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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

8. 3. 2011 - 22:31

Journal 2011. Eintrag 51.

...oder auch: Fußball-Journal '11-17, je nach persönlichem Gusto. Über Fragen, die sich nach den notwendigen und überfälligen Aufarbeitungen der Nazizeit in der heimischen Alltagskultur (Anlassfall: Rapid Wien) stellen.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.

Zumeist werden sich hier Geschichten/Analysen finden, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit dem, was nach der Lektüre der heute präsentierten, grandiosen Geschichtsaufarbeitung Grün-Weiss unterm Hakenkreuz uber die Rolle des SK Rapid in der Nazizeit bei mir nachwirkt.

Diverse Fußball unterm Hakenkreuz-Links: die aufsehenerregende Debatte um Sindelar,über die "gemeinsame" WM 1938, zu den Tschechen in Wien, die Geschichte wie der Austria-Sekretär, der das KZ überlebte, über die Nazi-Presse...

Ein paarmal im Jahr bekomm' ich Prospekte eines Fußball-Verlags, die in jeder Tranche neben den üblichen Fan-Arien auch etliche Aufarbeitungs-Bücher vorstellen: Titel über deutsche und polnische Fußballer im Räderwerk der Politik, den jüdischen Background des FC Bayern München, die Sechziger unterm Hakenkreuz und vieles andere mehr.

Deshalb war ich von der Ankündigung, dass die heute vormittag präsentierte, von Rapid Wien beim DÖW in Auftrag gegebene, in Buchform gegossene, wissenschaftliche Aufarbeitung über die Nazi-Zeit Grün-Weiss unterm Hakenkreuz die erste ihrer Art, auf Vereinsebene eben, wäre, fast wie eine Faustwatsche empfand.

Ehrlich, das hatte ich nicht gewusst.
Bereits seit Jahren gibt es die die Reihe Fussball unterm Hakenkreuz im Magazin Ballesterer, und ich war (in scheinbar grenzenloser Naivität) davon ausgegangen, dass dieser Bereich, zumindest in der Wissenschaft und in diversen Fach-Publikationen bereits ausgearbeitet ist.

Auch im Auftrag staatlicher Stellen oder der Sportstadt Wien; in jedem Fall war ich mir sicher, dass Rapid und Austria das längst beauftragt hätten.

Vielleicht hab ich mich da von den einigermaßen bekannten Arbeiten von Matthias Marschik und der gut dokumentierten Geschichte des 1938 von den Nazis zerstörten Sportvereins Hakoah ablenken lassen.
Aber: das sind Publikationen, die eher gegen den Willen des Fzußball-Establishments entstanden sind - von einer aktiven Förderung einer historischen Aufarbeitung gar nicht erst zu reden.

Der Fußball als Hauptquartier der Verdrängung

Tatsache ist: 2011, also unglaubliche 66 Jahre nach dem Ende des NS-Terrorregimes, ist die Arbeit von Jakob Rosenberg und Georg Spitaler tatsächlich eine Premiere.

Und ich frage mich, inmitten all der berechtigten Belobigung des Auftrags und des Werks, ob es nicht unendlich zum Genieren ist, dass Österreich (und ich darf an die vielen zu Beginn erwähnten deutschen Pendants) hier so peinlich hinterherhampelt.

Klar, man ist hierzulande, in der (nicht erst seit Freud bekannten) Heimat der Verdrängung nur ungern bereit, sich mit der Vergangenheit zukunftsgewinnbringend auseinandersetzen.

Weshalb es das gesamte offizielle Fußball-Österreich, aber genauso das gesamte sich mit dem Fußball gern schmückende politische Establishment bislang nicht der Mühe wert fand, etwas in die Wege zu leiten.

Wer hier Pionierarbeit leistete, wie bei allen Themen, die Mainstream-Media, ÖFB, Bundesliga aber auch die angrenzende Politik gern unter die Tuchent drücken würden (Themen wie aktuell angewandten Antisemitismus auf und rund um den Platz etwa...): der Ballesterer, dessen Redaktionsmitglieder beide Autoren sind.

Täter, Opfer, Mitläufer und Ausreden

Kein Zufall also, dass die, die sich auch sonst um Psycho- und Moralhygenie kümmern, auch hier wieder Anstoßgeber waren.
Und die Peinlichkeit, anläßlich eines Jubiläumsspiels im Sommer 2009, als sch Rapid Wien Schalke 04 einlud, um das Finale um die deutsche Fußball-Meisterschaft das am 22. Juni 1941, dem Tag an dem der Angriffskriegs der Deutschen auf russischem Boden begann, zu feiern, bloßstellte und etwas einforderte. Rapid, in Gestalt seines politischen Präsidenten waren imstande zu reagieren - und jetzt liegt ein erstes Resultat da.

