Erstellt am: 6. 3. 2011 - 05:49 Uhr
That dancing evening
Eine Band, deren fünf Mitglieder allesamt weiblich sind, ist einmal eine schöne Überraschung! Those Dancing Days haben ihr FM4 Überraschungskonzert in der Grazer Postgarage gegeben, am Samstag vor dem diesjährigen internationalen Frauentag. Selbstverständlich zählt in erster Linie die Musik, doch Popquizfrage: Nenn' ein weiteres Indierock-Frauen-Quintett! Auf Antworten im Forum freu ich mich, denn mir fällt zwei Songs der jungen Schwedinnen lang keines ein!
Doch zum Nachdenken eignen sich Konzerte von Those Dancing Days ohnehin schlecht. Linnea Jönsson, Cissi Efraimsson, Mimmi Evrell, Rebecka Rolfart und Lisa Pyk Wirström führen mit einer "Gigographie" Buch über ihre Tour und die Bezeichnung trifft es: Das Überraschungskonzert wird zur Party. Und zwar ab der ersten Minute. Während die letzten zehn Bändchen um Handgelenke gelegt werden, schlagen die Fünf die ersten Akorde an. Living for music, living in a dance.
Where is the entry?
Der Rösselmühlpark vor der Postgarage liegt abgesehen von einigen Straßenlaternen im Dunkeln, doch wo das gelbe Licht leuchtet, da befindet sich der Eingang. Ohnehin leicht zu erkennen, denn kurz vor zwanzig Uhr bilden die GrazerInnen und auch eigens Angereiste eine Warteschlange, die noch ums Eck des Gebäudes reichen soll. Ob sich das noch ausgeht für die Menschen ganz hinten?
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Seitlich überholen nur wenige, und auch nur, um kurz eine Expertise zu den Chancen auf Einlass einzuholen. Die GrazerInnen setzen an diesem Abend neue Maßstäbe in der altmodischen Disziplin Höflichkeit. Die hat sich in der Tat ein Comeback verdient. Alle, die auf die Nachricht über das anstehende Überraschungskonzert rasch mit "Ja!" geantwortet und somit Gästelistenplätze haben, genießen Vorrang. Erst, als es um die letzten Bänder geht, die den Einlass garantieren, wird ein bisschen gedrängelt. "Wir brauchen Zweierreihen", lautet die Order, "Händchenhalten!" tönt es zurück aus der geschrumften Warteschlange.
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Die Postgarage hat Ende letzten Jahres umgebaut und die Räumlichkeiten bis unter das Dach für die - rauchenden - BesucherInnen geöffnet. Davon bekommt man am FM4 Überraschungskonzert allerdings nichts mit, denn Those Dancing Days spielen im schönsten Raum der Halle. Der "2nd Floor" ist eine innenarchitektonische Discokugel, Licht glitzert und strahlt durch die gestanzte Metallverkleidung der Wände. Da drinnen ist für mich jedes Mal Weihnachten und der erste Besuch in einem Zirkus zugleich.
Zwei Besucherinnen halten sich in der Wartezeit mit Tanzen warm, gleich rückt die Schlange auf. Es staut sich, weil der Einlass mit der Garderobendame koordiniert sein will (dafür kriegt am Ende des Abends auch jeder seine eigene Jacke zurück und keine Haube bleibt in der Euphorie auf der Strecke).
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My feet won't touch the ground
Linnea Jönsson singt, springt, tanzt. Schlagzeugerin Cissi Effraimson entdeckt man kaum, weil Rebecka Wolfart nicht nur leidenschaftlich Gitarre spielt, sondern dabei ihr Haar wirbelt, dass Adams Family-Vetter It Konkurrenz fürchten sollte. Lisa Pyk mit ihrem Bubikopf an der Hammondorgel steht der Gitarristin nichts nach. Und Cissi Effraimson hält nur zweimal mit ihren Drumsticks länger inne, bevor sie den nächsten Song eröffnet. Endlich eine kurze Chance für Applaus. Bassistin Mimmi Evrell äußert sich entzückt über die vielen BesucherInnen. Im Interview mit FM4 zeigten sich Those Dancing Days zuvor sehr begeistert vom österreichischen Publikum: "In Sweden, people are not so keen on dancing".
Dabei kennen Those Dancing Days selbst kein Halten. Über eine Stunde reihen sie Songs ihres aktuellen, zweiten Albums "Daydreams & Nightmares" an Hits ihres Debüts "In Our Space Hero Suits". Apropos Anzüge und Äußerlichkeiten: Die Blümchenkleider haben die jungen Schwedinnen zuhause gelassen, "lieb" schauen sie ohnedies aus, das flüstern sich viele im Publikum ins Ohr. Die Stimmung beim Überraschungskonzert sei wie auf einem Ferienlager am Ponyhof, wo Mädchen plötzlich die Gitarren auspacken und mit Synthesizern kurzschlössen, findet ein junger Mann. Auf so einem Ferienlager wäre ich auch gern einmal. In den ersten Reihen hat man keinen Kopf für Analogien, we came to dance!
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Linnea Jönssons Stimme klingt nicht nur auf Platte beachtlich. Live entwickelt die Musik von Those Dancing Days einen Sog, der einen selbst in "ruhigeren" Momenten wie bei "Can't find entrance" in Bewegung versetzt. In der ersten Reihe tanzen beinahe ausschließlich junge Frauen, dahinter kopfnicken Männer zu den schnellen Beats. Fotoapparate werden gezückt, und während ich damit beschäftigt bin, im richtigen Moment einen Schnappschuss von den tanzenden und musizierenden Skandinavierinnen und ihrem Publikum zu machen, drängt sich Bela B. in meine Gedanken. Der meinte vor wenigen Tagen in Graz: Man solle sich doch nicht um das Erlebnis bringen, warum diesen Moment mit einer Million Youtube-Schauenden teilen wollen und das Hier und Jetzt nur über das Kameradisplay verfolgen? Recht hat er, und das wissen die Menschen um mich längst.
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Those Dancing Days haben Zuhörerinnen, die sie in Schweden in Cafés erkennen und die mit ihnen plaudern. Die rote Rosen im Haar tragen, als hätten sie kurz vor dem Überraschungskonzert mit Linnea Jönsson telefoniert und die speziellen Ausgehvorbereitungen für diesen Abend besprochen. Es gibt ein unausgesprochenes, beidseitiges Selbstverständnis. Wir möchten unseren Teil vom Kuchen, wir nehmen uns unseren Teil vom Kuchen, und wir genießen das Leben. Auch, wenn Wunsch und Wirklichkeit in den Lyrics auseinanderdriften. I’m holding on, I’ll be holding on.
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Zum Schluss, als Bassistin Mimmi Evrell herzlich Luftküsse ins Publikum wirft und danach gefolgt von ihren Kolleginnen von der Bühne hüpft, bin ich beinahe zu erschöpft, um zu applaudieren. Und nicht nur mir scheint es so zu gehen, ich schaue in rotwangige und glückliche Gesichter. Mit Höflichkeit hat es nichts mehr zu tun, dass die Überaschungskonzertbesucherinnen einfach stehen bleiben. Wird's noch eine Zugabe geben? Wo sind die Fünf hin?
Da, in der Menge, ist das nicht die Sängerin? Lina von der Grazer Band Lady Lynch hat nicht nur einen ähnlich klingenden Namen wie Linnea von Those Dancing Days und dieselbe Frisur. Jetzt fehlt nur noch Miranda July mit ihrem Lockenkopf, denke ich, und da entdecke ich auch schon Jönsson in einer Ecke.
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Dieser Saal der Postgarage kennt kein schnelles Verschwinden, die Bühne ist entfernt von Türen geschweige denn einem Backstage-Raum platziert. Doch Those Dancing Days wollen gar nicht schnell in die Nacht hinaus. Nach dem Überraschungskonzert zücken sie schlanke Eddings..
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Und es gibt einen schönen japanischen Moment, als die Band ihren eingenommenen Platz hinter der Merchandise-Bude verlässt, um mit Fans ein Foto zu machen. Aufgereiht wie für einen Jahresbericht am Ende eines Schuljahres. Evrells Finger formen "Victory". Zu diesem Zeitpunkt haben die vielen im Saal Verbliebenen Those Dancing Days längst lieb gewonnen.