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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

8. 3. 2011 - 16:56

Nahost: Überwachung Made in Germany

Während im Jemen und in Bahrain Pro-Demokratie-Demonstranten auf den Straßen starben, hielten IT-Firmen aus Deutschland, Frankreich und anderen EU-Staaten in Dubai Überwachungsseminare für Polizei und Geheimdienste ab.

Am 21. Februar wurden in der jemenitischen Stadt Aden mehrere Demonstranten von "Sicherheitskräften" umgebracht. Aus Bahrain kam desselben Tags die Nachricht, dass das geplante Formel-1-Rennen wegen der Massenproteste von März auf November verschoben werden muss. Kurz davor hatte es auch in Bahrain Tote gegeben, als Spezialeinheiten den von Demonstranten besetzten Perlenplatz stürmten.

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In Oman, Kuwait und Jemen haben am Dienstag erneute nicht-genehmigte Kundgebungen stattgefunden. In Libyen ließ Machthaber Al-Gaddafi erneut zivile Wohnhäuser bombardieren.

Im benachbarten Dubai aber herrschte business as usual. Im noblen Hotel JW Marriott tagten Repräsentanten mehrheitlich europäischer Firmen mit hochrangigen Vertretern jener Polizei- und Geheimdienstkräfte aus Nordafrika und Nahost, die gerade mit brutaler Gewalt gegen die eigene Bevölkerung vorgingen.

Die Leipziger Firma Ipoque

Wie bei IT-Konferenzen besonders im Sicherheitsbereich üblich, stand der erste Tag der "ISS-World Middle East and Africa" ganz im Zeichen von Workshops und Tutorials. Das auf "Deep Packet Inspection" spezialisierte Leipziger Unternehmen Ipoque etwa hielt - laut Konferenzagenda - ein dreiteiliges "Trainingsseminar" zum Thema effiziente "Überwachung des Internetverkehrs" ab.

"Deep Packet Inspection" zielt auf das Filtern und Kategorisieren des gesamten Netzwerkverkehrs ab. In Kombination mit einer nationalen Firewall - wie etwa im Iran oder in China - ergibt das die Kontrolle über die gesamte Kommunikation in einem landesweiten Netzwerk. VoIP-Telefonate können dadurch überwacht werden, egal über welchen Port sie hereinkommen. Ebenso können Datenpakete von Skype identifiziert und gezielt blockiert werden wie sämtliche verschlüsselte Kommunikation.

Ipoque verfügt nach eigenen Angaben über ein ganzes Netz an Distributoren in Nahost und Nordafrika. Man ist unter anderem in Ägypten, Saudi-Arabien und dem Libanon vertreten, wobei die Büros von einer Partnerfirma aus Dubai namens FVC betrieben werden.

Trovicor und Utimaco aus München

Die ebenfalls deutsche Firma Trovicor präsentierte im Rahmen ihrer "Geheimdienstlösungen für Strafverfolger" ein "State of the Art Monitoring Center", um auch den "aktuellen Herausforderungen in der Überwachung" gerecht zu werden.

Trovicor verfügt nach eigenen Angaben über Niederlassungen in Dubai, in Pakistans Hauptstadt Islamabad und im malaysischen Kuala Lumpur.

Das "Lawful Interception Management System" von Utimaco samt Videopräsentation. "Making the world a safer place" ist das Motto der Münchner Trovicor, die 1993 aus dem Siemens-Konzern ausgelagert wurde.

Das mittlerweile zur Sophos-Gruppe gehörende deutsche Unternehmen Utimaco präsentierte ein technisches Upgrade herkömmlicher Überwachungsmethoden von Telefonienetzen mittels "Deep Packet Inspection". Am 23. Februar zeigte man - laut Konferenzagenda - wie "Lawful Interception", also das Abhören durch Sicherheitskräfte, in drahtlosen Breitbandnetzen wie LTE funktioniert.

