Erstellt am: 18. 3. 2011 - 12:23 Uhr
Urban Knitting
KnitHerStory: Samstag, 19. 3. 2011, Connected (15-19 Uhr)
Noch ist nicht viel los auf der Wiener Ringstraße. Nur der tägliche Autoverkehr zieht dreispurig an Spaziergänger_innen und Radfahrer_innen vorbei. Dazwischen ein Laternenmast. Dort wollen Bettina Aumair und Antonia Wenzl ihre neuesten Strickwerke installieren.
Strickistinnen
Die Yarnbombings, wie die Interventionen aus Wolle oder Garn genannt werden, sollen den Weg der Demonstrant_innen im Rahmen des 100jährigen Jubiläums des Frauen(kampf)tags am 19. März markieren. 1911 wurde der Frauentag in Österreich zum ersten Mal der begangen. 20000 Menschen (großteils Frauen) pochten damals auf Grundrechte wie "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" oder etwa das Recht zu wählen. Dieses Jubiläum wollen die Strickistinnen sichtbar machen.
Sichtbarmachen bedeutet in ihrem Fall "Sichtbarstricken". Entlang des Weges der Demonstration von damals stricken 100 Frauen 100 Objekte am Straßenrand ein. Gleichzeitig fordern sie damit die Entprivatisierung textiler Techniken und die Eroberung des primär männlich konnotierten öffentlichen Raums. Ihre Waffe: Wolle.
Urban Knitting
knitherstory.com
Guerilla Knitting Projekte zur Sichtbarmachung von Frauengeschichte(n) im öffentlichen Raum
Urban Knitting oder Guerilla Knitting lässt sich wohl am besten als gestricktes Graffiti bezeichnen. Objekte des urbanen Raumes werden dabei verändert, und ähnlich wie bei Graffitis lässt sich auch diese Form der Streetart so ziemlich überall anbringen. Bei den ganz großen Projekten formieren sich hunderte Teilnehmer_innen und stricken ganze Brücken ein, wie etwa in Cambride 2010. Aber auch kleinere Gegenstände wie Türklinken, Straßenschilder, Skulpturen, Bäume, Regenrinnen, Gartenzäune, Stiegengeländer oder ähnliches dienen den strickenden Aktivist_innen als Trägermaterial.
dandeluca unter Creative Commons Lizenz (http://www.flickr.com/photos/dandeluca/4862019198)
Repolitisierung weiblicher Traditionen
Das zentrale Anliegen all dieser Projekte ist die Hinterfragung von traditionell weiblich konnotierter Arbeit. Diese "Handarbeit" fand gewöhnlich in den eigenen vier Wänden statt, ist dekorativ, nützlich und dient in erster Linie der Verschönerung. Während der männliche Teil der Bevölkerung seine Produktivkraft am Arbeitsplatz in Geld verwandelt, waren Frauen für reproduktive Tätigkeiten vorgesehen. Durch die Transformation des textilen Handwerks in den öffentlichen Raum sagen die Aktivist_innen der Jetztzeit früheren Formen von Handarbeit, und den damit verbundenen Vorstellungen von Weiblichkeit, den Kampf an.
Kritik am Raum
Mit ihren unaufdringlichen Interventionen sind die strickenden Aktivist_innen gerade dabei, den öffentlichen Raum rückzuerobern. Denn Raum ist knappes Gut in Städten und von vielerlei Interessen geprägt – vor allem von kommerziellen. Im Rahmen des neoliberalen Strukturwandels wurde nicht gerade zimperlich mit dem öffentlichen Gut umgegangen. Gruppen wie die Urban Knitting Bewegung reagiert auf diesen Umstand.
Vor allem die "Kunst im öffentlichen Raum" scheint als Austragungsort solcher Diskurse gut geeignet. Bis vor einigen Jahrzehnten hatte man es dort vor allem mit starren, archaischen Denkmälern oder mit Kunst am Bau zu tun. Die Objekte waren für die Ewigkeit geschaffen und meist wurden männliche Heroen in Stein gehauen oder Bronze gegossen. Mit ihren symbolhaften Interventionen unterziehen die Strickistinnen diese historischen Ideen von Kunst einer kritischen Befragung: Wie wird dieser öffentliche Raum gestaltet? Wer bekommt überhaupt Raum? Oder: Wem wird ein Denkmal gesetzt oder nicht?
