Erstellt am: 1. 3. 2011 - 20:30 Uhr
Journal 2011. Eintrag 47.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.
Zumeist werden sich hier Geschichten/Analysen finden, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einem Nebenprodukt des Medienkriegs und Sturzes der Symbolfigur Guttenberg. Nein, nicht der womögliche Sieg der Netzdemokratie über die plutokratische Bildzeitung, sondern einen im Spiegel zitierten Side-Aspekt über das in Deutschland bestehende Vakuum an Rechtspopulismus.
Es geht um die Frage, ob/wie die entsprechenden österreichischen Untugenden sich am viel bedeutenderen deutschen Spielfeld eingraben werden, um ihren postdemokratischen Stellungskrieg zu präparieren.
Gestern schlug das Imperium noch zurück und buddelt andere miserable Doktorarbeiten aus. Dass man dabei ebenso fündig werden könnte wie beim Sammeln der Wehrdienst-Befreiungs-Ausreden von Politikern, das ist dem Profi-Diffamierer klar.
Die Opportunisten unter den Unterstützern rückten schon ein Stückchen ab, verlegten sich vom Campaignern zu Chronisten.
Und heute beginnt die Schadensbegrenzung: der Rücktritt des Bild-Kanzlers von 2017 ist für das Guttenberg-Camp zu verkraften, weil er "nur" auf die dumme Affäre mit der Doktor-Arbeit zurückzuführen ist, und nicht auf die verheerende Kriegspolitik der Bundeswehr, die Dauer-Verschleierung der vielen letalen Vorkomnisse in Afghanistan, die systematische Bespitzelung der Wehrdiener oder das offiziell begünstigte Mobbing im Fall des Segelschulschiff. Und schon gar nicht auf den letzten Vorfall strukturellen Korruption: die durch eine gigantische und exklusive Werbe-Kampagne erkaufte Jubel-Berichterstattung bei Bild.
Dort führte man den Vorzeige-Shooting Star der CSU seit längerem in einer Art medialen Klon-Krieg als Handpuppe spazieren - die mächtige Bild-Zeitung wollte sich des nächsten Kanzlers sicherer sein, als sie es beim unberechenbaren Schröder und der unbeeinflussbaren Merkel sein konnte. Dass Bild-Chef Kai Diekmann sich dazu einer Mannes mit derart hoher optische Ähnlichkeit bedienen muss, sondert umso heftige Cäsarenwahn-Zeichen ab.
Die gerade noch einmal abgewählte Bild-Demokratie
Bedeutung haben nun zwei Aspekte. Der eine, dass die Schwarm-Intelligenz des Internets die Bild-Zeitung als populären Machtfaktor abgelöst hat, darf ich den deutschen Feuilletons (die hiesigen werden es, wie alles, verschlafen) überlassen - die werden das besser erspüren.
Ich darf heute den anderen Aspekt, den mit Österreich-Bezug beackern, und das andere große Medium, das sich in die mediale Schlacht gegen Bild geworfen hat, reinbringen. Der Spiegel hat, nach Jahren eines Gleichgewichts des Schweigens gegenüber dem Boulevard-Riesen aus dem reaktionären Springer-Verlag, eine massive Cover-Story gebracht: die Bild-Zeitung als Brandstifter der Republik. Als Beförderer des zynischen medialen Soundtracks für den neuen Privatbürger.
Zum Thema "Bild" sei auch die immer gruseliger werdende Entwicklung im Fall Holofernes/Jung von Matt/Bild empfohlen.
Auch hier ist das Symbol größer als der Gehalt. Denn die (nur on print nachlesbare) Spiegel-Geschichte erzählt nichts Neues, gräbt nichts nicht schon Bekanntes aus - sie fasst nur den Stand des Wissens um die Einflussnahme die das Proll-Leitmedium in die politische Gestaltung nimmt, zusammen.