ATIS Uher, Bad Homburg

Das Bad Homburger Unternehmen ATIS Uher demonstrierte in Dubai, wie man Überwachungsprobleme bei Web-2.0-Anwendungen löst und zeigte seine Klarios-Überwachungssuite vor. Auch ATIS unterhält nach eigenen Angaben eine Niederlassung in Dubai.

Laut Powerpoint-Präsentationen der Firma ATIS - die ORF.at vorliegen - kann die Klarios-Überwachungssoftware WWW-Sessions vollständig überwachen, auch die Einbeziehung von Geodaten ist vorgesehen. Durch eine Kombination von GPS-Daten mit Geodaten aus dem Mobilfunksystem ermögliche die Klarios-Suite sowohl "genaues Tracking" (zur Überwachung von Einzelpersonen) aber auch "bad guy gathering" zu erkennen. Dazu gibt es "Hotzone in/out alerts".

Klarios

Die Klarios-Monitoring Centers von ATIS Uher, werden unter einem abgewandelten Spruch von Wladimir Iljitsch Lenin vertrieben: Vertrauen ist gut, Klarios® ist besser.

Übersetzt in den Alltag Jemens oder Saudi-Arabiens heißt das: Die Truppen von Polizei und Geheimdiensten werden hart an der Echtzeit alarmiert, sobald die Anzahl von Mobiltelefonen in irgendeiner Funkzelle auf neue Ansammlungen von Demonstranten schließen lässt.

"Lawful Interceptіon"

"Lawful Interceptіon", also "gesetzmäßige Überwachung", bedeutet in diesem Fall eben die Kontrolle gemäß den Gesetzen Saudi-Arabiens, Bahrains, des Jemen oder irgendeines anderen totalitären Regimes.

Gemeinsames Merkmal all dieser Regierungen ist neben der Bereitschaft, waffenlose Demonstranten für Demokratie im Zweifelsfall zu erschießen, eine ungeheure Überwachungswut. Das geht mit wohldotierten Budgets für Überwachungsmaßnahmen einher, deren Höhe die Angst der Herrschenden vor ihrer Bevölkerung widerspiegelt.

Die Messe in Dubai

Wie schon der Name sagt, ist die ISS-World eine Serie von Überwachungsfachmessen, die in jeder Weltregion andere Aussteller hat. Die Nahost/Afrika-Ausgabe in Dubai zielte denn auch auf Firmen ab, die bevorzugt in dieser Region Geschäfte machen.

Despoten mögen "Made in Germany"

Das zieht europäische Unternehmen - und nicht nur diese - offenbar unwiderstehlich an, denn die weltweit führenden Unternehmen für Telefonie- und Internetüberwachung kommen in Nahost und Nordafrika nicht ins Geschäft. Die großen Player in dieser Branche sitzen nämlich in den USA, der zumindest zeitweilige Weltmarktführer in der Überwachung von Netzen der GSM-Familie stammt aus Israel.

Die Despoten aus Nordafrika und Nahost ziehen daher Überwachungstechnologien Made in Germany, oder solche aus Frankreich und den ebenfalls in Dubai stark präsenten italienischen Überwachungsfirmen vor. Im Geschäft mit den nordafrikanischen und nahöstlichen Diktaturen mischt eine erstaunliche große Zahl an Unternehmen aus dem notorisch überwachungswütigen Indien mit.

Ericsson, ZTE und China

In der großen Zahl von kleinen und mittleren Unternehmen, die auf der explizit auf "behördliche Bedarfsträger" aus Nahost und Afrika zugeschnittenen Überwachungsmesse ISS in Dubai waren, fielen die zwei großen Konzerne aus dem Telekomsektor, die ebenfalls präsentierten, besonders auf: Zum einen der weltweit größte Telekomausrüster Ericsson, der seine Überwachungssparte bereits vor Jahren nach China ausgelagert hat.

Zum anderen der nicht viel kleinere chinesische Telekomkonzern ZTE, der über ein enormes Maß an praktischer Erfahrung mit der Totalüberwachung eines ganzen Landes aufwarten kann.