Ähnliche Strategien verfolgen auch Stefanie Müller und Klaus Dietl. Das Münchner Künstlerduo reagiert mit seinen Aktionen im Stadtraum auf die Darstellung von Militär und Männlichkeit der historischen Denkmäler. Gestrickte Gamaschen oder bunte Socken sollen die herrischen, teilweise bewaffneten Männer aus Stein ins Lächerliche ziehen. Neben der symbolischen Aussage, die in ihren Aktionen steckt, möchten die Künstler_innen in direkten Kontakt mit Passantinnen und Passanten treten. Kunst als traditioneller Ort von Kommunikation bekommt so - im öffentlichen Raum - eine andere Funktion. Die Themen werden nicht in den klassischen Orten der Kunst - mit ihren Ausschlussmechanismen - verhandelt, sondern im alltäglichen Umfeld der Betrachterinnen und Betrachter, so die Annahme.
Stefanie Müller & Klaus Dietl
Stefanie Müller & Klaus Dietl
Graffiti
Zu faul zum Stricken? Dann lass das doch den Wind für dich erledigen.
Wie der Graffiti-Tag fallen die gestrickten Objekte als leeres, anonymes Zeichen im Stadtraum besonders auf. Im Unterschied zum Großteil der Botschaften, die uns im urbanen Alltag umgeben, verweist er gerade nicht auf Arbeit, Produktion oder Konsum, sondern erzählt von der Anwesenheit seines Urhebers oder seiner Urheberin. Die Strategie beim Guerilla Knitting ist zwar angelehnt an diese Form des Sich-Einschreibens in den öffentlichen Raum, verweist aber im Unterschied zu Graffitis nicht unbedingt auf den Autor oder die Autorin, sondern auf das Stricken selbst als Handarbeit und deren Geschichte.
Agnes Richter und Marcel Duchamp
Der Ursprung von Urban Knitting wird ins Jahr 2005 datiert. Die Gruppe KnittaPlease aus Texas soll als erstes auf die Idee gekommen sein, ihr Strickwerk als Streetart zu begreifen. Anstatt sich über ihre unfertigen Socken und Pullover zu ärgern strickten die Aktivistinnen rund um die Gründerin Magda Sayeg den öffentlichen Raum damit ein.
Die Künstler_innen Stefanie Müller und Klaus Dietl gehen, was die Herkunft von Urban Knitting betrifft, viel weiter in der Geschichte zurück. Für sie ist Agnes Richter, eine Patientin in der Psychiatrie Heidelberg, die dort um die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert gelebt hat, eines der ganz frühen Beispiele des Urban Knittings. Sie hat ihre Anstaltsjacke hergenommen und in Sütterlinschrift Texte eingestickt. Immer wieder und immer wieder, bis die ganze Jacke bestickt war. "Und vielleicht", so Klaus Dietl, "kann man sogar so weit gehen, zu sagen, dass diese Anstaltsjacke ja auch so ein Stück öffentlicher Raum war, den Agnes Richter eroberte."
Kommando Agnes Richter
Ein anderes frühes Beispiel für derartige textile Strategien ist Marcel Duchamp. 1942 verspannte er im Rahmen einer Surrealistenausstellung in New York den Raum mit Wolle, um so Momente der Störung zu provozieren. Das Netz seiner Installation Sixteen Miles of String war so dicht, dass eigentlich niemand mehr den direkten Weg zu den ausgestellten Objekten finden konnte.
KnitHerStory
Eingestrickt wird der Weg der Demonstration von 1911 vom Parkring 12 bis zum Rathaus. Die Treffpunkte und Routen der Demonstration von 2011 sind auf 20000frauen.at nachzulesen.
Einige Dinge, die 1911 auf der Wiener Ringstraße gefordert wurden, wie etwa das Wahlrecht, sind verwirklicht; andere , wie "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" aber weit davon entfernt. Mit der Repolitisierung von weiblichem Handwerk und ihrem Projekt KnitHerStory unterstützen die Strickistinnen zwar in erster Linie die Forderungen der Demonstrant_innen, ihre Strickwerke bleiben aber hoffentlich noch etwas länger hängen und dienen so als inoffensive Markierungen am Weg der Umsetzung einer gleichberechtigten Gesellschaft.