Erstellt am: 28. 2. 2011 - 12:42 Uhr

In Memoriam Amazing Clay

Der brasilianische Baile Funk-Pionier ist am Wochenende verstorben. Eine Würdigung, hier und bei FM4 Unlimited ab 14 Uhr.

Nachrufe schreiben ist eine scheußliche und zynische Angelegenheit. Noch absurder, wenn es nicht nur darum geht, die Welt auf das großartige Werk der Person posthum hinzuweisen, sondern wenn man auch noch diesen Kloß in der Seele stecken hat: Der Typ war mein Freund und was immer ich hier auch schreibe, ich werde ihm nie gerecht werden.

natalie brunner

Amazing Clay hat für seine Musik gelebt, er ist eines der Urgesteine des Baile Funk. Er hat diese Musikkultur getragen und geprägt, und wenn wir nicht von Rio und einer Kultur, die aus den Favelas kommt sprechen würden, hätte er sich nicht fünf Mal die Woche für lächerliche Beträge bis wenige Wochen vor seinem Tod die Nächte um die Ohren schlagen müssen. Amazing Clay hatte Krebs. Ich hab ihn vor einem Monat zum letzen Mal gesehen, beim Auflegen in einem Warehouse in der Nähe des Flughafens in Rio de Janeiro, im Boqueirao. Ein Ort, in dem das Sound System so mächtig ist, dass ich jedes Mal Sehstörungen bekomme, wenn der Bass einsetzt, weil mein ganzer Schädel vibriert.

natalie brunner

Amazing Clay hat mir in einer Auflegepause ins Ohr geschrien, dass er unter der Woche vier Mal Therapie im Krankenhaus hat und am Wochenende auflegt. "Das ist mein Leben, Nat, was soll ich tun?"

Sein Studio "Amazing" beim Maracanã Stadion ist Dreh- und Angelpunkt der Baile Funk-Welt gewesen. Alle MCs gingen dort ein und aus. Clay hat sich mit unglaublicher Freundlichkeit und Ruhe aus allen Querelen des Business rausgehalten. Er hat nie über irgendjemanden geurteilt und vielen geholfen. Als ich vor drei Jahren mit MC Gringo das doch etwas exzentrische Projekt einer Baile Funk-Show für Österreich, Radio Favelinha, gestartet habe, da war Amazing Clay unser DJ. Er war mit Feuer und Flamme dabei, hat versucht uns zu unterstützen, wo es nur geht, um ein komplettes Bild diese Musikkultur über den Äther zu schicken. Wir wollten euch Musik vorspielen, an der man hören kann, dass die Favelas ein Ort innovativer und autarker Kulturproduktion sind und dass da mehr dahintersteckt als die immer zitierten Sex-, Waffen- und Drogenstories. Effizientes und unpragmatisches Arbeiten und Produzieren konnte man von Amazing Clay lernen.

An die 30 Jahre hat er als DJ für das Sound System "Curtisom Rio" aufgelegt. Amazing Clay hat mir einmal erzählt, wie es losgegangen ist: Er hat sich mit zwölf heimlich zu den versteckten Baile Funks der Nachbarschaft geschlichen. Mit 13 hat er den DJ am Ärmel gezupft und gefragt, ob er auch einmal eine Platte auflegen darf, und bis zu seinem Tod letztes Wochenende hat er nicht mehr damit aufgehört.

Es gibt nichts, was Amazing Clay nicht gesehen hätte und nichts, was seinen Optimismus erschüttern konnte. In Rio kursieren unzählige brillante Mixtapes, auch noch aus den 90ern mit Electro und technoiden Baile Funk-Montagen bis hin zu den MClastien Tracks von heute. Wenn man ihn nach seinen Lieblings Baile Funks fragte, dann war die Antwort klar: Old School.

2008 hat er für La Boum de Luxe eine Geschichtsstunde in puncto Baile Funk zu einem Mix verarbeitet. Die großen Klassiker, die ihm so am Herzen gelegen sind. Bob Rum, Cidinho e Doca, MC Galo, freundliche, optimistische Tracks, die vom Leben in der Favela erzählen, Antidiskriminierung und Selbstwert-Messages verbreiteten, weit weg waren von dem harten zotigen Zeug, das einem heute bei Baile Funks um die Ohren knallt. Echos aus einer Zeit, in der es hörbar mehr Neugier und Hoffnung in diesem Genre und in den Favelas von Rio gab.

Sein Mix ist als Tribut an Amazing Clay heute, Montag, in FM4 Unlimited (14-15 Uhr) zu hören und für sieben Tage zum Nachhören bereitgestellt.

natalie brunner