Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Journal 2011. Eintrag 49."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

6. 3. 2011 - 22:36

Journal 2011. Eintrag 49.

Tatort Wien. Die Flucht aus dem Fluc-Backstageraum.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.

Zumeist werden sich hier Geschichten/Analysen finden, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einer Rezension zum heutigen Krassnitzer/Eisner-Tatort. Naja, nicht wirklich. Aber dann doch.

Wer wie ich über ein Jahrzehnt lang den Sonntagabend in einem Radiostudio zugebracht hat, der kann nicht so recht nachvollziehen, was sich zwischenzeitlich in der anderen Welt an Gewöhnung oder gar Sucht etabliert hat.
Denn, zumindest ist das mein Eindruck - bis Mitte der 90er hatte der sonntägliche Tatort nicht den Status, den er heute hat, nicht in Österreich. Das ist erst seither passiert.

Gut, die sonntägliche Tatort-Schauerei ist eine Alters- und Status-Erscheinung - früher war das deutlich den Eltern und anderen Oldies vorbehalten. Mittlerweile hat es sich aber scheinbar überall festgesetzt. Selbst junge und unglaubliche hippe Menschen, die man jeden Abend auf kulturell, szenemäßig oder partyrelevanztechnisch wichtigen Außenveranstaltungen vermutet, klinken sich in das "Wie war der gestrige Tatort?"-Gerede ein.

Ich krieg das im Ansatz mit, seit ich seit Herbst 2007 nur noch jede zweite Woche das Zimmerservice bediene und so zu "normalen" Sonntagen kam, nach jahrzehntelanger Pause, wie ein Haftentlassener.

Und mittlerweile habe ich mich längst ergeben, schaue mit, privat und auch öffentlich.

Manchmal führt ein Tatort direkt zu einer Geschichte, und natürlich trägt der Österreich-Tatort mit der wahrlich widerwärtigen Zwiderwurzen-Figur Krassnitzer immer wieder zu aktuellen Diskursen bei, Telfs lässt grüßen. Und zur Bedeutung im deutschen Diskurs-Zirkus ist bereits alles gesagt - da hat der Tatort mehr Wirkungsmacht als das gebündelte Feuilleton.

Rache der Gesellschaft an den von ihr verwahrlosten Kids

Deswegen hier und jetzt, direkt nach dem heutigen Tatort mit dem biblischen Titel "Vergeltung": eh super, wenn einmal nicht die die sonst die Guten sind als Racheengel ausstaffiert werden und amoklaufend Rotzbuben und Lausemädchen killen und die Rache der Gesellschaft an bösen Kids mit Aufmerksamkeitsdefizits-Syndrom, auf deren Kosten so arg viele Verbrechen gehen, vollziehen. Dass es diese Verbrechen in echt so gut wie gar nicht gibt, wurscht.

Klar gab es auch schöne Momente: die Krisch-Darstellung der Widerlings, die Suff-Geschichte des neuen Beiwagerls und dass die Eisner-Tochter endlich einmal nicht peinlich unrealistisch involviert wurde.

Mein Vorschlag an Regisseur Wolfgang Murnberger und Drebuchautor Uli Brée: das nächstemal vielleicht ein Thema im politischen Milieu und als Täter würden sich dann dort entrechtete Wähler anbieten; oder das Medien-Milieu, mit einer Täterschaft der unterprivilegierten Privatmenschen, denen die Unschuldsvermutung verweigert wird; die Liste ist unendlich fortsetzbar.

Aber jetzt zum lustigsten, zur krimiobligaten Disco-Szene, die in Fluc, im von Killerhascherl Kira "meinem Club" genannten Lokal, stattfand. Dass dort oder sonst wo Figuren, die aussehen wie Krassnitzer (muffig, angepisst, unauffällig, teilnahmslos, ein Traum halt) aufgrund ihrer Erscheinung angepöbelt werden - so unwahrscheinlich wie die Marslandung im März 2011. Sowas nimmt die Wiener Clubszene einfach hin (auch weil sie großteils selber so daherkommt...) - und an der Unbegründetheit dieser Szene lässt sich die ganze höchst misslungene (sich in zusammenhanglosen Fick Dich-Sagern erschöpfende) Generations-Schere, die der Krimi anleiern wollte, festmachen.

Die obligatorischen Disco-Szene-Pannen

Irrtum und Aufklärung am Tag danach - ein Mitglied des Fluc-Teams schreibt am Montag folgendes: "danke für deine gedanken zum wahrlich peinlichen letzten tatort. nur eine berichtigung: die backstage-szene ist tatsächlich im fluc und nicht in einem loft gedreht worden. der fluc-backstage-raum wurde letzten herbst renoviert und sieht jetzt etwas anders aus als früher."

Das, unnatürlich grelles Licht, aufgepimptes Styling und schon bin ich reingefallen. Sorry. An der Kritik ändert sich dadurch aber nichts: Loft-Atmo bleibt Loft-Atmo, der verlorene dunkle Charme bleibt verloren.

Dass im Fluc oder sonst wo in Wien eine Band eine Woche lang die Hausband macht und dann auch noch mehr als ein Set pro Abend spielt ("wir machen jetzt eine Pause und kommen dann wieder!") entspringt der alten Hamburger Starclub-Fantasie über die Beatles und hat weder mit der Wiener noch einer anderen Club-Realität auch nur das geringste zu tun.

Sich aus den 60ern in die Gegenwart zu entwickeln ist aber offensichtlich deutlich zu viel verlangt, von Drehbuchautoren und Regisseuren, die sich lieber an ihren Kindheits-Fantasien als an der Wirklichkeit orientieren.

Und: war euch der echte Backstage-Bereich im Fluc nicht gut genug? Der hat doch heulenden Charme, eng, stickig, dunkel... Warum musste diese Szene dann extra in ein helles Loft verlegt werden, wo der reale Ort die dargestellte Enge der jugendlichen Welt doch viel besser reflektiert hätte?

Wahrscheinlich geht es Kölnern, Leipzigern oder Konstanzern nach den Tatorten an ihren Lebensorten ähnlich - zu viel wird hingekünstlelt, zu wenig tolle Vorlagen des echten Lebens werden verwertet; zu viel Angst der Mainstream-Macher vor Redakteuren und Quoten.

Einem hyperetablierten Regisseur wie Wolfgang Murnberger wäre ein wenig mehr Fluc und deutlich weniger Schauspielschule aber durchaus zuzutrauen gewesen, auch wenn es ihm, wie durchaus richtig angemerkt wurde, ein Fließband-Drehbuch-Schreiber wie Brée nicht leichmacht.