Erstellt am: 5. 3. 2011 - 18:04 Uhr
Berliner Weiße mit Schusswaffen
Eine kühle Blondine. Eine bedeutungsschwere Einstellung auf eine Aktentasche, die von einer Männerhand gehalten wird. Bereits in den ersten beiden Minuten von "Unknown" werden Hommage-Gaben am Hitchcock-Altar hinterlegt. Die kühle Blondine ist Liz Harris (January Jones), die ihren Mann zu einem Biotech-Kongress in Berlin begleitet. Die Aktentasche, die uns macguffingleich vor die Nase gehalten wird, gehört ihrem Mann, Dr. Martin Harris. Der wiederum erwacht nach einem Unfall mit dem Taxi, an dessen Steuer Diane Kruger mit Captain Sparrow-Zöpfchen saß, in einem Krankenhaus und hat den iPhone-Fluch im Nacken: Seine spärlichen Erinnerungen sehen aus wie durch den Hipstamatic-Filter gepresst. Als er endlich wieder zumindest weiß, wer er ist und was der Zweck seines Berlinbesuches ist, scheint der Rest der Welt mit noch gröberen Erinnerungslücken geschlagen zu sein. Für Harris werden Blumfeld-Zeilen wahr: "ick jeh’ raus und kieke, und wer steht draußen? … Icke." Denn nicht nur kennt ihn seine Frau nicht, nein, an ihrer Seite steht jemand (Adian Quinn), der ebenfalls behauptet Dr. Martin Harris zu sein.
EWW
Ich ist ein Anderer
Amnesie, Identitätsverlust, Doppelgänger: Der Themenkatalog, den Hitchcock mit Suspense perfektionierte, wird von Regisseur Jaume Collet-Serra durchgequirlt. Die plot holes sind teilweise so groß, dass ganz Kreuzberg drin versinken könnte, doch "Unknown" brettert mit Actionsequenzen über Logiklöcher hinweg und verbeugt sich auch noch vor einem anderen Film, indem es ihn ein bisschen nachspielt: Ähnlich wie in Roman Polanskis "Frantic", in dem Harrison Ford mit seiner Frau zu einem Medizinkongress nach Paris fährt und sich schließlich mit einer jungen Frau durch die Unterwelt der Stadt der Liebe kämpfen muss, macht sich hier Liam Neeson gemeinsam mit der patenten Taxi-Fahrerin Gina auf, rauszufinden, welches Spiel hier gespielt wird. Und wer gute Miene zum bösen Spiel macht. Schnell sind ungute Gesellen hinter ihm her, einer von ihnen ist der grandiose Stipe Erceg, der macht einen auf Böll-Roman und sagt kein einziges Wort. Das tut seiner Eindringlichkeit keinen Abbruch.
EWW
Hommage
Die vielleicht dezentere, aber sehr gelungene Hommage an Alfred Hitchcock gelingt Jaume Collet-Serra in Details. Der Suspense-Meister hatte eine große Freude daran, nationale Eigenheiten in seinen Filmen zu verwenden, das Klischee, das Naheliegendste zu verwenden und zu etwas Interessantem zu machen, die Dramatik im Offensichtlichen zu finden.
"Milchschokolade, die Alpen, Volkstänze und Seen. Die Seen müssen da sein, damit Leute darin ertränkt werden, und die Alpen, damit sie in Schluchten stürzen", so Hitchcock darüber, wie man die Eigenheiten der Schweiz in einem Thriller nutzen könnte. Es ist fast naiv, wie Collet-Serra das auf "Unkown Identity" umlegt, aber es funktioniert. Bei einer Verfolgungsjagd in "immer feste druff"-Manier krachen Harris und Gina gegen einen LKW, der "Berliner Kindl" transportiert und weißer Schaum ergießt sich über die Windschutzscheibe. Harris isst Currywurst und sucht Unterschlupf in einem Technoclub, was hier aufgezählt klingt wie die Tat von Captain Obvious, macht "Unknown" dezent, ohne Authentizität in Sachen Lokalkolorit heucheln zu wollen. Und es kommt noch besser: Heinrich Gerhard und Fräulein Mann heißen Figuren in Hitchcocks "Torn Curtain", der in Berlin spielt. In "Unknown" lernen wir eine Krankenschwester namens Gretchen Erfort und Herrn Ernst Jürgen, einen ehemaligen Stasi-Mitarbeiter, kennen.
