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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

4. 3. 2011 - 18:54

Raketentest in Cambridge

Das Warm-up Konzert der famosen Elbow und ein kleiner Vorgeschmack auf ihr neues Album "Build A Rocket Boys!"

Vor drei Jahren im April war es Manchester, diesmal ist es März und Cambridge.

Elbow Album Cover The Seldom Seen Kid

Elbow

"The Seldom Seen Kid" katapultierte Elbow 2009 vom Geheimtipp und der Clubnacht zu Award-Gewinnern und zur Arena-Popband.

Selbst wenn es die gleiche Band ist, wegen der ich auf die Britische Insel reise, so hat sich doch bei den fünf Mancunians von Elbow seither viel getan. Für den Karriereboost verantwortlich war unter anderem der Mercury Prize Award 2009 für ihr viertes Studioalbum The Seldom Seen Kid, mit dem der Band endlich nach rund eineinhalb Jahrzehnten die verdiente Aufmerksamkeit und Würdigung zu Teil wurde. Ironischer Weise, denn für dieses Album haben sich die fünf Musiker vorab zuerst aus einem Plattenvertrag befreien müssen, und wussten dann gar nicht, wo, wie und ob überhaupt dieses wundervolle Glanzstück das Licht der Welt erblicken würde.

Cambridge

Andreas Gstettner

Jetzt, drei Jahre später marschiere ich am Mittwoch 02. März bei eiskaltem Wind durch die mittelalterlichen Gassen von Cambridge, um zu dem eher heimeligen Club "The Junction" zu gelangen. Denn dort werden Elbow das erste Mal Auszüge aus ihrem neuen Album Build A Rocket Boys! live präsentieren. Viel von der Altstadtatmosphäre ist dort jedoch nicht zu spüren, liegt der schwarze Raum für ungefähr knapp 900 Besucher hinter dem Bahnhof mitten in einer Art Einkaufs-Industriezentrums-Gegend. Aber selbst dieser kleine, unscheinbare Club wird durch den sprühenden Charme von Sänger Guy Garvey und seiner Band zu einem magischen Ort, zumindest für diese Nacht.

Große Gesten und Melodien auf kleiner Bühne

Noch bevor Elbow die Bühne betreten ist eine gewisse kribblige Atmosphäre zu spüren. Es ist der erste Gig seit langem und noch dazu die Generalprobe für die im März startende Tour, die durch die größten Arenen Englands führt. So bespielen Elbow die Londoner O2 Arena (capacity up to 20.000) aufgrund von großer Nachfrage gleich zwei Mal hintereinander.

Elbow live on stage in Cambridge

Andreas Gstettner

Sie jetzt in Cambridge vor ein paar hundert und nicht zehntausend Menschen zu sehen, hat demnach wirklich etwas sehr Exklusives. Diese Spannung ist Guy, Pete, Craig, Mark und Richard auch ein bisschen anzumerken, als sie schnellen Schritts auf die Bühne kommen. Doch sobald die ersten Töne von "The Birds" erklingen, ist das Quintett voll in seinem Element. Und das heißt bei dieser achtminütigen Eröffnungsnummer des neuen Albums: build up, build up, build up ... and then release the energy.

Überhaupt ist "Build A Rocket Boys!" von der gesamten Anmutung nicht nur ruhiger und reduzierter ausgefallen, die Songs folgen darüber hinaus nicht dem klassischem Popsongformat, sondern schichten - wie schon bei dem zehn Jahre alten Debüt "Asleep in the Back" - durch ihre stetig wiederholenden, loop-artigen Teile Melodien und Rhythmen aufeinander. So verdichtet sich das Klangspektrum immer mehr, bis gegen Ende das groß angelegte, harmonische Finale folgt. Und das funktioniert bei Elbow immer.

Elbow live in Cambridge

Andreas Gstettner

Dominierend bei den neuen Songs ist der Retro-1980iger-Sound einer kaputten Orgel, die Guy bei einem kleinen Second Hand Laden in Manchester voller Stolz erstanden und anschließend reparieren hat lassen. So besteht einer der thematisch zentralen Songs des neuen Werk, nämlich das sanfte, berührende "Lippy Kids" fast ausschließlich aus dem pluckernden Sound dieser Orgel. Textlich geht es darin - so viel sei hier verraten - wie auch am gesamten Album um Garveys Jugend, seine Träume und die Geschichte seiner Band. Demnach hält "Build A Rocket Boys!" viel Nostalgie bereit, wenn zum Beispiel Guy zu dem knochigen Piano-Stück "The Night Will Always Win" sein gesamtes Stimmregister zieht.

