz erwärmt. Und mit der knapp neunminütigen Albumschlussnummer "You're Lionel Richie" übertreffen sich Mogwai dann fast selbst. Auch wenn sich die Kommunikation nur auf Stuarts "Thank you so much" nach jedem zweiten Song beschränkt, ist die vibrierende Spannung und die Verbindung zum Publikum während des ganzen Abends spürbar.

Niko Ostermann
Alle Fotos: Nikolaus Ostermann
Das Geniale an dieser Musik ist, dass jeder dazu seinen ganz eigenen Film im Kopf abspielen kann. Ich zum Beispiel war oft auf saftig grünen Wiesen unter einem von dicken, schwerken Wolken behangenen Himmel in meinen Parker eingemummt unterwegs, oder hab im Geiste von einer steilen Klippe aufs offene Meer geschaut und gegen den Wind angekämpft, der die Wellen gekräuselt hat. Egal, welche Bilder ein Mogwai Konzert evoziert, es beschwöret innerhalb von eineinhalb Stunden jedenfalls viele Emotionen herauf. Manchmal sogar solche, die man schon glaubte, vergessen zu haben. Vor allem die Songs der neuen Platte "Hardcore Will Never Die, But You Will" haben diese Band verändert und für mich sogar um ein großes Stück verbessert. Denn mit der spärlichen Elektronik, den sanfteren Tönen, den manchmal trotz aller Soundgewalt reduzierteren Nummern lösen Mogwai noch mehr emotionale Schattierungen aus. Und spätestens mit diesem Abend stehen die Schotten für immer und ewig in meiner Lieblingsbandsliste.
Mogwai will never die...