Erstellt am: 6. 3. 2011 - 18:57 Uhr
Nächte des Zweifels
Die Liebe und das Kino, ein Verhältnis, das so alt ist wie die bewegten Bilder selbst. Die für mich schönsten Filme tauchen dabei in eine Welt der ganz großen Gefühle ein, der fiebernden Leidenschaften und tragischen Obsessionen. Am Ende stehen euphorisierende Umarmungen oder auch herzzerreißende Abschiedsdramen, darunter geht nichts. Bitte den roten Pathos-Teppich ausrollen, die Streicher auspacken und Taschentücher bereit halten.
Alltag ohne Zynismus
Der ganz normale Beziehungsalltag, der dort beginnt, wo die meisten Hollywoodfilme enden, wird selten zum Stoff für die Leinwand.
Höchstens Romantic Comedies oder Streifen von Woody Allen nehmen die Einförmigkeit einer Ehe oder Freundschaft regelmäßig aufs Korn. Dabei wird für die Drehbuchautoren der Humor, wahlweise freundlich oder bitterböse, zum Ausweg aus der Sackgasse der Banalität.
In diesem Sinn ist es eigentlich schon wieder mutig, wenn eine Regisseurin nun einen Film dreht, der weder als aufwühlendes Melodrama daherkommt noch als seichte Comedy, der auch von einem zynischen Abgesang weit entfernt ist und dennoch von der Liebe handelt.
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Spätestens seit ihrem Skript für den existentialistischen Sci-Fi-Thriller "The Jacket" wird Massy Tadjedin als Autorenhoffnung in Hollywood hoch gehandelt. Wohl deshalb kann sie bereits für ihr Regiedebüt "Last Night" auf eine hochkarätige Besetzung zurückgreifen.
Die sympathische Keira Knightley (der man allerdings eine ausgewogene Ernährung abseits der Ein-Salatblatt-Diät wünscht) und der immer leicht verschlafen wirkende Actionstar Sam Worthington (der seine melancholischen Qualitäten nur in kurzen "Avatar"-Momenten zeigen durfte) spielen ein junges, seit kurzem verheiratetes Paar, das nach außen hin die aalglatte Perfektion verkörpert. Erst als Joanna ihren Michael auf einer Party beim vermeintlichen Flirten ertappt, mischen sich Zweifel in die Idylle.
Wo endet Treue? Wann beginnt der Betrug?
Während der Ehemann mit der umstrittenen Arbeitskollegin (Eva Mendes) zu einem Geschäftstermin fliegt, wird seine Frau plötzlich von einem Ex-Freund (Guillaume Canet) überrascht. In der einen Stadt erwachen spontan alte Emotionen, in der anderen werden neue geweckt. Unabhängig voneinander stehen Joanna und Michael vor denselben nächtlichen Problemen: Wo endet Treue? Wann beginnt der Betrug? Ist es möglich, auch andere Menschen abseits des Partners zu lieben?
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Man kann der iranisch-amerikanischen Regisseurin einiges vorwerfen, an erster Stelle wahrscheinlich das Milieu, in dem "Last Night" spielt. Knightley, Worthington und ihre nicht minder gut aussehenden Kontraparts Mendes und Canet bewegen sich in einer slicken Welt der Designerwohnungen und edlen Bars, der Druck der alles finanzierenden Businessmaschinerie wird nur vorsichtig angedeutet.
Wer kritisiert, dass Massy Tadjedins Film nie einen wirklich heftigen Sog entwickelt, dass es keine ernsthaften Verstörungen gibt, wie etwa in Mike Nichols sehr verwandtem Meisterstück "Closer", hat auch hier nicht unrecht. Aber die konstante Beiläufigkeit ist gleichzeitig die Stärke dieses Kammerspiels. "Last Night" wagt auch, und gerade im Vergleich mit sehr viel besseren, mitreißenderen, unter die Haut gehenderen Filmen, etwas relativ rares: Er zeigt ohne aufgesetzte filmische Dramatik, ohne Moral oder Unmoral zu beschwören, ohne erhobenen Zeigefinger, die wirklichen Grauzonen des Zusammenlebens.
Wer Schuldige sucht, ein befreiendes Happyend oder eine kathartische Tragödie, sollte sich einen anderen Streifen aussuchen. Menschliche Beziehungen, deutet Massy Tadjedin an, passen in ihrer Komplexität nicht in die üblichen Schemata des Kinos.
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