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Thomas Edlinger

Moderiert gemeinsam mit Fritz Ostermayer "Im Sumpf".

1. 3. 2011 - 16:05

Neues Deutschland

„Das Manifest der Vielen“ artikuliert die zwischen Wut und Genervtheit changierenden Reaktionen auf Sarrazins Islamophobie aus Sicht der Betroffenen.

Wenn man auf die „Spiegel“-Bestseller-Liste schaut, dann regiert in Deutschland immer noch ein Mann: Thilo Sarrazin und sein Buch „Deutschland schafft sich ab“. Dieser Tage erschien eine mit Spannung erwartete Abrechnung mit der sogenannten Islamkritik, verfasst vom Feuilletonchef der rechtliberalen FAZ, Patrick Bahners. Sein Buch „Die Panikmacher“ bezieht klar Stellung gegen die sich verschärfende antimuslimische Stimmung in Deutschland und ihre Anheizer.

Bahners verwehrt sich gegen die windschiefen bis rassistischen Argumentationen der in der Mitte der Gesellschaft angesiedelten Feindbildmonteure von Henryk M. Broder über Alice Schwarzer bis eben Thilo Sarrazin. In der FAZ durfte wiederum pünktlich zum Erscheinen ausgerechnet der nunmehrige Schriftführer der deutschen Leitkultur Sarrazin das Buch von Bahners rezensieren bzw. sich selbst verteidigen – und natürlich auch Werbung für letztlich beide Bücher machen. Wenig überraschende Conclusio Sarrazins: Bahners Kritik an ihm ist ungerecht, falsch und ungeheuerlich.

Letzten Freitag wurde in Berlin im Maxim Gorki Theater noch eine andere, polyphone Antwort auf Sarrazin in Form einer Party mit integrierter Lesung präsentiert. Draußen patroullierte ein Streifenwagen, drinnen rulten orientalische Beats und der Schmäh: „Ja, ich bin auch zwangsverheiratet. Mit all meinen drei Bräuten.“

Blumenbar

Anlass für den Abend war das Buch „Manifest der Vielen - Deutschland erfindet sich neu“. Geschrieben wurde der Sammelband innerhalb von nur drei Monaten von einer bunt zusammengewürfelten, schnellen Eingreiftruppe aus deutschsprachigen Autoren und Autorinnen mit teils muslimischer Religion bzw. mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund, ohne vorgegebenen Zusammenhalt in Inhalt und Form. Herausgegeben von der (übrigens ganz gegen jedes Migrantinnenklischee zurückgezogen am Land lebenden) Philosophin Hilal Sezgin, artikuliert das Manifest den Zorn (und oft auch nur mehr die achselzuckende, ermüdete Genervtheit) derer, die die Islamophobie und den Stumpfsinn degoutanten Pauschalurteile nicht nur vom Hörensagen kennen, sondern am eigenen Leib tagtäglich erfahren.

Die Palette reicht von journalistischen und wissenschaftlichen Arbeiten wie der Dekonstruktion eines identitär verhärteten Multikulturalismusbegriffs bis zu literarischen Beiträgen zur Ablehnung des Betroffenheitsgestus und dem Plädoyer für „neue“ Deutsche jenseits ethnischer Fixierungen.

Die Autorin und Journalistin Natice Akyün bekennt im Interview in der Redaktion des Blumenbar Verlags in Berlin Mitte, dass die Sarrazin-Debatte auch in ihren liberalen Zirkeln dazu geführt hat, dass sie mit manchen ihren Kolleginnen den Kontakt abgebrochen hat. Ansonsten will ihr, die früher als Gastarbeiterkind nicht einmal ignoriert, später als Ausländerin problematisiert und nun als Kopftuch verweigernde intellektuelle Muslimin skandalisiert wird, zu Sarrazin nicht mehr viel einfallen. Sie erzählt von einem Auftritt des von einer gar nicht mehr so schweigsamen Mehrheit zum heroischen „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“-Tabubrecher hochstilisierten Ex-Hartz 4-Daumenschraubendreher in ihrer Heimatstadt Duisburg, in dem die hunderttausend türkischstämmigen Migranten für die miserable Finanzlage der Stadt verantwortlich gemacht wurden: „Was für ein Schwachsinn. Mein Vater hat unter Tage seinen Arm verloren. Diese Menschen sind nicht für die Finanzmisere verantwortlich, sondern dafür, dass es diese Stadt überhaupt gibt.“

Feridun Zaimoglu

dpa/A3399 Arne Dedert

Foto: dpa/Arne Dedert

Regisseur Neco Celik sitzt mit am Tisch und kann oft nur mehr lachen – zum Beispiel über die deutschen Alarmismus über Kinderlosigkeit bei gleichzeitiger Hysterisierung der Einwandererproblematik. In seiner kräftigen Sprache erinnert er an den im „Manifest der Vielen“ ebenfalls mit einem Text vertretenen Ex-Kanak Sprak-Autor Feridun Zaimoglu. Der Filmemacher und Drehbuchautor Celik will sich so wie Zaimoglu weder als Deutscher noch als Türke schubladisieren lassen. Und er registriert auf der Straße, wie Menschen die ihnen zugeschriebene religiöse Zwangsrolle vom öffentlichen Feindbild zum selbstbewussten Selbstbild umcodieren und möglicherweise auch ironisch überaffirmieren: „Durch die perverse Islamophobie werden Menschen zu Muslimen, denen Religion früher völlig egal war.(...) Mir persönlich geht das aber alles am Arsch vorbei.“