Erstellt am: 7. 3. 2011 - 20:24 Uhr
Journal 2011. Eintrag 50.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.
Zumeist werden sich hier Geschichten/Analysen finden, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit zwei Leser/Hörer-Hinweisen und dem, was daraus entsteht. Und was Jungtürken mit Jungtürken gemeinsam haben könnten, oder besser: müssten.
Am obersten Ende der Skala, also genau gegenüber von jenen, die sich ernsthaft mit den unterschiedlichen Interpretationen von Beistrichregeln oder ähnlich wesentlichem beschäftigen, stehen - in meiner Wertung - diejenigen, die mir assoziativ Ergänzendes und Erweiterndes zuwerfen, also inhaltlichen Input geben; auch weil sie das Nebenstehende, das mit dem Anregungs- und Denkfutter verstanden haben, und sich nicht mit Formalismen aufhalten wollen.
Mir ist dabei jedes Medium recht - ob Posting im Forum, ob Mail an mich, ob als Anruf in mitternächtlichen Sendungen oder auch per Zuruf im wirklichen Leben.
Über die TYT oder die Sektion 8
Danke für den schönen Hinweis, dass der Brother Mouzone 2011 (im Gegensatz zu dem von 2002) nicht mehr die Library Card und Harpers, sondern womöglich den Youtube-Kanal TYT als wichtige Zusatzquelle nützen würde - der ist mir von einer alten Chat-Bekanntschaft während einer lauten Musik-Veranstaltung ins Ohr gebrüllt worden.
Ein paar Tage davor kam ein anderer Hinweis, durch einen Anrufer in Bonustrack. Er habe eben, über Mundpropaganda, ein Interview mit einem jungen SPÖ-Funktionär gelesen, und würde sich seither fragen, warum die Regierungspartei nicht diesen offenbar mit einem klaren Profil versehenen jungen Mann besser ausstellen oder womöglich sogar mit einem politischen Amt versieht, sondern die vielen konturlosen Lavierer und Duckmäuser, die sich ihre Linie von der Kronen-Zeitung diktieren liessen.
Das Standard-Gespräch mit Nikolaus Kowall, 28, Vorsitzendem des parteiinternen Think Tanks "Sektion 8" ist tatsächlich interessant, in mehreren Hinsicht.
Klarstellender Einwurf:
Bevor ich drauf eingehe, bedarf es aber einer Klarstellung/Positionierung.
Im Gegensatz zu meinem geschätzten Kollegen Robert Misik, der sich selbst dann, wenn er als durchaus schärfster Kritiker der SPÖ vorgeht und vernichtende Analysen verfasst, immer als konstruktiver Teil einer sozialdemokratischen Praxis versteht, fehlt mir jeglicher emotionaler Bezug zur ehemaligen Kreisky-Partei. Als ideologisch-theoretische Heimat taugen (mir) die alten Grundsätze nicht - und die Verheerung der Praxis, die Verluderung der politischen Moral habe ich aus erster Hand miterlebt.
Die Umwandlung der vor senilem Kalk bereits implodierenden Arbeiter-Zeitung zur AZ, zu einer österreichischen Version der Liberation, einem modernen liberalen Blatt, wurde nämlich nicht nur von der SPÖ selber (ein Bruchteil der Regierungsinserate und Kreditgarantien, mit denen aktuell Österreich, Heute und die Krone durch den digitalen Medienwinter gefüttert werden, hätte genügt, um das Blatt so zu etablieren, dass es im vierten, fünften Jahr schwarze Zahlen geschrieben hätte) sondern auch von den Apparatschiks der alten Schule, den als Journalisten verkleideten Parteisoldaten hintertrieben, denen ein Untergang lieber war als der Versuch eines Neustarts unter Robert Hochner, den diese miese Erfahrung deutlich näher an die im folgenden Lebensabschnitt schlimme Depression brachte. Die Dümmlichkeit und Widerwärtigkeit der Intrigen dieser Phase der vergebenen Möglichkeit von 89 bis 92 waren zudem der Beginn einer SP-Medienpolitik, die sich heute komplett in die Geiselhaft des Boulevards und seiner Verlags-Interessen begeben hat.
Entschlossen, sich zu fürchten
Mir geht es also weder darum, die SPÖ von innen zu reformieren (wie Misik oder auch Kowall) noch darum, sie hochzujubeln oder anzupatzen, sondern darum ihre gesellschaftlich unbestreitbare Relevanz als Groß-Partei (und wenn das nur in Wien der Fall sein sollte, wär's auch wichtig genug) auch in einen Diskurs mit dem Staats-, nicht mit dem Privatbürger zu überführen.
An die scheinbare Unentrinnbarkeit der Medien-Lage, die absurde Nebenregierung Krone/Österreich knüpft auch Kowall in seinen Aussagen an. Er nennt die Situation "unwürdig" und spricht von einem "Indiz für die Orientierungslosigkeit und das ausgedünnte Selbstbewusstsein der Sozialdemokratie".
Die interessanteste Passage ist aber eine andere. Kowall denkt laut über das SP-Kernproblem, das sich mit einem der politischen Kernprobleme des Landes deckt, nach: den Kampf um die Hoheit und vor allem die Definitionsmacht im Ausländer/Migrations-Diskurs.
Kowall sagt da: "Es gibt eine große Paranoia in Österreich Fremden gegenüber. Man kann diese Paranoia schüren, bekämpfen oder sich dafür fürchten. Die SPÖ hat sich schon vor vielen Jahren dazu entschlossen, sich zu fürchten. Dadurch fehlt eine entscheidende gesellschaftliche Kraft, die dazu in der Lage wäre, die Diskussion zu einer Sachdiskussion zu lenken. Der Hass in der Bevölkerung ist nicht politisch, sondern pathologisch. Dieser Hass hat einen ganz kleinen realen Kern und hat eine ganz große Hassblase rund herum. Der Fremdenhass ist die größte zeitgenössische Krankheit der österreichischen Gesellschaft."
Jungtürken und andere Verantwortungsträger
Kowalls Glaube daran, dass die SPÖ die Kraft hätte den Diskurs zu führen, zu leiten und die Hass-Blase platzen zu lassen, klingt optimistisch bis wagemutig.
Aber allein die Tatsache, dass es jemand, der seine Sinne noch beinander hat und eine realistische Einschätzung trifft (das zeigt der Rest des Interviews deutlich), für möglich hält, macht es auch möglich.
Weil sich sonst innerhalb der größeren Regierungspartei ohnehin niemand über die Tagesaktualität hinaus Gedanken macht (oder sich damit, siehe Androsch, Lacina, Svoboda und Co, aufs grummelnde Altenteil der Ineffizienz zurückzieht) und die mit "War ich eh sexy im Fernsehen?"-Fragen hauptbeschäftigen, liegt es an den in der Parteizentrale zunehmend das Heft in die Hand nehmenden Jungtürken (und da wären wir wieder beim oben erwähnten Cenk Uygur und seiner hochpolitischen und energetischen Herangehensweise) etwas draus zu machen.
Wenn das Überleben der SPÖ als ernstzunehmende politische Kraft (und nicht als populistischen Fähnchen im Wind der Ausdünstungen der Medienmächtigen) ohnehin vom Bewältigen dieser zentralen Frage abhängt, erscheint diese Forderung nicht nur angebracht, sondern sogar notwendig.