Interessant ist nur ein Zitat eines ehemaligen Chefredakteurs, der jetzt – ganz Elch – vor den Gefahren, die das Aufwühlen eines rechten Bodensatzes nach sich zieht, warnt: Durch solche Kampagnen, sagt Michael Spreng, „wird publizistisch der rote Teppich ausgerollt für eine Partei, die noch nicht gegründet ist, geführt von einem deutschen Jörg Haider.“ Und später heißt es in der Spiegel-Story noch: „für die CDU hat Bild innerparteilich die Funktion eines rechtspopulistischen Flügels übernommen.“ Die Erregung Sarrazin, der „man wird das doch wohl noch sagen dürfen!“-Sudeleien lassen grüßen.
Der von Bild ausgerollte Teppich für den Bodensatz
Nun ist die Erwähnung des Namens Haider außerhalb von Kärnten und Libyen mit Schuld, Pein und Fremdschämerei verbunden – der verunfallte Goiserer dient, vor allem in Deutschland als Synonym dafür, dass man nicht auf jeden ideologisch geschickt auftretenden Österreicher reinfallen soll und überlagert deshalb die Bundesgenossen von SVP, nationalen Fronten oder Vlaams Belang.
Den Namen seines Nachfolgers (Strache) kennt außerhalb Österreichs keiner. Das hat auch damit zu tun, dass es egal ist. Um auch Thomas Maurers neuem Programm zu zitieren: auch "ein rostiges Postkastl, der glaubwürdig etwas gegen Tschuschen hat", würde genügen. Die bereits vor Jahren hocheffektiv losgetretene Lawine ist bereits im Rollen, unaufhaltsam; man merkt es aktuell nur am leisen Grollen.
Jetzt beschäftigt sich auch Deutschland mit diesem Bereich, der dort (noch) ein Vakuum darstellt. Jahrelang durfte rechts von der CSU nichts aufmarschieren – zumindest nichts, was nicht sofort von allen demokratischen Kräften (und da waren die deutschen Großparteien tatsächlich groß und auch stark) deutlich und glaubhaft entgegnet wurde.
Nun hat aber die Bild-Zeitung Gusto bekommen auf das, was das Schwesterblatt im Geiste in Österreich seit Jahren veranstaltet: im Zentrum der politischen Macht sitzen, den Kanzler stellen, mitbestimmen, die Leitlinien vorgeben und sich daran ergötzen wie die Handpuppen hinterherhampeln. Bild will Krone sein, bastelt sich einen Golem und baut ihn auf – allen ist gedient, unh weil der Betreffende so ein fescher Kampl ist (wie das Modell Karl-Heinz) mit Frau im (Adels-)Spiegel, passt es auch dem Volk.
Der Gusto auf Handpuppen-Kanzler gebiert Ungeheuer
Diese österreichische Steilvorlage bedingt natürlich einen kompletten Verfall demokratischer Strukturen: wenn die Massenpresse die Regierung stellt, fallen 1) Kontrolle, 2) Partizipation, 3) Parlamentarismus weg. Und fertig ist die Plutokratie nach berlusconischem und putinschem Vorbild.
In Österreich hat man sich an all das, inklusive dem leisen Grollen der Lawine, bereits gewöhnt, erachtet völlig Irrwitziges als „normal“ und hat sich mit dem ständig die moralischen Grenzen rausschiebenden Fatalitäten, die das Land systematisch zu einer hysterisch-wehleidig-xenophob-wimmernden Herrn-Karl-Bestie macht, abgefunden. Mit der zarten Hoffnung, dass der große Nachbar, bei dem es besser aussieht (bei den kleinen, Ungarn, Slowakei, auch der Schweiz oder eben Italien tut es das eh schon länger nicht, aber wurscht) alles abfangen wird. Weil Deutschland immun gegen den Demokratie-Zerstörer Rechtspopulismus schien.
Jetzt hat aber jemand die Büchse der Pandora geöffnet – und ab jetzt steht die Tür offen. Und so ein Vakuum, das drängt dazu gefüllt zu werden.