Elbows Bassist Pete Turner live on stage

Andreas Gstettner

Überhaupt sind alle Musiker von Elbow viel mehr in den Gesamtsound der Platte mit einbezogen worden, was sich auch in der Liveperformance widerspiegelt. Einmal mehr von Keyboarder Craig Potter aufgenommen und produziert, singen Bassist Pete und Gitarrist Mark sowie Schlagzeuger Richard bei vielen Songs die Backing Vocals, wechseln von ihrem Instrument zum Synthie-Bass oder Keyboard und Craig selbst "darf" live sich bei einer Nummer sogar hinter ein kleines Drum-Set setzen (Schlagzeuger Richard hat kürzlich in einem Interview anmerkt, dass Craig für sein Leben gerne Drummer wäre). Zusätzlich wird für dieses warm up Konzert bei der Hälfte der Nummern ein Streichquartett auf die Bühne geholt, die auch mit Gesangsmikrophonen ausgestattet werden, um den Songs die gebührende epische Tiefe zu verleihen.

Während des ganzen Abends ist es unglaublich spannend zu beobachten, wie sich diese Band vom ewigen Geheimtipp und unentwegt unterschätzten Indieact zu einer Formation entwickelt hat, bei der man sofort spürt, dass ihre Songs und ihr Auftritt auch in riesigen Hallen funktioniert und selbst zehntausenden Menschen noch Gefühl und Emotion vermitteln kann. Klar, Guy spielt mit dem Publikum auf eine derart gewitzten und frechen Art und Weise, dass man nicht anders kann als mitzulachen und mitzumachen. So steht in manchen Momenten genau jener junge Idealist und jenes lippy kid auf der Bühne, für die Garvey auf dem Album eine Lanze bricht. In anderen Momenten steht dann der gestärkte, in sich ruhende und sich und seines Könnens bewusste Künstler vor dem Publikum, der jetzt endlich voller Freude feiern kann, dass er all seine Jugendträume erfüllen konnte.

Elbow on Stage in Cambridge

Andreas Gstettner

Das neue Album Build A Rocket Boys! wird in England am 7. März und Deutschland/Österreich am 14. April veröffentlicht und zeitgleich gehen Elbow auf große Tour. Mehr zum neuen Werk und ein exklusives Interview mit Guy Garvey und Pete Turner gibt es auch demnächst hier in diesem Theater.

Vor allem wird mir bei den Songs von "The Seldom Seen Kid", die perfekt in das neue Material eingeflechtet werden, bewusst, welch großer Wurf der Band aus Manchester damit gelungen ist. Denn selbst nach drei Jahren klingen die Lieder nicht verbraucht, sondern wecken die gleichen, großartigen Glücksgefühle wie beim ersten Mal hören. Da wird mit "Grounds For Divorce" mal richtig gerockt, mit "Mirrowball" das Publikum im Saal zum Schweben gebracht und mit dem wuchtigen "The Loneliness of a Tower Crain Driver" wieder zu Boden gedrückt. Bei Elbow leben eben Hochgefühle und dunkle Schwermut sehr eng nebeneinander.

Aber das Schönste an dieser neuen Platte und diesem Auftritt ist, dass man den gegenseitigen Respekt und die freundschaftliche Liebe der fünf Musiker mitbekommt und spürt. Im Video zu "Jesus is a Rochdale Girl" sieht man das Lächeln von Guy, wenn er seine Bandkollegen dabei beobachtet, wie sie diesen schönen, reduzierten Song spielen. Und auch an diesem Abend in Cambridge stehen alle fünf Freunde im weißen Scheinwerferlicht auf der Bühne im Kreis und singen "Weather to Fly". Genau jener Song, den Guy über die persönlichen Entwicklungen der Band geschrieben hat. Ein schöneres Bild für einen derart starken Zusammenhalt von Musikern, die sich seit zwanzig Jahren kennen und miteinander spielen, kann ich mir nicht vorstellen.

Elbow in a circle live on stage in cambridge

Andreas Gstettner

Natürlich lassen Guy und seine Musiker es sich nicht nehmen, mit dem wohl erfolgreichsten Stück ihrer Bandgeschichte "One Day Like This" den Abend zu schließen. Da versteht sich der ohrenbetäubende Jubel und die unzähligen Verbeugungen von Elbow auf der Bühne von selbst. Und während ich mich durch die bittere Kälte den Weg zu dem kleinen Bed&Breakfast zurück kämpfe und dieser magische Abend langsam zu sickern beginnt, denke ich mir, dass das alles nur ein Vorgeschmack auf das ist, was uns das Quintett aus Manchester in den nächsten Wochen noch liefern wird.