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Die Sache mit der Technik
Herr Jürgen sei der einzige, der ihm eventuell helfen könne, murmelt Schwester Gretchen und steckt ihm einen Zettel mit dessen Adresse zu. Als Neeson dort ankommt, öffnet sich die Tür und - HITLER? - nein, es ist nur Bruno Ganz, der Liam Neeson die Schau stehlen wird. In Herrn Jürgens Wohnzimmer wird sich später im Film eine Szene abspielen, die allemal den Kinokartenpreis wert ist. Da werden Höflichkeiten ausgetauscht, während eine Atmosphäre der Bedrohung herrscht. Da läuft "Unknown" zur Suspense-Höchstform auf. Der Thriller hat aber natürlich auch das Problem der neuen Medien und Technologien und deren Asepsis und Mythenlosigkeit. Ein USB-Stick und ein am Bildschirm erscheinender Kopiefortschrittsbalken sind wahrscheinlich ziemlich genau das Gegenteil von spannend. Ebenso Internetsuchabfragen.
EWW
Würd ich mir einen Thriller wünschen können, ich würd ihn in den 60er oder 70er Jahren spielen lassen. Der aktuelle Bezug und der Versuch einen Hauch Sozialkritik auch noch ins Actionthriller-Genre-Gewandel zu pressen, wirkt in "Unknown" ohnehin aufgesetzt. Während in den ersten zwei Dritteln der Plot willig, die Inszenierung aber teilweise schwach ist, rennt im letzten Drittel der Plot wie ein Berserker in Richtung Showdown und kredenzt uns noch eine schauderhaft miese CGI Einlage, für die wohl eine Prenzelberger Kita verantwortlich zeichnet. Das bizarre an der ganzen Sache: "Unknown" macht unglaubliche Freude, während man im Kino sitzt, trotz aller Albernheiten.
EWW
Der Neeson wird's schon richten
Der Film kann relativ lange die Spannung halten und den Paranoia-Haushalt in Schwung bringen.
Er will nur einfach ein bisschen zu viel und zu clever sein und verheddert sich schließlich. Wie schon das Poster zu brüllen scheint: "He, schau mich an, ich bin's, dein Action-Star Liam Neeson, ja im Hintergrund seht ihr ein deutsches Wahrzeichen, aber keine Angst, ich bin kein europäischer Arthouse-Film, seht mal meine Knarre an! Und hier in Bauchhöhe, seht her, hier gibt's gleich zwei blonde Frauen zu sehen und Autos fallen auch jede Menge wo runter, he he, schau mich an."
"Unknown" nimmt sich selbst ein wenig Spannungspotential durch seine Besetzung. Während bei Hitchcock stets Normalbürger plötzlich des Mordes bezichtigt oder quer durch die USA gejagt wurden, gespielt von ewigen Gentlemen wie Cary Grant oder James Stewart, ist Liam Neeson dank seiner jüngsten Rollenbiografie zum Haudegen geworden (und kann hier seine Rolle aus "Taken" ein bisschen wiederholen), um den ich mir als Zuseher keinen Moment lang Sorgen mache. Der Mann war Hannibal in "The A-Team", der wird mit ein bisschen Identitätsverlust schon zurechtkommen. Die Spannung, die sich daraus ergibt, dass ein Normalbürger plötzlich in kriminelle Strudel gerät, die kann "Unknown" kaum nutzen. Lieber hätt ich David Strathairn als Martin Harris gesehen. Der deutsche Verleihtitel lautet übrigens "Unknown Identity", das soll mir jetzt bitte mal jemand erklären. Und vielleicht kann man mir dann auch endlich Erklärungen dafür liefern, warum deutschsprachige Filmkritik so besessen vom Suchen nach Echtheit im Film ist. Die Kritik der taz verschwendet zahllose Zeichen dafür, zu erläutern, dass sich der Film nicht an stadtplantechnische Gegebenheiten hält. Seriously?. Wie jetzt? Und Bruno Ganz war gar nicht bei der Stasi?
"Unknown Identity" läuft seit 4. März in den österreichischen Kinos
Die Sache mit der "Echtheit"
Woher kommt es, dieses Festhaltenwollen an der echten Welt (ich erinner mich auch an Leute, die auf die Frage, wie ihnen "Before Sunrise" gefallen hat, nur darüber faselten, dass man zu Fuß nicht so schnell vom Friedhof der Namenlosen in die Arena kommt), dieses Einfordern von Echtheit auf der Leinwand in so unfassbar belanglosen Sachen? Und: Jetzt nicht in Ohnmacht fallen, liebe taz, aber Wege, die in Filmen, die zum Beispiel in New York zurückgelegt werden, kann man in echt so auch nicht machen. Noch nie aber hat eine amerikanische Kritik sich mit solchem Plunder befasst.