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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

6. 3. 2011 - 21:05

Ein Stern, der lügt

Der Schreiber eines britischen Boulevardblatts will bei der xenophoben Hetze nicht mehr mitmachen.

Freitagabend hat der Brief eines britischen Boulevardjournalisten an den Chef seines Verlags weite Kreise gezogen.

Richard Peppiatt, so heißt der Reporter, hat aus Gewissensgründen seine Kündigung beim Daily Star eingereicht. Ein mutiger Schritt heutzutage, wo es sowas wie freie, bezahlte Jobs in einer schrumpfenden Presselandschaft kaum mehr gibt und einer, der noch nicht einmal eine andere Stellung gefunden hat, gut daran täte, sich nicht auch noch den Ruf des/der QuerulantIn einzuhandeln.

Daily Star-Titel: English Defence League to become political party

Robert Rotifer

Ungebetene Propaganda für die xenophobe Ultrarechte: Eine laut Briefschreiber Peppiatt frei erfundene Titelstory

Jener Brief also, der vermutlich das Ende einer bescheidenen Boulevardkarriere besiegelt hat, war an einen gewissen Richard Desmond, Eigentümer und Begründer von Northern & Shell, adressiert.

Daily Star-Schlagzeige: BBC put Muslims before you!

Robert Rotifer

Die ewige Verschwörung des Establishments (BBC) gegen die Eingeborenen, die all ihre Habseligkeiten in winzigen Koffern unterbringen müssen

Was da klingt wie eine Ölfirma, ist ein ursprünglich auf Pornoblättchen aufgebautes Medienimperium, das Boulevardblätter wie den Daily Express (bigott, besessen von Diana-Verschwörungstheorien) und den Daily Star (Softporno und Rechtspopulismus) mit dem Klatschmagazin OK!, dem schundigen terrestrischen Fernsehkanal Channel Five und den Kabelpornokanälen Television X und Red Hot TV vereint.

Magnat Desmond, genannt "Dirty Des", der es mit seiner knappen Milliarde Pfund Privatvermögen gerade einmal in die Liga der 60 reichsten Briten schafft, ist ein berüchtigter Sparmeister, was die Erzeugung seiner Medienprodukte angeht.

Daily Star-Schlagzeile: They've stollen ALL our jobs

Robert Rotifer

Wenigstens die verbliebenen Weihnachtsfrauenposten haben die Moslems den Briten offenbar noch nicht weggenommen

Dementsprechend groß die Tendenz zu Fantasie statt Recherche und Mehrfachverwertung statt neuer Stories. Insbesondere beim Daily Star hat Desmond in Chefredakteurin Dawn Neesom eine kongeniale Erfüllerin seines Auftrags gefunden, die keine Scheu kennt, die Lüste und Ängste ihres täglich 1,57 Millionen zählenden Publikums auf Kosten der Wahrhaftigkeit und gern auch des sozialen Friedens zu bedienen und auszubeuten (siehe dieses vielsagende Interview mit Neesom aus dem Jahre 2004)

Unserer Umfrage nach Daily Star-Prinzip zufolge sind 99% derer, die das hier lesen, sowieso ganz meiner Meinung. Dank des ORF-Gesetzes, das die Kommentierung sendungsbegleitender Inhalte erlaubt, darf man hier aber trotzdem was dazuschreiben. Obwohl, wenn einmal die EDL (oder wie immer die in Österreich gerade heißt) regiert, ist's vorbei mit dem politisch korrekten Theater hier...
Ach ja, von wegen sendungsbegleitend: Bis nächsten Montag fällt mir da noch was ein.

Seit Auftauchen einer ultrarechten, islamophoben Splittergruppe namens English Defence League (EDL) hat Neesoms Daily Star sich unter Zuhilfenahme erfundener Horrorstories über positive Diskriminierung bei Bewerbungsgesprächen zugunsten von Moslems, die Zukunft Englands als moslemischen Staat, ein drohendes Verbot von Weihnachten, öffentliche Klos, die nur für Moslems zugelassen sind, etc. de facto zu einem inoffiziellen Sprachrohr der EDL entwickelt.

Daily Express-Überschrift: Keep out, Britain is full up

Robert Rotifer

Auch das Schwesterblatt Daily Express kann's ganz gut: Großbritannien geht über vor Einwanderern, für Posh Spice bleibt schon gar nichts mehr zum Essen

Das heißt, genau genommen ging der Daily Star darüber sogar noch hinaus, als er die Verwandlung der EDL von einer Protestbewegung, deren Aufmärsche regelmäßig ganze Stadtviertel in Angst und Schrecken versetzen, zu einer bei Wahlen kandidierenden politischen Partei verkündete, noch bevor die EDL-Führung selbst was davon gewusst hatte.

In seinem unter anderem vom Guardian veröffentlichten Kündigungsbrief erzählt Richard Peppiatt davon, wie ein nach Stories dürstender, unterbesetzter Newsroom diese politisch potenziell folgenreiche Geschichte ausheckte (der übrigens auch noch eine zweifelhafte Leserumfrage folgte, der zufolge 99% der BezieherInnen des Blatts die EDL als Partei unterstützen würden - Nordkorea ist nichts gegen den Daily Star).

Daily Express-Überschrift: One in 5 Britons Will Be Ethnics

Robert Rotifer

Ich hätte ja gedacht, sogar 5 von 5 Briten wären auf ihre Weise "ethnisch", aber was weiß ich schon als Ausländer.

Peppiatt spricht auch über seine persönliche Scham als Mittäter vor dem moslemischen Betreiber des Zeitungsstands in seiner Nachbarschaft.

Über seine täglichen Telefonate mit wortradikalen Islamisten, die bereitwillig zitablen Zündstoff lieferten.

Und wie er selbst einmal im Dienst der Zeitung in voller Burkha auf die Straße ging. Das klingt zwar fast schon wieder Monty-Pythonesk, lustig ist es aber schon lange nicht mehr.

Wie Peppiatt es ausdrückt:
„Sie (Desmond, Anm.) mögen die Phrase gehört haben: 'Der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien kann einen Tornado in Texas auslösen.' Probieren sie es damit: 'Die Lügen einer Zeitung in London können bewirken, dass einem Typen in einem Durchgang in Bradford der Kopf eingeschlagen wird.'“