Und es ist ein Buch, das Fakten aufdeckt, die österreichischer nicht sein könnten, Geschichten über Täter, Opfer und Mitläufer, verdammt viele Mitläufer.

Die einzige winzige Geschichte, in der so etwas wie Widerstand durchschimmert, betrifft den jungen Ernst Happel, der als Jugendspieler einmal das Mitsingen bei einem HJ-Sangesabend verweigerte und erst durch einen Canossagang eines Funktionärs vor dem Rausschmiss bewahrt wurde. Alle Anderen verbrachten die Jahre 38 bis 45 mit sich-arrangieren und durchwurschteln. Der damalige Trainer Leopold Nitsch entschloss sich wahrscheinlich bewußt offensiv um eine NSDAP-Mitgliedschaft um so die Spieler bestmöglich schützen zu können. Das offizielle Rapid-Archiv spart all ebenso (und - wie bei allen Akteuren - beschämend) bewußt aus.

Wie immer in solchen Aufarbeitungen sind es die eilfertigen Ausreden-Arien bei Regimewechseln, die einen zum Speiben bringen können. Zuerst waren alle, die sich 1938, nach dem Abschluss, um eine NSDAP-Mitgliedschaft bewarben, vorher natürlich eifrige Unterstützer der davor illegalen. Dann waren alle, die sich 1945 um die Entnazifizierung bemühten, immer schon widerständisch.

Geschäftig so tun, als wäre nichts gewesen

Man muss es der damaligen Rapid-Familie zugutehalten: viele waren es nicht. Kaum Spieler, ein paar Ex-Internationale, einige Funktionäre. Man ließ sich vom neuen Herrscher ein paar Quoten-Nazis in den Vorstand setzen, fand sich mit dem ideologischen "Dietward" ab und wunderte sich nicht weiter über den Verbleib von jüdischen Funktionären/Spielern (von denen ein Teil in der Mord-Maschinerie getötet wurde) - nur einer kam zurück und stieg nach dem Krieg wieder in den Verein ein. Und fügte sich wieder in eine Gesellschaft, die geschäftig so tat, als wäre nicht gewesen, ein.

Der Mann, der die Idee für den Vereinsnamen "Rapid" hatte, Klubsekretär Wilhelm Goldschmied wurde ermordet - und es ist der Nichtaufarbeitung durch das verluderte Nachkriegssystem zu verdanken, dass sich dadurch die Nazi-Umfärbung der Geschichtschreibung durchsetzte, dass das keiner wusste. Die Festschriften zum 100jährigen Jubiläum liessen das aus - ganz wie es die Reichssportkammer 38 beabsichtigte und durch den seither herrschenden Unwillen zur Aufklärung, den besten Kumpel des Faschismus, befördert wurde.

Präsident Edlinger, für den das auch neu war, stellt ein Eckerl im denmächst zu eröffnendem Rapid-Museum dafür zur Verfügung. Schwach zwar, aber immerhin. Eine der möglichen Folgen.

Die anderen betreffen wahrscheinlich am ehesten die diversen Verschwörungs-Theorien zum Finalspiel um die deutsche Meistertschaft 1941 zwischen Rapid und Schalke (beide Seiten bejammern seit Generationen Benachteiligung); die wohl allesamt einer Grundlage entbehren. Auch der Mythos von der Widerständigkeit durch einen anderen, typisch österreichischen Fußball-Stil: schön gestrickt, aber von den Fakten her entbehrlich.

Wo bleiben Austria, Vienna, ÖFB?

Das Buch schreit übrigens nach mehr: nach einem Pendant für die Austria Wien, die weitaus stärker in die Repressions-Maschinerie des Nazi-Systems geriet, aber auch nach einem Weißbuch die Vienna betreffend. Und wenn die vereine die Kosten nicht tragen können, dann ist eindeutig die Stadt Wien oder der ÖFB in der Verantwortung.

Der ÖFB, das deutet ein Nebensatz von Rosenberg/Spitaler nur an, hält sein Archiv aus der Nazizeit in einem verheerenden Zustand, der nur so nach jahrzehntelanger Verdrängung schreit. Auch hier ist eine Aufarbeitung unvermeidlich. Denn Grün-Weiss unterm Hakenkreuz hat den Damm gebrochen und bewiesen: das Leben mit der Geschichte ist leichter, wenn man sich ihr stellt.