Erstellt am: 7. 3. 2011 - 16:34 Uhr
He shot it again
Man kann jammern, man kann schimpfen, man kann altklug sagen, man hat es kommen sehen. Und ich muss an dieser Stelle wirklich nicht zum zig-tausendsten Mal den Untergang des Musikfernsehens rezitieren und darüber re-philosophieren. Wir wissen leider aktuell nicht den Sendeplatz, sind uns aber sicher, in der Pay TV-Welt kann man aus dem ehemals fetten Schlachtvieh noch ein kleines Wurstsemmerl pressen. Eigentlich ist das ja auch wirklich alles wurst, denn wir wärmen uns die Pfoten sowieso schon längst am warmen Windhauch, der seitens aus der Lüfterritze unserer klitzekleinen Smart Phones weht.
Weil, wenn wir Musikvideos sehen wollen, dann tun wir das natürlich im Netz. Was wir wollen und wann wir wollen. Und ja, da darf für den oder die Musik-ConnoiseurIn von Welt der obligatorische Abstecher zur
La Blogotheque nicht fehlen:
Vincent Moon, *1979 in Paris, ist ein französischer Regisseur von Musikvideos und Dokumentarfilmen. Mit seiner La Blogotheque beweist er seit 2006, dass man auch tolle Musikvideos ohne große Kohle drehen kann
Vincent Moon
Eine Kamera, eine Stadt, eine Band die mit einer Leichtigkeit durch diese hindurchspaziert und ein paar musikalische Happen in akustischer Weise präsentiert. Alles in einem Take aufgenommen und ungeschnitten um die Welt geschickt. Vincent Moon hat seine Dogma 95'-Hausübung brav gemacht und 2006 mit seiner La Blogotheque einen neuen State of the Art des Musikvideos definiert.
Man kann den obligatorischen, kosmopolitischen Stadtspaziergang in seinen Musikvideos auch als Symbol eines Befreiungsmarschs ansehen. Als Zeichen der Selbstermächtigung. Als (Rück-)Eroberung des öffentlichen Raums, der doch sowieso so viel schöner ist, als ein slickes Fernsehstudio bei irgendeinem schlechten Musiksender mit seinen kalten Retro-Space-Requisiten und der scheußlichen, klimaanlagenmalträtierten Luft darin. Tschüß, du unnötiger Balast! Hallo, einfaches Nischenkonzept, das ohne viel Zeit und Geld auskommt! Ja, so war das - äh - damals 2006.
Viel mehr als eine billige Videokamera und einen Computer zum uploaden braucht der junge Filmemacher auch heute, fünf Jahre später, nicht. Nomadenhaft reist Vincent Moon um die Welt und ist seinem Konzept treu geblieben - trotz großer Aufmerksamkeit, die ihm seitdem zuteil wird. Er hat mittlerweile so ziemlich jede coole Indieband auf diesem Planeten in einer seiner Spezialsessions abgelichtet. Hat sieben Arcade Fire Mitglieder mitsamt Instrumente in einen Fahrstuhl gepfercht und singen lassen:
Ein einfaches Konzept und genau deshalb so erfolgreich:
Auch die Black Cab Sessions und The Shoot Music Don't They sind sehenswert!
The Arcade Fire haben Vincent Moon daraufhin gleich zwei Jahre mit auf ihre Neon Bible-Tour genommen - enstanden ist dabei damals die Tourdokumentation Miroir Noir. Nah und trotzdem fern. Hier wird nichts erklärt oder entzaubert. Hier wird nicht von der undankbaren Bühnenkante aus oder mit viel High Tech-Schwebefirlefanz gefilmt und eine Band mittels viel Blinke Blinke in Szene gesetzt.
Vincent Moon bewegt sich mit seiner Kamera stets - immer - zwischen den Musikern selbst hin und her. Und er zeigt die Bilder, die bei manch anderen FilmemacherInnen wahrscheinlich im Mistkübel landen würden. Er verdichtet, er reduziert gefilmte Bilder zu einem alle Sinne ansprechenden Spektakel, das bewusst filmisches Regelwerk links liegen lässt. Der 2009, in Zusammenarbeit mit Nathanael Le Scouarnec, entstandene Mogwai-Konzertfilm Burning, als auch der Konzertfilm für HEALTH, waren dank ihrer rasanten Schnittfolge für Epileptiker wahrscheinlich auch kein Spaß.
Advice from the master himself:
Watch in the dark, listen carefully with headphones:
Eine Insel ist eine Insel ist eine Banddoku...
Efterklang, *2000 in Kopenhagen, sind eine vierköpfige, Dänische Band, die Frickeltronik und akustisches Allerlei zu einem Poporchester-Kompott verkocht
Für sein neuerstes Werk ist Vincent Moon wieder zu seinem Ursprungskonzept zurückgekehrt: Musiker an ungewöhnlichen Orten abzufilmen. Und diesmal ist das himmlische Indie-Orchester Efterklang aus Kopenhagen an der Reihe. Weit ab der Großstadt auf der Dänischen Insel Alsen hat Vincent Moon die Band portraitiert. Von dieser Insel stammen drei der vier Bandmitglieder. Efterklang interpretieren im Kreise und mit Hilfe alter Freunde, von Familienmitgliedern, lokalen MusikerInnen, Kindern - mit insgesamt 200 weiteren Menschen (!) - die Lieder ihres aktuellen Albums Magic Chairs ganz neu. Und das an allen möglichen Orten auf dieser Insel:
Vincent Moon
In Scheunen, auf Feldern, in Wohnzimmern. Auf der Ladefläche eines Trucks, auf dem sie durch die Wälder düsen und den sie in einen rollenden Konzertsaal verwandeln. Im Turnsaal ihrer alten Schule, in dem Schulkinder den Chor zu ihren Liedern singen und mit Hilfe von Bällchen aus Zeitungspapier für einen Knirschsound im Hintergrund sorgen. Außerdem verwandeln Efterklang eine alte Fabrik in ein riesiges Schlagwerk und lehren ihre eigenen Eltern, wie sie eines ihrer Lieder spielen müssen.
Und wieder gelingt Vincent Moon das Meisterstück, für das er durch seine bisherigen Filme und seine Blogotheque bekannt ist und das ihn von vielen anderen, die Musik auf Film bannen, unterscheidet:
Vincent Moon
Morgen Abend, 8. März, wird „An Island" in der Szene Wien präsentiert! Mit anschließendem Konzert der Band.
Vincent Moon degradiert niemanden "nur" zum Zuschauer. Man selbst ist mittendrin im Geschehen, man wird in die Geschichte regelrecht hineingesaugt. Man schippert selbst, in gefühlter Echtzeit, auf einem Boot durch die dänische Südsee Richtung Insel. Regentropfen, Wasser, Wind, ein schwerer Schiffsmotor im Hintergrund: Man kann kaum sagen, wo ein Geräusch endet und die Musik beginnt. Die Grenzen zwischen natürlichen Geräuschen, der Atmosphäre auf der Insel und der Musik von Efterklang verschwimmen spielerisch und vermischen sich zu einem organischen Gesamtbild.
An Island ist so vieles: Eine nachdenkliche Dokumentation über eine Band. Das Portrait einer Insel. Ein unkonventionell visualisiertes Album einer Band. Eine Danksagung an Freunde, Familie und Gefährten. Ein faszinierender Einblick in die Inneren Dynamiken eines Bandgefüges, der einem sonst meist verwehrt bleibt und in Biografien höchstens grob umrissen wird. Ein nach Hause kommen.
Das einzige das noch fehlt: Man müsste Vincent Moons Filme riechen können. Und schmecken. By the way: